80. Kapitel: Angie

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Ein Lächeln auf meinem Gesicht, ein leiser Hilferuf in meinem Inneren. Ich habe es geschafft, ich bin so gut wie frei, ich darf zurück in mein altes Leben, ich werde zurück nach Buenos Aires fliegen! Ich werde mich meinen Ängsten neu konfrontieren müssen, eine Menge Erklärungen aussprechen und mir eine Möglichkeit suchen, mich vor Mitleid und schiefen Blicken abzuschirmen. Ich darf mein Leben endlich und offiziell an der Seite von German wiederaufnehmen. Was auch immer die schwarze Seite in mir auch sagen mag um mich zu verunsichern, ich habe mein Ziel erreicht, ich sollte mich lieber um das Positive kümmern. Es ist ein größerer Schritt für mich. Ein jahrelanger Kampf, den ich überwunden habe. Wie lange das anhalten mag, möchte ich gar nicht wissen, jetzt ist es erstmal gut so wie es ist. Hoffentlich. German scheint glücklicher zu sein als ich. Er strahlt. Ich komme mir falsch vor. Ich sollte genauso froh aussehen, mit ihm anstoßen, einen Freudentanz aufführen, den Boden küssen, was auch immer. Wieso muss ich mir das Lächeln ins Gesicht zwingen? Ich finde keinen negativen Aspekt in der Entscheidung. Es ist meine Chance, ich muss sie ergreifen, dass es mir endlich wieder wirklich besser gehen kann. Hier ist kein Platz für Schwarzmalerei. German legt mir einen Arm um die Schulter und schaut mir sanft in die Augen. "Was ist los, Angie? Wieso freust du dich nicht? War das hier nicht dein Ziel all die Zeit?", will er vorsichtig wissen. Ich zucke nervös mit den Achseln. Ich weiß es nicht. Und das macht mich sauer. Ich habe eine Chance auf ein neues Leben, aber ich kann schon den Start nicht genießen. Das darf nicht wahr sein, wie kann man sich sein Leben nur so verbauen? "Ich weiß es nicht German. Ich will es so sehr, aber es fällt mir schwer", murmele ich nur, meine Gedanken kann ich kaum in Worte fassen. Wie beschreibt man die inneren Grenzen, die Zäune, den großen Käfig? Ich möchte aus ihm ausbrechen, ihn loslassen, alles hinter mir lassen, aber ich habe Angst vor dem, was dann passieren könnte. Ich will ein perfektes Leben, nicht so ein verzwicktes wie bisher. "Ich bin an deiner Seite, du kannst dich auf mich verlassen, versprochen", flüstert German mir ins Ohr. Ich schenke ihm ein Lächeln, das von Herzen kommt. Er ist tatsächlich immer an meiner Seite, immer für mich da. Aber niemand fragt ihn, wie es ihm mit der Situation geht, niemand fragt, was er aufgegeben hat, niemand fragt nach seinen Gedanken und Gefühlen. Der Gedanke schmerzt. Es muss für ihn mindestens genauso schlimm gewesen sein wie für mich. Egal. Weg mit den Gedanken, es muss endlich Schluss damit sein, sonst wird das nie etwas. Ich lächle German an und er erwidert es sanft. 

"Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Sie dürfen gehen. Hiermit sind Sie offiziell frei. Ich spreche von ganzem Herzen: Ich bin stolz auf den schweren Weg, den Sie erfolgreich gegangen sind. Die Art und Weise, wie Sie mit den Hochs und Tiefs umgegangen sind, hat mich berührt und ich bin mir absolut sicher, dass Sie bei Monsieur Castillo in den richtigen Händen sind. Ich wünsche Ihnen beiden alles alles Gute für die Zukunft und hoffe, dass Sie gesund uns stark bleiben. Vielleicht höre ich einmal etwas von Ihnen, aber wie auch immer, Sie können stolz auf sich sein, auf das, was Sie sind und was Sie geschafft haben", verkündet der Arzt, als er wenige Minuten später zurückkommt. Er hatte wohl einige Anrufe getätigt um alles in die Wege zu leiten. Tränen der Rührung steigen mir in die Augen. Egal wie oft ich mich über ihn geärgert habe, ohne ihn wäre ich heute nicht so weit, wie ich bin. Entschlossen mache ich einen Schritt nach vorne und umarme ihn herzlich. "Bitte melden Sie sich noch einmal, bevor sie Frankreich verlassen", bittet er uns und German nickt lächelnd zur Antwort. Dann dreht sich Monsieur Bouvier um und verlässt meine Wohnung. 

Die Tür fällt ins Schloss und ich höre mich erleichtert aufatmen. Ich habe es geschafft. Und ich kann es kaum glauben. Ich werde zurück zu meinen Freuden gehen können, ich werde gemeinsam mit Ramallo, Olga, Violetta, German und Lucia nach Buenos Aires zurückkehren. Nach so langer Zeit. "Lass uns die Wohnung ausräumen, ich will so schnell wie möglich hier raus", beschließe ich. German nickt zustimmend. Blitzschnell haben wir gemeinsam einige Umzugskartons aufgebaut und teilen uns auf um meine wenigen Sachen darin zu verstauen. "Lass es uns schnell hinter uns bringen, aussortieren kann ich das alles auch später noch", meine ich und mache mich eifrig an die Arbeit. Es ist ein beruhigender Schritt, eine sanfte Entscheidung. Ich fühle mich gut dabei, wie ich Blatt für Blatt, Kleidungsstück für Kleidungsstück in eine Kiste packe und den Deckel verschließe. Ich werde so wenig wie möglich davon behalten, ich will versuchen, endlich mit diesem Leben abzuschließen und in ein neues zu starten. Zu jedem Neubeginn gehört ein Abschied. Auch wenn dieser Abschied von materieller Natur sein wird, ist es dennoch ein Abschied. Man sollte nichts überstürzen. Kleine Schritte sind viel. 

Es dauert nicht lange und im Flur stapeln sich die Kartons. Die Regale leeren sich, Schränke werden durchforstet, Ordner geleert, alles verstaut. Da ich die Wohnung lediglich gemietet habe, wird wohl auch die Rückgabe der Schlüssel kein Problem darstellen. Und siehe da, kaum ist der letzte Karton im Auto verstaut, geht es mir besser. Es ist, als könnte ich endlich wieder atmen, als wäre eine große Last von mir gefallen, als wäre ich nun endlich wieder ich selbst, ich, ein freier Geist. Und das fühlt sich so verdammt gut an. Plötzlich werde ich von Glücksgefühlen überschwemmt, ich könnte mitten auf der Straße anfangen zu tanzen, zu singen, das Lächeln geht aus meinem Gesicht gar nicht mehr weg. Es gehört da hin, das ist richtig so. Es gehört zu mir, die schwarzen Gedanken sind Vergangenheit, mein neues Leben beginnt mit einem Lächeln und nur die positiven Dinge haben darin Platz. Ich werde Lucia einladen, wir werden feiern, die Kartons gemeinsam leeren, unsere Flugtickets buchen und verschwinden. Mein altes Leben steht endlich zum Abflug bereit und ich bin bereit, gemeinsam mit German mich wieder nach oben zu kämpfen. Ich habe ein neues Ziel. 

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