75. Kapitel: German

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Ich bin ein einziges Nervenbündel. Ob es Angie wohl gerade auch so geht? Ich kann meine Gefühle nicht einmal mehr benennen, ist das jetzt Liebe, Angst, Sehnsucht oder einfach Nervosität? Ich komme einfach nicht zur Ruhe, bin nicht in der Lage, mich mehr als ein paar Minuten abzulenken und nicht an Angie zudenken. Alleine in der alten Wohnung. Wo wer weiß was für Dinge aus der Vergangenheit auf sie warten, wo sie alleine ist und keine Hilfe bekommen kann. Natürlich ist das Teil der Therapie, aber mir persönlich bringt das nichts. Mich macht die Situation nur verrückt. Violetta hat das verstanden und auch Olga und Ramallo halten Abstand zu mir. Ich muss einfach wissen, wie es Angie geht. Morgen darf ich mit ihr telefonieren, endlich! Auch wenn es bis dahin noch sehr lange Stunden werden. Wieso kann ich mich nicht einfach entspannen und ablenken? Vielleicht hat es sich Angie schon längst auf ihrer Couch gemütlich gemacht und lässt es sich gut gehen? Es ist dieses vielleicht, das mich verunsichert. Die letzte Zeit über ist Angie immer etwas passiert, wenn ich nichts von ihr wusste. Ich habe einfach schreckliche Angst, dass ich sie das nächste Mal im Krankenhaus besuchen muss und es muss schließlich nicht zwingend alles gut ausgehen. Niemand kann mir garantieren, dass es Angie just in diesem Moment gut geht, eventuell denkt sie so an mich, wie ich an sie. Vielleicht steht sie gerade am Fenster, schaut hinaus und genießt das schöne Wetter, während sie an mich und Violetta denkt? Wahrscheinlich komponiert sie gerade und schwelgt dabei in süßlichen Harmonien, während ich gerade die schlimmsten Möglichkeiten überlege. Höchstwahrscheinlich ist sie putzmunter und genießt die Einsamkeit und verschwendet keinen Gedanken an morgen. Eigentlich macht es keinen Sinn, wenn ich darüber nachdenke, ich werde morgen mit ihr sprechen und davor kann ich nichts ändern. Ich sollte wohl eher zu meiner Familie gehen und essen.

Der Tag zieht sich endlos, doch auch er ist irgendwann einmal vorüber. Ich genieße die weiche Bettdecke, denn ich weiß: Wenn ich wieder aufwache, kann ich endlich mit Angie sprechen und all meine pessimistischen Gedanken endgültig verwerfen. So fallen mir schließlich die Augen zu.

"German! German! German, ich brauche dich! German!", immer wieder ruft sie meinen Namen. "Ich brauche dich German! Ich habe Angst, ich vertraue nur dir, bitte, helfe mir! German!", immer wieder, immer wieder von Neuem. Ich sehe sie vor mir, ihr schlanker Körper steckt in einem hellblauen Kleid, das beinahe weiß wirkt. Zarte Spitze reicht ihr über den Rücken bis zu den Oberarmen. Das Kleid ist halblang und eng. Ihre hochgesteckten Haare betonen ihren langen Hals. Sie sieht wunderschön aus. Ich starre sie einfach an. "German!", ruft sie. Ihr verzweifelter Gesichtsausdruck jagt mir Angst ein. Wie kann sie so unglücklich sein, wenn sie doch so perfekt ist? Ich betrachte sie genau, dabei fällt mir auf, dass alles anders ist als es scheint. Ihr Kleid ist aus Eis, die Spitze bohrt sich in ihre Haut und in ihren Haaren stecken Eiskristalle. Sie zittert, ihre Haut färbt sich blau vor Kälte. Ich renne auf sie zu, nehme sie in den Arm, doch sie vermag nicht mehr zu sprechen, sie ist gar unfähig sich zu bewegen. Ihre Haut ist kalt unter meinen Händen, sie ist in meinen Händen erstarrt. Um meine Hände herum bilden sich kleine Risse und dann, ganz plötzlich, zerspringt das Eis. 

Zitternd fahre ich hoch. Auf meinem ganzen Körper steht die Gänsehaut, ich zittere vor Kälte. Was um alles in der Welt war denn das? Was will mir denn dieser Traum sagen? Braucht Angie meine Hilfe? Ich kann nicht mehr liegen bleiben, also stehe ich mir auf und mache mir eine Tasse Kaffee. Nur wenige Minuten später höre ich Schritte. Ramallo betritt die Küche. "Schon so früh wach German?", fragt er und rückt seine Brille zurück. "Ja, ich habe schlecht geschlafen", antworte ich. "Angie?", will er wissen und mustert mich prüfend. Ich nicke gezwungenermaßen. Anlügen will ich ihn nicht, aber ich kann nicht über den Traum sprechen, bevor ist mit Angie gesprochen habe. Es geht ihr bestimmt gut, es muss ihr einfach gut gehen! "Angeles geht es bestimmt gut", murmelt Ramallo beruhigend. Ich nicke. Er hat bestimmt Recht. Der Traum war sicherlich nicht mehr als ein Hirngespinst. 

Ich ziehe mich um und frühstücke, das Handy liegt neben mir parat. Und trotzdem bin ich überrascht, als es klingelt. "Ja?", melde ich mich. "Hier ist Monsieur Bouvier, wie versprochen. Ich stehe gerade neben Angie. Wollen Sie mit ihr sprechen?", fragt er mich. "Natürlich", antworte ich ihm. Ich höre, dass er etwas zu Angie sagt, was es ist kann ich aber leider nicht verstehen. "Wie geht es dir?", fragt sie mich. "Das sollte eigentlich ich dich und nicht andersrum fragen", bemerke ich schmunzelnd. "Mir geht es gut, sobald ich weiß, dass es dir gut geht", antworte ich trotzdem. Schweigen. "Was ist los Angie?", hake ich nach. "Ich habe Angst", antwortet sie zögerlich. "Hier sind so viele Erinnerungen, so vieles, das mich überwältigt, ich weiß nicht, ob ich das hier lange durchhalte. Ich versuche mich mit den normalsten Dingen der Welt abzulenken, aber hier schlummert etwas, das mich nervös macht. Ich fühle mich so alleine, hier ist nichts und niemand, nur meine Angst, meine Hoffnung und ich. Ich will unbedingt, dass alles wieder gut wird, aber ich habe Angst, was ich noch tun muss, bis es endlich so weit ist", gesteht sie mir. "Ich bin doch für dich da, ich passe immer auf dich auf, versprochen. Du wirst nicht zerbrechen, dafür werde ich sorgen, hab keine Angst, ich bin bei dir", murmele ich hastig. "Ich weiß und dafür danke ich dir erneut. Ich weiß, dass die Situation nicht leicht für dich ist", flüstert sie. "Angie, Kopf hoch", ermutige ich sie. Ich sehe sie vor mir, wie gegen ihren Willen ein Lächeln über ihr Gesicht huscht. "Versprochen", meint sie. "Wenn irgendetwas sein sollte, melde dich bei mir, wir finden einen Weg. Oder schreibe es auf, komponiere daraus etwas. Es ist nicht mehr lange, bis ich dich wieder sehen kann, bis ich dich endlich wieder in den Arm nehmen kann. Glaube mir, die Zeit vergeht schneller, als du denkst und dann bist du bei uns, dann am Flughafen und kurze Zeit später wieder im Studio. Du musst nur an dich glauben und immer dein Kinn nach oben strecken. Du bist stärker als du denkst!", ermuntere ich sie ein letztes Mal. Dann muss sie auflegen. 

Ich weiß nicht, ob ich jetzt beruhigter bin als zuvor, aber ich habe mein Bestes gegeben, um Angie zu helfen. Sie hat einen unglaublichen Willen, sie wird es schon schaffen, dass wir uns in wenigen Tagen endlich wieder in den Armen liegen können und unsere Rückreise planen. Ich glaube an sie, für uns zusammen. 


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Hey, ich wollte euch nur kurz mitteilen, dass nächste Woche leider kein Kapitel von mir kommen kann, ich bin leider nicht Zuhause. Ich hoffe, euch hat dafür dieses hier gefallen (: 

Liebe Grüße und danke fürs Lesen, Voten und Kommentieren (:

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