38. Kapitel: Angie

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Nein, diese Geschichte mutiert zu keinem Fantasy-Roman ;) Angies "Traum" wird noch eine etwas wichtigere Rolle spielen, es muss so sein, wie es ist. Alles was ich schreibe, könnte Realität werden, der Traum nicht, aber träumen kann man ihn bestimmt... Viel Spaß ;)

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Germans Gesicht verschwimmt vor meinen Augen, es ist, als würde feiner Nebel meine Sicht trüben. Der Geräuschpegel um mich herum wird gedämpft, ich versuche meinen Mund zu öffnen um mit German zu reden, doch meine Muskeln gehorchen mir nicht mehr. Eine bleierne Müdigkeit empfängt mich, gegen die ich mich nicht wehren kann. Dann verschwinden auch die letzten Farben und alles wird schwarz.

Stumpfes Grau empfängt mich. Der Raum scheint keine Grenzen, keine Wände kein gar nichts zu besitzen. Es ist eintönig, aber komischerweise nicht langweilig. Der Raum hat keine Decke, oder aber, die Decke besitzt denselben Grauton wie der Rest. Vorsichtig mache ich einen Schritt nach vorne. Der Untergrund ist genauso merkwürdig wie das Grau, meine nackten Füße sinken leicht ein, doch es fühlt sich weder erdig, noch sandig und schon gar nicht steinig an. Ich gehe weiter und schaue zurück. Der Untergrund verschluckt meine Fußabdrücke langsam. Was ist das hier? Wo bin ich? Es fühlt sich so eng an, aber da der Raum keine Grenzen zu haben scheint, lässt die Situation in einem bizarren Licht dastehen. Etwa zweihundert Meter weiter scheint etwas zu leuchten. Ein Ausgang? Ich beschleunige meine schnellen Schritte, froh, ein Ziel zu haben, das mich von meiner langsam ausbrechenden Panik ablenkt. Schnell bin ich an der Ursache des schwachen Lichtstrahles angekommen. Es ist eine Uhr. Eine filigrane Uhr, die aus feinstem Glas oder einem durchsichtigen Diamanten bestehen muss. Ein goldenes Ziffernblatt leuchtet mir auffallend schön entgegen. Das Licht scheint aus dem Inneren der Uhr zu kommen, es scheint zu pulsieren. Da fällt mir auf, was mich an der Uhr irritiert hat. Die fein gearbeiteten Zeiger der Uhr laufen gegen den Uhrzeigersinn, die Uhr läuft rückwärts. Vorsichtig drehe ich die Uhr um. Es muss doch irgendeine Batterie geben, keine Uhr läuft von alleine! Ich bin so vertieft, dass ich die Stimme erst wahrnehme, als ich den Schatten eines Mannes neben mir erblicke. Ich fahre zusammen und drehe mich zu ihm um. "Was wollen Sie von mir? Wo bin ich hier? Wieso läuft diese Uhr falsch herum?", bricht es aus mir heraus. Ich betrachte den Mann genauer. Er ist etwa einen Kopf größer als ich, kräftig gebaut und blitzt mich aus ernsten grünen Augen an. Seine Augen sind die einzigen Dinge, die nicht grau sind. "Sie sind verwirrt, Angeles", meint er. Was soll das? Woher weiß er, wer ich bin? "Die Uhr ist ihr Leben", flüstert er behutsam. Bitte was? Das ist ja der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe. Der Mann mit den grünen Augen scheint meine Gedanken zu erahnen, denn er fährt leise fort:" Diese Uhr kennzeichnet Ihre Lebenszeit. Schauen Sie genau hin, das Licht pulsiert im Rhythmus Ihres Herzens." Der Fremde hat Recht. Langsam wird mir das zu unheimlich. "Wieso läuft die Uhr rückwärts?", hake ich nach. "Ist das nicht einleuchtend? Sie leben nicht, Sie überleben nur. Sie machen zu viele Fehler, haben den falschen Menschen vertraut. Ohne Ihre Gefühle sind Sie kaum da. Erwecken Sie ihre Gefühle zum Leben, dann wird alles wieder gut", meint er geheimnisvoll. Ich blinzle. Wie bitte? Das klingt mir zu sehr nach einem schlechtem Fantasyroman. Ich denke an German, daran, wie wir uns das erste Mal in der Küche geküsst haben, an den Kuss im Park. An Violetta, wie ich sie das erste Mal nach sol langer Zeit wiedergesehen habe, wie sie das erste Mal auf der Bühne stand. Ich denke an Maria, wenn sie von einer Tournee nach Hause zurückgekommen ist und mich in den Arm genommen hat. Ich denke an Pablo, wie er immer für mich da ist, auch wenn er anders empfindet, als ich je für ihn empfunden habe. Ich denke an meine Mama, Antonio, die Schüler, Beto und Gregorio. Dann, ein langgezogener, anhaltender Piepston, die Uhr zerbricht in glänzende mikroskopisch kleine Teilchen und alles wird schwarz.

Als ich meine Augen öffne, führt ein Schlauch in meine Nase und neben mir piepst ein Gerät. Verwirrt schaue ich mich um. Ich versuche mich zu erinnern. German an meinem Bett. Operation. Irgendetwas mir einer Uhr. Grau. Ich versuche mich aufzurichten, doch die vielen Schläuche hindern mich an meinem Vorhaben. Lucia, Monsieur Bouvier und eine weiter Schwester stürmen in das Zimmer und drücken mich zurück auf das Bett. "Beruhige dich, alles ist okay", flüstert Lucia mir ins Ohr. "Es gab Komplikationen während der Operation, sie litten kurzzeitig unter Kammerflimmer, sie waren wenige Minuten so gut wie tot. Wir konnten Sie wiederbeleben und die Operation zwischenfallslos zu Ende führen", erklärt Monsieur Bouvier knapp. "Sie müssen sich ausruhen, Lucia wird Ihnen ein Schlafmittel geben." "Warten Sie, ich habe da etwas geträumt...", fange ich an, doch der Arzt unterbricht mich. "Das kann nicht sein, Träume während einer Narkose sind ausgeschlossen. Ihr Körper befindet sich in der falschen Schlafphase während der Narkose, in dieser ist jede Art von Träume vollkommen ausgeschlossen. Darüber gibt es etliche Studien", meint er. "Ich habe aber etwas geträumt! Alles war grau, eine durchsichtige Uhr, ein Mann und etwas mit Gefühlen, an mehr kann ich mich nicht mehr erinnern", versuche ich ihm klar zumachen. Doch zwecklos, er schüttelt den Kopf. "Sie sind einfach nur sehr kaputt, Sie waren quasi tot, davon muss sich ihr Körper erst einmal wieder erholen. Schlafen Sie sich aus, morgen werden Sie über das lachen, was sie mir gerade erzählt haben", tut er mit einem verkniffenen Lächeln ab und verlässt mit der Schester mein Zimmer. "Stimmt was er sagt?", frage ich Lucia. "Er ist der Fachmann, ich habe mich nie mit Anästhesie beschäftigt", meint Lucia und zuckt mit den Schultern. "Vielleicht war das deine Nahtoderfahrung?", fährt sie fort. "Aber wird da nicht alles immer als strahlend empfunden? In meinem Traum oder was auch immer war alles grau", gebe ich zu bedenken. "Ich kann dir da wirklich nicht weiterhelfen, schlaf dich aus", meint Lucia. "Kann ich noch etwas für dich tun?" Ich nicke vorsichtig. "Ich muss German sprechen. Auf der Stelle", antworte ich. "Du bist sehr schwach, Angie. Das muss bis morgen warten", tut sie meine Bitte ab. "Ich kann nicht bis morgen damit warten, Lucia. es ist sehr wichtig für mich, bitte!", versuche ich es weiter. Lucia schaut mich zweifelnd an. "Ich kann dich in dieser Verfassung unmöglich Besuch empfangen lassen, schlaf etwas, wenn du wach bist, wird er da sein", verspricht sie mir und geht. 

Ich verstehe es nicht. Kann man im Traum oder auch nicht Traum halluzinieren? Hat das eine Bedeutung? Ich muss mit German sprechen, ich hoffe nur, er zweifelt nicht an meinem Verstand, weil damit fange ich gerade an. Aber was ist, wenn der Traum aus meinem Innersten kam? Lebe ich tatsächlich nicht ohne Gefühle? Aber wie aktiviert man denn das, diese mysteriöse Uhr ist auf jeden Fall zersprungen. Fehlgeschlagen. Kaputt. Zerstört. Kann man jemanden lieben, der selbst nichts empfinden kann? 



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