Germangie-Down

23. Kapitel: German

Ich bin tatsächlich Angies Willen gefolgt und zurück geflogen. Ob das die richtige Entscheidung war? Ein gutes Gefühl habe ich nicht, da war das kurze Gespräch mit Angie auch nicht hilfreich. Sie klang, als hätte ich sie verärgert, nur mit was denn? Egal was ich tue, sie versteht es falsch und legt auf. Violetta ist sofort eingeschlafen, ich denke, dass Ganze nimmt sie mehr mit als sie mir zeigt. Ich drehe mich auf die andere Seite. Was Angie wohl in diesem Moment tut? Ob sie etwas gegessen hat? Ich würde so gerne wissen, wie Angie sich fühlt, was sie über sich und über mich denkt. Weiß sie denn überhaupt, dass etwas mit ihr nicht stimmt oder hat die Magersucht ihre Psyche angegriffen? Trotz meiner Gedanken und Fragen die sich in meinem Kopf überschlagen, schlafe ich bald ein.

"Senior German", tönt Olgas Stimme durch das Haus. Irgendwie habe ich Olga und ihre Art vermisst. Rasch ziehe ich mich an und setze mich an den reich gedeckten Tisch. Wir sind mitten in der Nacht angekommen und ich höre bereits meinen Bauch vor Hunger knurren. Auch Violetta ist schon da, ziemlich müde sieht sie aus. "Und wie geht es der leiben Angeles?", fragt Ramallo. "Sie befindet sich in den richtigen Händen", antworte ich nach kurzem Zögern. Ich kann nicht einschätzen, wie viel ich verraten soll. Ramallo scheint dies zu merken, denn er nickt und isst weiter. "Gehen wir nachher ins Studio?", fragt mich meine Tochter. Ich nicke. Violetta muss wieder singen und ich sollte vielleicht einmal mit Antonio und Pablo sprechen. Ich greife zu einem Brötchen und bestreiche es mit Erdbeermarmelade. Wann hat Angie so etwas wohl zum letzten Mal gegessen? In ihrer Küche war kein Brot, nichts mit Kohlenhydraten. Und die Marmelade beinhaltet vermutlich eine enorme Menge an Zucker. Was hat Angie überhaupt gegessen? Nur eine kleine Portion Obst? Einen Joghurt? Nur Wasser und Suppe? Nachdenklich beiße ich ab. Ich könnte nie auf diesen Geschmack verzichten, das herbe Brot, die süße Marmelade...

Violetta schnappt sich ihre Tasche mit den Noten und steigt in mein Auto. Schweigend verläuft die Fahrt, keiner weiß so Recht, ob wir über Angie sprechen sollen oder nicht. Ich parke das Auto nachdem Violetta ausgestiegen ist und von ihren Freunden umringt wurde. Sie gehen direkt in das Studio, kein Wunder, es gibt viel zu erzählen und zu singen. Ich mache mich auf die Suche nach Pablo und finde ihn in seinem Büro. Er ordnet gerade seine Unterlagen, als ich eintrete. "German", begrüßt er mich. Ich nicke ihm zu. "Antonio kommt auch", erzählt Pablo und bittet mich Platz zu nehmen. Das Büro ist vollgestellt mit Regalen und Ordnern, Urkunden, Preise, CDs und jede Menge Noten. Die Musikalität ist nahezu spürbar. Kurze Zeit später tritt Antonio ein und schließt die Tür. "Wie geht es Angie?", fragt er sofort. In seinem Gesicht sind deutlich Sorgenfalten sichtbar, Angie ist im wichtig. Antonio und Pablo müssen mehr erfahren, so beginne ich zu erzählen:" Momentan ist Angie auf Station. Neben den Problemen mit dem essen hat sie ein Problem mit dem Herzen, außerdem leidet sie unter starkem Schwindel. Jedoch möchte oder kann Angie nicht verstehen, was mit ihr los ist. Jeglicher Versuch sie zur Vernunft zu bringen ist zum Scheitern verurteilt. Ich komme nicht mehr an sie heran. Sie wirkt so zerbrechlich, so schwach und doch muss sie gleichzeitig unfassbar stark sein, sonst wäre sie schon längst zusammengebrochen." Antonio und Pablo wechseln einen langen Blick. "Das klingt nicht gut", murmelt Pablo. Egal wie wenig ich ihn leiden kann; in solchen Momenten müssen alle zusammenhalten. "Meine liebe Angeles", flüstert Antonio. "Hältst du und auf dem Laufenden?", erkundigt sich Pablo. Ich nicke. "Tut mir Leid, ich muss wieder an die Arbeit", entschuldigt sich Pablo. Antonio und ich verstehen und verlassen das Büro. "Wie konnte es soweit kommen?", fragt Antonio, ehe er in einem Probenraum verschindet. Das frage ich mich auch.

Wieder zuhause setze ich mich an meinen Computer. Ich muss mich etwas schlau machen, vielleicht gibt es ja Tipps im Internet. Ich öffne eine Seite und lese den Artikel langsam durch: "Magersucht ist ein typischer Teufelskreis, einmal drin, kommt man kaum wieder heraus. Das ständige Kalorienzählen, das strenge Fasten gepaart mit anstrengenden Sporteinheiten und dem Kontaktverlust zum familiären Umfeld schadet sowohl Körper als auch Psyche. Schwindel, Kaliummangel, Osteomalazie und Herzrythmusstörungen können die Folgen sein. Ebenso rutschen viele in schwere Depressionen, spielen mit dem Gedanken an sich selbst,oder verlieren Kontakte und das Vertrauen in sich selbst. Beinahe jeder 4. an Magersucht erkrankte Mensch verstirbt, sowohl an den Folgen oder auf Grunde eines Suizid." Vielleicht hätte ich diesen Artikel lieber nicht gelesen. Eine panische Sorge um Angie ergreift von mir Besitz und ich greife zu meinem Handy. Ich muss jetzt ihre Stimme hören und sichergehen, dass es ihr gut geht.Es klingelt lange, doch keiner nimmt ab. Ich versuche es erneut, eine mir unbekannte Frauenstimme meldet sich. "Lucia, mit wem spreche ich?" "Hier spricht German Castillo, ist Angeles Carrara zu sprechen?", erkundige ich mich. "Nein, sie ist momentan nicht auf ihrem Zimmer", antwortet mir die Frau am Ende der Leitung. "Wo ist sie denn?", hake ich nach, doch Lucia kann mir nicht weiterhelfen. Sie habe sie schon länger nicht mehr gesehen, werde ihr aber ausrichten, dass ich angerufen habe. Wer weiß wo Angie gerade ist? Nervös beginne ich in meinem Büro auf und ab zu laufen. Nie waren meine Sorgen größer als gerade, wenn keiner weiß wo Angie ist, wenn Angie sich etwas antun will? Man wird keine Kamera installiert haben und wenn das Personal beschäftigt ist, kann Angie alles tun. Dass Angie wieder wegrennt halte ich für unwahrscheinlich. Ich verspüre einen ziehenden Schmerz an meinem Bein, die Wunde macht sich bemerkbar. In meinem Hinterkopf erinnere ich mich an meinen Plan, ich werde in umsetzen müssen, ich kann Angie nicht im Stich lassen. Sie bedeutet mir mehr, als ich es zugeben würde und braucht meine Unterstützung, ob sie es einsieht oder nicht.