69. Kapitel: German

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Seit ich mit Lucia geredet habe, bin ich nicht mehr zu beruhigen und laufe unentwegt mit großen, nervösen Schritten durch mein Schlafzimmer. Zum Glück sucht Violetta mich nicht, ich will ihr nicht die Wahrheit über Angie sagen. Ich kann Angie nicht einfach in diesem Krankenhaus liegen lassen, ich muss zu ihr, mit ihr reden, sie beruhigen. Es macht mich kirre, dass ich nicht weiß, wie es ihr geht oder was sie gerade tut. Ich muss zu ihr, ich brauche sie. Ein egoistischer Teil in mir hofft, dass sie dasselbe denkt. Ich wünsche mir so sehr, dass Angie versteht, dass sie nicht alleine auf der Welt mit ihren Problemen ist und dass sie mich braucht. Das zu akzeptieren wird ihr nicht leicht fallen, dessen bin ich mir absolut bewusst, aber das wäre so gut für sie, das wäre so ein Fortschritt. Dass ihre Essstörung sie in Depressionen gezogen hat, muss mir niemand mit medizinischer Fachausbildung erzählen, das merke ich auch so, mit jedem Augenblick, den ich in ihrer Nähe verbringe, jede Sekunde, die sie zögert, wenn es um ihre Gefühle geht, jeglichen pessimistischen Gedanken, die mich traurig machen. Es tut mir in der Seele weh, sie so zu sehen, zu sehen, wie sie sich selbst fertig macht, wie sie sich noch immer nach und nach zerstört. Vielleicht werden ihre körperlichen Symptome in der Klinik behandelt, aber wie es ihr psychisch geht, interessiert die Ärzte nur indirekt. Dafür braucht sie jemanden, dem sie absolut vertrauen kann. Das ist der Moment, an dem ich ins Spiel komme. Ich kann nicht mit ansehen, wie sich die liebreizende, wundervolle Frau immer näher an den Abgrund bewegt, ohne davon Notiz zu nehmen. Ich muss zu ihr, mit ihr reden, für sie da sein. Das ist, wo ich gerade am allermeisten gebraucht werde. 

"Lucia, ich muss in die Klinik", eröffne ich ihr wenig später. Violetta ist gerade mit Ramallo und Olga los um uns etwas für das Abendessen zu besorgen und so können Lucia und ich uns ungestört unterhalten. "Ich weiß nicht", zweifelt sie, doch ich unterbreche sie sofort. "Nein, ich dulde keinen Widerspruch, ich kenne Angie. Sie braucht mich, sie braucht jemanden zum Reden, egal wie sehr sie versucht, das Bedürfnis auszublenden. Ich kann sie nicht verlieren, ich kann doch nicht tatenlos zuschauen, wie sie zerbricht an dem Druck, für den sie ganz alleine sorgt. Sie braucht mich, ich kann nicht hier bleiben und meiner Tochter eine heile Welt vorspielen, während mich innerlich etwas auffrisst. Ich liebe sie, Lucia, ich kann jetzt nicht anders, ich muss zu ihr", erkläre ich ihr. Nachdenklich starrt Lucia mich an, sie scheint über meine Worte nachzudenken. "Ich habe selten einen Mann so über eine Frau sprechen hören. Du hältst zu ihr, egal, was sie gerade durchmacht, egal, wie sie dich behandelt, du stehst ihr bei und zeigst ihr, dass du für sie da bist und sie sich auf dich verlassen kann. Du bist ihr Fels in der Brandung, ohne dich... Ich finde deine Leistung unglaublich, du bist genauso stark wie Angie. Aber ich möchte dir eins sagen. Wenn du nicht mehr kannst, wenn du mit der Belastung überfordert bist, dann sag Bescheid. Rede mit ihr und mit mir darüber. Der Mensch hat eine Belastungsgrenze und wenn diese überschritten wird, geht es mit dir bergab. Und wenn das passiert, stürzt auch ihre Welt ein. Glaub mir, ich habe das schon mehr als einmal erleben müssen und das ist alles andere als schön. Sich das einzugestehen ist keine Schande. Wenn du mir versprichst, dass du mir rechtzeitig Bescheid sagst und aufhörst, wenn du nicht mehr kannst, erkläre ich mich bereit, dir Violetta, Ramallo und Olga vom Hals zu halten, damit du zu Angie kannst", erzählst sie mit verklärter Stimme. Ihre Worte berühren mich, sie hat Recht, so habe ich das noch nie betrachtet. "Ich verspreche es", gelobe ich feierlich. "Dann los mit dir", fordert sie mich auf. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen.

Ich zittere, als ich die Klinik betrete. Ich habe unbändige Angst, was jetzt passiert. Es ist, als hätte sich die Angst eingenistet und zieht mich von innen zusammen. Meine Stimme und meine Hände zittern, als ich eine Schwester nach Angie frage. Sie gibt mir die Auskunft und ich folge den Schildern. Dann stehe ich vor ihrer Tür. Unschlüssig. Voller Panik. Voller Liebe und Besorgnis. Ich drücke die Türklinke mit schweißnassen Händen nach unten und ziehe langsam die Tür auf. 

Als Erstes muss ich meinen Blick senken. Aus einem Fenster fällt grelles Sonnenlicht in das Zimmer, was gemeinsam mit dem anstandslos reinem Weiß der Wände beinahe unansehbar reagiert. Angie. Meine Gedanken werden von einem einzigen Wort, einem einzigen Namen eingenommen. Ich eile auf ihr Bett zu. Angie hat den Kopf zu mir gedreht und auf ihrem blassen Gesicht ruht ein vorsichtiges Lächeln. "Ich hab doch gesagt, ich will niemanden sehen", murmelt sie heiser, aber ich höre, dass sie es nicht ernst meint. Ich bin mindestens so erleichtert wie sie, ich dachte, sie schreit mich an. Doch dafür scheint sie zu schwach zu sein. Erschöpft sieht sie aus. Erschöpft, kaputt, ausgelaugt. Das Lächeln mildert den Schmerz in meiner Seele. Da huscht ihr ein anderer Ausdruck auf das Gesicht, den ich bis zu ihren Worten gar nicht deuten kann. "Ich kann nicht mehr so weitermachen. Ich will mein Leben zurück, ich will keine Angst haben, keine Schmerzen, ich will etwas Positives in meinem Leben, ich will Glück erfahren, Glück, Liebe, Freude, ich will aufstehen und mich auf den Tag freuen können ohne, dass mir das alles wie eine große Qual vorkommt. Ich will ich sein, so wie ich war, bevor ich mich kaputtgemacht habe, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Ich fühle mich so leer, so zerrissen! Ich denke Dinge, die mich abstoßen, ich bin nicht mehr der Mensch, der ich war, der Mensch, den jeder mochte, der Mensch, den ich mochte. Ich habe mich verwandelt. In ein Monster, das Hilfe ablehnt, das seine Familie abstößt, das alles blockiert, was mir gut tut. Ich will das nicht, aber ich weiß nicht, wie ich das ändern soll! Ich habe Angst davor, so schreckliche Angst, was passiert, wenn ich einem Menschen, dem ich vertraue erzähle, was in mir vorgeht. Ich will nichts verlieren, das kann ich nicht, das schaffe ich nicht. Es fühlt sich alles so falsch an, auch wenn ich weiß, dass es richtig ist. Ich muss mit jemandem reden, mit dir, du verdienst es. Es tut mir so Leid, ich...ich-", stürzt es aus ihr hervor, dann bricht sie in Tränen aus. Ich bemerke, dass auch mir Tränen über die Wangen laufen. So ehrlich war sie schon lange nicht mehr. Noch nie hat sie so über ihre Gefühle gesprochen, noch nie hat sie mir so viel über sich selbst offenbart. "Ich liebe dich mehr als du denkst, mehr als du dir vorstellen kannst und das wird auch immer so bleiben!", bricht es aus mir hervor. Die Ehrlichkeit in unseren Worten macht mich fertig, laugt mich aus, geben den Tränen Nachschub. Die Tränen sind an richtiger Stelle, auch bei Angie. Ich bin gleichzeitig so glücklich und so traurig, dass ich nicht mehr klar denken kann. Aber bei Angie zählt das nicht. Hier zählt die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Und die Liebe. Und all das ist gerade vorhanden.


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Hey, am liebsten würde ich gerade stundenlang weiterschreiben, aber das geht leider nicht. Ich bin leider die nächsten zwei Wochen im Urlaub und habe leider kaum Internet, das heißt konkret, die nächsten Woche werden leider keine weiteren Kapitel kommen können. Ich hoffe, wir sehen (-lesen-) uns dann wieder (: Bis dahin, an diejenigen, die noch Ferien haben wie ich, genießt die freie Zeit und an die, die schon wieder Schule haben: Das wird schon! Liebe Grüße und wie immer danke; für euer Engagement, für Votes, Kommentare und dafür, dass ihr das hier und die Geschichte allgemein lest und sie Woche für Woche verfolgt. Danke (:

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