6. Kapitel: Angie

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1 Jahr später


Gähnend wachte ich auf. Es war erst 6 Uhr morgens und gut geschlafen hatte ich seit langem nicht mehr. Täglich quälten mich Albträume, brachten mich um meinen Schlaf und langsam auch um meinen Verstand. Die häufigen Anrufe von German und Violetta ignorierte ich mit schlechtem Gewissen. Was sich meine Nichte für Sorgen machte, konnte ich mir lebhaft ausmalen. Ich kämpfte mich aus meinem Bett und zog mich an. Mit Müdigkeit in den Knochen setzte ich mich auf meinen kleinen Balkon. Als mein Beschluss gefallen war, Buenos Aires entgültig zu verlassen, hatte ich mich sofort um eine Wohnung gekümmert. Sie hatte mich sofort gefallen, besonders die großen, weißen Zimmer hatten mir es sofort angetan. In einem Zimmer stand ein Klavier. Für meinen Beruf als Komponistin, den ich hier angenommen hatte, verwendete ich ihn mehrmals täglich und es verzaubert mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich den Tasten eine wunderschöne Melodie entlocken konnte. Die Lieder, die ich komponierte, waren jedoch von einem Thema geprägt: Der Sehnsucht nach Freunden, nach Vertrauen. Bei dem Gedanken an Vertrauen, schnaubte ich. Das war die letzte Aufgabe im Studio gewesen, die ich mitbekommen hatte. Doch Vertrauen ist ein großes Wort und das Vertrauen hatte sich von mir entfernt. Ich kam kaum noch aus dem Haus, außer um meine Partituren abzuliefern, etwas einzukaufen oder eine kurze Runde durch den Park zu spazieren oder zu joggen. Auch hatte ich mir keine Freunde gesucht, zu tief saß der Schmerz. Wenn ich meine Augen schloss, sah ich German vor mir, Arm in Arm mit Esmeralda und wie sie mir ihre Hand hinstreckt. Mit dem Ring, den ich so gerne an meinem Finger gespürt hätte. Die Sehnsucht nach meinem Schwager zerriss mich innerlich. Mein Taschentuch-Bedarf hatte sich enorm erhöht, es verging kein Tag ohne Tränen. Tief in mir schlummerte das Schwarze Loch, die Leere die sich ausbreitete wie ein Virus und meine teilweise noch gute Laune verschlang. Das Lächeln, das ich mir abrang, wenn ich die Partituren ablieferte, schmerzte tief in meiner Seele wie Verrat. Die Vorstellung, dass German in diesem Moment mit Esmeralda auf der Couch saß, eng aneinander gekuschelt, trieb mir erneut Tränen in die Augen.

Doch da war eine Sache, die mich beschäftigte. Warum sollte mich German anrufen, wenn er gerade mit Esmeralda beschäftigt war? Er hatte den Brief gefunden, vermutlich mit Violetta und Violetta wollte, dass er sich bei mir entschuldigt? Wahrscheinlich. Ich stand auf und lief in die Küche. Mein Hals war extrem trocken, weshalb ich mir einen Tee machte. Hunger hatte ich keinen, es war, als hätte sich etwas um meinen Magen gelegt. Zu große Portionen führten zu Übelkeit, deshalb nahm ich weniger zu mir. Ich hatte Obst, Gemüse,Joghurt, etwas Brot und Nüsse im Haus.

Mein Handy klingelte. Es war Miguel, mein Chef. "Angie, guten Morgen, kannst du dein Lied bis Ende der Woche fertig komponieren? Wir bräuchten es nächste Woche?", fragte er wie immer mit seiner nervösen Stimme. "Das dürfte ich hinbekommen", antwortete ich ihm. Er verabschiedete sich und legte auf. Er war ein einer meiner wenigen Kontakte zu der Außenwelt und eigentlich ein guter Mensch. Er arbeitete jedoch den ganzen Tag und seine nervöse Stimme konnte einem auf Dauer ziemlich auf den Keks gehen.

Ich setzte mich an das Klavier, stellte das Lied fertig, es brauchte keinen Text, den sollten die Schüler der örtlichen Musikschule übernehmen. Ich war zufrieden und schnappte mir ein Buch um es mir bequem zu machen. Da klingelte es plötzlich an der Tür. Das war ungewöhnlich, eigentlich kam nur Miguel vorbei, und der konnte es nicht sein, da er mit mir erst vor kurzem telefoniert hatte.

Verwundert lief ich zur Tür und öffnete sie. Als ich Pablo dort erblickte, rutschte mir mein Herz in die Hose. Sprachlos starrte ich ihn an, auch er schaute mich nachdenklich an, aber er sollte doch wissen, wieso er hier war. Was wollte er denn hier? Ich bat ihn einzutreten und wir setzten uns auf die Couch. "Was willst du?", fragte ich ihn ziemlich unfreundlich. "Was ist los mit dir Angie ? Ich hatte gehofft, es geht dir besser", sagte er vorsichtig. Was sollte denn das? "Mir geht's prima, das siehst du doch", antwortete ich ihm knapp. Wenn es um German ging, war er eindeutig der falsche Ansprechpartner. "Das Einzige was ich sehe, ist, dass du wohl nichts gegessen hast, und das seit Tagen. Du bist ja richtig dürr!", sagte er mit einem Zittern in der Stimme, dass ich nicht deuten konnte. "Lass mich!", knurrte ich ihn an, mein Essverhalten ging ihn nichts an. Er schaute mich traurig an. "Angie, soweit muss es doch nicht kommen!" Ich wollte nur noch, dass er verschwand, ich wollte mich nicht vor ihm behaupten müssen, dazu fühlte ich mich zu schwach. "Verschwinde Pablo, bitte", sagte ich leise. "Du musst das klären. Ich lasse dir mein Handy da, du rufst German an, ihr klärt das und ich bin weg, einverstanden?", erklärte er. Ich dachte ich träume. Gemeinsame Sache mit dem Herzensbrecher? Toller Pakt, mein Lieber. "Geh bitte", forderte ich Pablo noch einmal auf. Er legte sein Handy auf den Tisch und ging Richtung Tür. "Bitte", setzte ich verzweifelt hinzu und er trat hinaus. Beim Schließen der Tür, sah ich noch seinen verletzten und verwirrten Blick, dann setzte ich mich auf den Boden. Hatte ich mich tatsächlich so verändert? Tränen liefen meine Wangen hinab, ich wischte sie fort. Mit zitternden Händen und weichen Knien ging ich auf die Couch zu. Dort lag Pablo's Handy. Ich nahm es und entsperrte es. Kein Code, vermutlich war es geplant. Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn und ich gab German's Nummer ein. Ich konnte sie immer noch auswendig. Dann drückte ich auf Wählen. Bereits nach dem ersten Klingeln nahm er ab. "German Castillo", meldete er sich. Seine Stimme gab mir den Rest. Ich ließ das Handy sinken und legte auf. Schluchzer entfuhren mir, mein Körper schüttelte sich und ich wurde plötzlich wütend auf mich selbst. Wieso hatte ich mich nur in ihn verliebt? Wieso hatte er Esmeralda? Wieso fühlte sich das alles so verdammt schlecht an? Ich schmiss das Handy fort von mir. Dann nahm ich einen Zettel, schrieb seine Nummer darauf und lief in die Küche um sie zu verbrennen. Mit zitternden Fingern wühlte ich nach einem Feuerzeug, doch es war keines auffindbar. Ich war fertig mit meinen Nerven und spürte, wie ich langsam die Tür hinunterglitt und mein Kopf auf dem Boden aufkam. Dann wurde es dunkel...

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