19. Kapitel: German

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Ich versuche einen Blick auf den Zettel zu erhaschen, doch vergeblich. Was immer Angie darauf schreibt, ich soll es anscheinend nicht zu Gesicht bekommen. Etwas geht in ihr vor, sie verändert sich. Anscheinend kann oder will sie sich mir nicht anvertrauen. Ich beobachte sie aus den Augenwinkeln beim Schreiben. Bis auf die Angespanntheit an ihrem ganzen Körper und ihren verzweifelten Gesichtsausdruck sieht sie aus wie früher. Eine Strähne ihres blonden Haares fällt ihr ins Gesicht, abwesend streicht sie diese zurück. Es ist nicht nur ihr Verhältnis zum Essen, das sie anders aussehen lässt, ihre deutliche Verzweiflung bemerkt man bei genauerem Betrachten in jeder Bewegung. Ihre Hände zittern unmerklich. So gerne hätte ich diese jetzt genommen und ihr gut zugesprochen, doch meine Intuition sagt mir, dass das keine so gute Idee wäre. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, dass sie fertig ist, mich mit ihren bezaubernden blauen Augen anschaut und mit mir spricht.

Ich merke, wie ich langsam anfange, anders über sie zu denken. Ich hätte etwas merken sollen und doch weiß ich, dass ich alleine nichts bewirken kann. Violetta sitzt bestimmt noch immer am Klavier und hofft, dass ich Arm in Arm mit Angie aus dem Zimmer spaziere. Oder sie spielt Klavier. 

Ein Rascheln erweckt meine Aufmerksamkeit. Angie ist fertig, hat den Zettel vielfach gefaltet und versenkt ihn in ihrer Hosentasche. Einen Moment lang sagt keiner von uns ein Wort. Ich beobachte Angie, Angie beobachtet mich. Dann durchbricht sie die Stille. "Was denkt Vilu über mich?" "Du wirst für Vilu immer ihre Tante bleiben. Ich weiß nicht genau, was sie denkt, aber sie vermisst dich. Sie macht sich Sorgen, sie möchte ihre Tante zurück", antworte ich wahrheitsgemäß. Angie sieht mich nachdenklich an. Zu meiner Überraschung steht sie auf und beginnt in kleinen Kreisen das Zimmer zu umrunden. Dann bleibt sie plötzlich vor mir stehen. "German, geh zu Violetta und sag ihr, dass ich sie lieb habe. Sie ist das Wichtigste in meinem Leben. Und sag ihr, dass Pablo und Leon sie brauchen. Flieg mit ihr zurück nach Buenos Aires und bestärke sie in allem, was sie vorhat. Leon ist ein guter Junge, er wird Vilu helfen, über mich hinwegzukommen. Keine Widerrede, tu es einfach." Ich brauche einen Moment, ehe ich realisiere, was Angie mir da gerade gesagt hat. Ich bin fassungslos. Wie kann das sein? Eben war ich mir noch sicher, dass sich die ganze Situation wieder normalisieren wird und jetzt das. Natürlich, Violetta muss zurück ins Studio, aber sie vergessen? "Angie, ich bitte dich. Violetta hat ihre Mutter verloren, lass sie nicht auch noch ihre Tante verlieren!", bitte ich meine Schwägerin. Diese schüttelt blass den Kopf. "Tu's", sagt sie. Die Vorstellung jetzt einfach zu gehen zerreist mich beinahe. "Rede mit ihr selbst", fordere ich sie auf, ich muss versuchen aus der Situation das Beste zu machen. Angie senkt den Kopf. "Ich kann nicht. Nimm sie an der Hand und tu es. Tut so, als wärt ihr nie da gewesen, bitte." Ich merke, wie verzweifelt Angie ist. Sie scheint nicht mehr klar zukommen, sie kann nicht mehr. Selbst der stärkste Mensch ist irgendwann am Ende seiner Kräfte. Langsam steigt in mir der Ärger auf, ich möchte meine Wut nicht an Angie herauslassen, das darf nicht passieren. Sie hebt ihren Kopf und schaut mich niedergeschmettert an. "German, wenn ich es nicht für das Richtige halten würde, dann würde ich es auch nicht sagen!" Da brach es aus mir heraus. "Angie, jetzt hör mir mal genau zu. Ich versteh ja, dass dich diese verdammte Magersucht völlig fertigmacht, aber das du jetzt anfängst, mit den Gefühlen anderer zu spielen, das lasse ich nicht zu. Das hier macht uns  auch fertig. Ich kann nie vorhersehen, wie du auf ein Wort von mir reagierst, bist entweder gereizt oder deprimiert. Angie, wir wollen dir helfen! Violetta und mir bist du verdammt nochmal wichtig!" Angie schaut mich an, als hätte ich sie gerade geschlagen. Wieso konnte ich mich nur nicht zurückhalten? Vielleicht hätte ich sie noch überzeugen können. Ich mache einen Schritt auf Angie zu, doch diese weicht zurück. Sie weicht meinen Blicken aus, doch trotzdem erkenne ich die Tränen, die über ihre Wangen strömen. "Ich kann meine Sorgen um dich nicht einfach abstellen", sage ich leise. Angie blickt mich überrascht an. "German..ich...ich kann nicht einfach sagen, Schluss jetzt, jetzt ess ich wieder normal. Ich habe es versucht, ich kann nicht. Als, als wäre das Essen vergiftet, als könnte ich daran sterben. Ich kann nicht", beichtet sie mir leise. Die Vorstellung ist für mich absurd. Wie kann man nichts essen können? "Dass du es versucht hast, zeigt, wie stark du bist", versuche ich ihr gut zu zusprechen. Wieder schüttelt sie den Kopf. "Solange ich das nicht kann, kann ich auch nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Ich bin nicht okay!" Eine weitere Träne rollt über ihre Wange. "Ich möchte euch nicht verletzen, geht zurück und kommt später wieder. Ich.. ich werde alles versuchen um wieder zu normalisieren. Aber ich fürchte du hast Recht, nie wird es so wie früher, nie. Egal, was ich tue, ich werde diese Zeit nicht vergessen können und ihr werdet das auch nicht. So etwas lässt einen nicht einfach wieder los", flüstert sie. Was soll ich nur antworten? Sie hat ja Recht, es ist eine andere Seite von Angie, ich für meinen Teil, werde die letzten Tage nicht vergessen. Wie früher, nein, das wird nicht möglich sein. Wenn Angie alles versucht, sich eine Auszeit nimmt, ohne uns... Violetta wird niemals einverstanden sein, wenn wir abreisen. Aber vielleicht müssen wir das auch gar nicht... Neben mir schwankt Angie plötzlich und stütz sich an der Wand ab. Sie atmet schnell und zittert am ganzen Körper. Ihr Herz? Ich Idiot, sie ist fort aus dem Krankenhaus, keiner weiß, wie ihre Herztöne aussehen, ob sich wieder etwas anbahnt, wobei wir ärztliche Hilfe benötigen. "Angie?", frage ich deshalb nach. "Alles gut", spielt sie die Attacke herunter. Nachfragen ist wahrscheinlich sinnlos. "Angie, wäre es für dich besser, wenn wir nicht hier wären? Wenn Vilu und ich tatsächlich zurückfliegen? Sie ist noch ein Kind, vielleicht sollte sie wirklich zurück ins Studio", fange ich zögerlich an. "Eventuell", sagt sie leise. Ich merke ihr deutlich an, wie viel Aufwand ihr diese Worte bereiten. "Aber du redest mit Vilu", erkläre ich ihr die Bedingung. Erschrocken schaut mich Angie an. Irgendetwas stimmt hier gerade nicht. Hier ist mehr als Angies Magersucht. Und ich habe da so meinen Plan.....

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Hey : )

So, leider kann ich frühestens am 13.09. wieder updaten, da ich ab Freitag im Urlaub bin. Aufgrund der höchstwahrscheinlichen Überbelastung des Internets, kann ich dort leider nicht updaten :( 

Noch einmal Dankeschön ^^

Germangie-DownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt