12. Kapitel: Angie

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Danke für die lieben Worte :)


Ich sitze auf einer Wiese. Sie ist grün, nicht so dunkelgrün mit teils schon vertrockneten Grashalmen wie auf einer normalen Wiese, nein, diese Wiese ist hellgrün, üppig und scheint endlos. Ich sitze hier und lausche den Gesängen der Vögel, blicke auf die bunten Blumen und bewundere den hellblau strahlenden Himmel. Es ist wunderschön hier, dann treten zwei Personen in mein Blickfeld. Auf den ersten Blick erkenne ich die beiden, German und Violetta. Ich spüre wie etwas in mir schreit, doch ich kann es nicht zuordnen. Die Beiden kommen auf mich zu, winken, lächeln, lachen. Ich stehe auf, mache einen Schritt nach vorne und ein breiter Spalt zieht sich zwischen mir und Violetta mit ihrem Vater. Die Beiden sehen diesen Spalt nicht, laufen weiter, ich mache noch einen Schritt, der Spalt wird größer. Immer noch laufen sie, rufen meinen Namen. Es sind nur noch wenige Meter, panisch blicke ich Violetta an, sie bleibt stehen, es sind nur wenige Schritte bis zu dem breiten und tief aussehenden Spalt. Sie ruft German etwas zu, der jedoch scheint sie nicht zu hören, er blickt mir geradewegs in meine Augen. Ich schaue zwischen dem Spalt und German hin und her, versuche zu schreien, doch mir entweicht kein Laut. In entsetzlicher Stille stürzt German den Spalt hinab. Ich starre ihm hinterher, unfähig mich zu bewegen. Ein Schrei durchbricht die Stille. "Ich hasse dich, Angie!" Es ist Violetta die schreit.

Keuchend richte ich mich auf. War das nur ein Traum? Lebt German noch? Hasst Violetta mich? Ich atme schneller. Sie hasst mich, ich konnte nichts sagen, meinetwegen ist German gestorben. Eine Tür öffnet sich quietschend, Monsieur Bouvier tritt ein. Er eilt zu meinem Bett, legt mir eine Hand auf die Stirn und schaut mir in die Augen. Er hat braune Augen, wie German. Wieder atme ich schneller. "Atmen Sie ruhig ein und aus", ordnet Monsieur Bouvier an. "Langsam" Ich bemühe mich, mein Atem geht langsamer. "So ist es richtig", lobt er mich. Ich streiche mir meine verschwitzten Haare aus der Stirn. "Wieso bin ich nicht in meinem Zimmer?", frage ich, als ich merke, dass das Zimmer ganz anders aus sieht als das, in dem ich lag, bevor ich geschlafen hatte. "Sie hatten schwere Herzrythmusstörungen, den Grund kennen wir nicht, etwas muss passiert sein, eine Panikattacke oder ähnliches, daraufhin hat ihr Herz zu schnell geschlagen", erklärt er mir. Klar, Violettas Anruf, ich muss ziemlich heftig darauf reagiert haben. Ich wende meinen Blick von meinem behandelnden Arzt ab und schaue geradeaus. Da nehme ich eine Bewegung war. Hinter der Glasscheibe erkenne ich die Schatten zweier Personen, die eine groß und ein Mann, die andere zierlich und kleiner. Violetta und German schießt es mir augenblicklich in meine Gedanken. German schaut mich an. Seine braunen Augen mustern mich besorgt, wandern über meinen Körper, durch das Zimmer und gleiten zurück zu meinem Gesicht.  Ich schaue in an, betrachte seine braunen Augen, ignoriere die Gefühle, die durch meinen Körper strömen. Wieso ist er hier? Monsieur Bouvier folgt meinem Blick und seufzt. Dann sagt er:" Sie sollten dringend schlafen. Wenn Sie keine weiteren Probleme bis morgen haben, dürfen Sie morgen ein paar Minuten Besuch empfangen. Ich rate Ihnen, sich gründlich auszuruhen. In ein paar Stunden kommt eine Schwester und schaut noch einmal nach Ihnen." Er verlässt das Zimmer. Mein Blick gleitet wieder zum Fenster, doch German ist nicht zu sehen. Vermutlich ist er mit Violetta raus gegangen. Ich schließe meine Augen und drehe mich vorsichtig auf die Seite. Wenn Violetta da ist, wird sie mich kaum hassen. Und Germans Augen waren so voller Güte, auch er wird nichts gegen mich haben. Aber was ist mit mir? Habe ich etwas gegen die beiden? Oder einfach nur gegen mich selbst? 

"Guten Morgen, wie geht es Ihnen?", erkundigt sich am nächsten Morgen eine freundlich lächelnde Schwester. "Danke, besser als gestern", antworte ich. "Gut zu hören, hier ist Ihr Essen, ich komme in drei Stunden mit Ihrem Besuch wieder vorbei. Guten Appetit", sagt sie und geht. Ich starre das Essen an. Kartoffelsuppe, dazu Vollkornbrot. Die Suppe ist heiß, sie dampft noch. Ich kann gerade nichts essen. Langsam schiebe ich die Suppe zur Seite. Ich habe Durst und schnappe mir die Wasserflasche. Zug um Zug trinke ich die Hälfte. Dann lege ich mich wieder hin. Wie es dem Studio gerade geht? Dann erinnere ich mich an das Gesicht von Pablo, als er in meiner Wohnung stand. Als wäre ich ein anderer Mensch. Ich erinnere mich an das Lachen von Esmeralda, als sie den Ring am Finger stecken hat. Wie ich aus der Wohnung gestürzt bin. Und ich erinnere mich an German. An seine braunen Augen, die mich traurig und verletzt anstarren. Wie er hinunterstürzt. Und schließlich an unseren Kuss, der schon Jahrhunderte her zu scheinen scheint. 

"Angie!", ruft Violetta zwei Stunden später. Sie schnappt sich einen Stuhl und setzt sich neben mich. German steht am Ende meines Bettes. Traurig sieht er aus. Wieso? Liegt es an mir? "Hallo", begrüßt er mich, seine Stimme klingt rau. Kein Lächeln auf seinem Gesicht, nur Schmerz. Ich beobachte ihn, studiere seine Blicke, achte auf alles. "Ich habe dich vermisst", durchbricht Violetta die Stille. Ich riskiere einen weiteren Blick auf German. Sein Blick ruht auf meinen Augen. Urplötzlich lächelt er. Ich kenne dieses Lächeln. Es ist das Lächeln aus meinem Traum, kurz bevor er gestürzt ist und Violetta mich gehasst hat. "Nein!", rufe ich panisch. "German, du machst einen großen Fehler!" Verwundert schaut Violetta mich an. "Angie?", fragt sie nach, nicht nur Verwunderung schwingt in ihrer Stimme mit, auch Angst. "German, nicht, du musst leben! Ich hätte es verdient, du musst für deine Tochter da sein! Geht! Nimm Violetta German und fliege mit ihr zurück nach Buenos Aires!", ruf ich panisch, verzweifelt und durcheinander. German darf nichts passieren! "Violetta, wartest du bitte draußen?!", befiehlt German. Diese kommt seinem Befehl nach. "Angie, mir geht es gut. Hör auf dich fertig zu machen, glaube an dich! Du musst stark sein und diese Stärke kommt aus dir!", flüstert er sanft. Wieso hasst er mich nicht? "German, du musst gehen, sonst...", fange ich an, doch German legt mir sanft einen Finger auf meine Lippen. "Ich gehe, Angie. Wenn etwas ist, ruf mich an. Wenn du mich nicht sehen willst, werde ich das akzeptieren müssen. Ich warte auf deine Nachricht. Ich werde dich nicht vergessen", sagt er leise und verlässt das Zimmer. Alles Möglich schießt durch meinen Kopf. Er hasst mich nicht, er denkt an mich. Und doch hat er mich kaputt gemacht, mich so oft verletzt. Was ist echt? Auf was soll ich hören?

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