Julia zog sich eilig an, während Jonas nach dem Autoschlüssel suchte, den er offenbar verlegt hatte. „Wo ist das Ding?", fragte er und warf bei der Suche eine Zeitschrift vom Wohnzimmertisch. „Ich hatte ihn doch dahin gelegt."
„Warte, ich glaube, ich weiß wo er ist," sagte Julia. „Schau doch einfach mal am Schlüsselbrett im Flur nach," sagte sie. „Dort müsste er eigentlich hängen. So wie immer."
Jonas eilte in den Flur. „Du hast recht. Hier ist er. Aber...wir müssen..."
Julia rückte ihren Pullover noch ein wenig zurecht, dann nahm sie ihrem Mann den Autoschlüssel aus der Hand.
„Ich fahre. Du bist zu aufgeregt. Es nützt keinem was, wenn du jetzt einen Unfall baust und wir auch noch im Krankenhaus landen. Bei dir heilt ja alles schnell. Bei mir könnte es länger dauern..."
„Julia!", klagte Jonas ein wenig ungehalten. „Die Bemerkung war nicht nötig. Zwei Notfälle in einer Nacht reichen. Und wir wissen nicht mal genau, was eigentlich los ist. Diese blöde Schwester sagte nur, dass mein Vater und Lucas auf den Intensivstation liegen. Aber sie hat nicht gesagt, warum. Das müsse der Arzt machen und der sei gerade nicht zu sprechen..."
Beide eilten aus dem Haus und stiegen ins Auto. „Jetzt beruhige dich mal. Die Autobahn ist um die Zeit leer. Also werden wir wenigstens nicht in einen Stau geraten. In einer halben Stunde sind wir da!"
Sie sah auf die Zeitangabe im Auto. Es war mittlerweile halb drei Uhr in der Nacht. Eine halbe Stunde zuvor hatten sie den Anruf erhalten.
Auch sie sorgte sich um Lucas und ihren Schwiegervater. Gab es Probleme mit Georgs Herz? Damit hatte er doch schon seit längerem zu kämpfen? Aber warum war Lucas dann ebenfalls im Krankenhaus?
Handelte es sich um eine Kleinigkeit? Das glaubte sie nicht. Dann hätten Georg oder Lucas sich doch selber oder vielleicht überhaupt nicht gemeldet. Oder bis zum nächsten Morgen gewartet.
Hatte es vielleicht einen Unfall gegeben?
Eine dreiviertel Stunde später stand Jonas, eine sichtlich übermüdete Julia im Schlepptau, einem Krankenpfleger vor der Intensivstation gegenüber.
„Ich frage das jetzt schon das zweite Mal," sagte der Dämonenjäger ungehalten und starrte den Mann so an, wie er sonst Dämonen, die kurz davor standen, von ihm enthauptet zu werden, anstarrte.
„Ich sagte bereits, dass ich Ihnen nichts über den Zustand Ihres Vaters und Ihres Bruders sagen darf. Tut mir leid, aber ich habe meine Vorschriften," sagte der Pfleger und er schien es wirklich zu bedauern, keine Auskunft geben zu dürfen.
„Die Ärztin wird gleich mit Ihnen sprechen. Bitte nehmen Sie doch einen Moment Platz. Neben dem Aufzug gibt es einen Kaffeeautomaten. Warum holen Sie sich nicht einen?"
„Wenn ich Kaffee trinken will, dann gehe ich mit meiner Oma ins Cafè oder bitte meine Mutter, mir einen zu machen!", sagte Jonas spöttisch, aber der Mann ging kopfschüttelnd an ihm vorbei.
„Der macht auch nur seinen Job. Wahrscheinlich wird er gefeuert, wenn er dir irgend etwas erzählt und das herauskommt. Ich darf auch nicht irgend welchen Leuten Auskunft über die Schüler geben," versuchte Julia ihn zu beruhigen und drückte ihn auf einen Stuhl.
„Ich hole uns einen Kaffee. Und bestimmt kommt diese Ärztin gleich!", sagte sie und durchwühlte ihre Handtasche nach Eurostücken für den Kaffeeautomaten.
Kurz darauf saß sie neben Jonas und reichte ihm einen der beiden Kaffeebecher. Er nippte einmal an dem heißen Getränk und stellte es dann achtlos neben sich auf einen Tisch, auf dem alte Zeitschriften lagen.
Julia griff nach einer der Zeitschriften, legte sie aber gleich darauf wieder zur Seite. Auf dem Titelbild war ein Schlagersänger zu sehen, der bereits vor einem Dreivierteljahr verstorben war.
„Die Zeitung ist von Ende 2008, die könnten wirklich mal aktuelleren Lesestoff für wartende Angehörige und Patienten auslegen," dachte sie ein wenig säuerlich, obwohl das Zeitschriftenangebot im Augenblick ihr geringstes Problem war.
Schweigend warteten sie auf Nachrichten und Julia starrte auf eine Uhr an der Wand. Es war nun bereits fast halb vier Uhr am Morgen.
Endlich, eine weitere halbe Stunde später, der Kaffee war inzwischen kalt geworden, kam eine mürrisch dreinblickende Frau mit neongrüner Brillenfassung auf Jonas und Julia zu. „Herr Schneider?", fragte sie und warf einen Blick auf Julia. „Ich möchte nur mit Angehörigen sprechen!"
„Das ist meine Frau. Und somit die Schwägerin meines Bruders und die Schwiegertochter von meinem Vater," antwortete Jonas mürrisch. „Sie ist eine Angehörige."
Die Ärztin zuckte die Achseln. „Dann kommen Sie mal kurz mit in mein Büro dort drüben. Ich habe nicht viel Zeit...."
Jonas wollte etwas Unfreundliches erwidern, aber Julia drückte seine Hand und er beruhigte sich ein wenig, auch wenn er die Ärztin für eine blöde Kuh hielt.
Kurz darauf saßen Jonas und Julia der Ärztin, die sich hinter ihrem Schreibtisch verschanzte und auf den Bildschirm ihres Computers starrte, gegenüber.
„Also, mit wem fangen wir an? Am besten mit ihrem Vater. Er hatte einen Herzinfarkt. Das scheint sich wohl schon länger angedeutet zu haben. Ich habe mit meinem Kollegen, dem zuständigen Kardiologen, gesprochen. Den mussten wir extra wecken, damit er ihrem Vater zwei Stents einsetzt. Das war dringend nötig."
„Herzinfarkt?", fragte Jonas besorgt. „Wie schlimm ist es? Wie geht es ihm?"
Aber die Ärztin ging nicht auf die Frage des besorgten Sohnes ein. Stattdessen sah sie Jonas und Julia vorwurfsvoll an.
„Ihr Vater hätte schon viel früher etwas unternehmen müssen. Aber manchmal wissen Patienten ja alles besser als die Ärzte..."
„Was für eine unsympathische Kuh," dachte Julia und drückte erneut die Hand ihres Mannes. Sie hoffte, dass Jonas sich nicht zu sehr aufregen und der Frau an den Hals gehen würde. Unter bestimmten Umständen traute sie ihm dies durchaus zu. Sie selber hätte es in diesem Moment am liebsten getan, denn die Dame war noch nicht fertig.
Sie drehte den Computerbildschirm um und zeigte einige Aufnahmen, anscheinend aus Georgs Körperinneren, mit denen Julia nichts anfangen konnte.
„Sehen Sie hier, die Gefäße. Das man es so weit kommen lässt ist wirklich eine Schande."
Sie sah erneut vorwurfsvoll zu Jonas. „Hat ihr Vater geraucht?"
Jonas wollte sich dieses Verhalten anscheinend nicht mehr gefallen lassen.„Hat er nicht. Und selbst wenn, warum werfen sie das mir vor? Ich hab ihm die Zigaretten nicht in den Mund gedrückt. Er ist erwachsen. Davon abgesehen hat er, wie gesagt, nicht mal geraucht. Er hatte Stress. Bei der Arbeit. Beschweren Sie sich bei seinem Chef. Da sind Sie richtig."
Aber die Ärztin gab sich nicht mit dieser Antwort zufrieden. „Er wird ein paar Tage hier bleiben müssen. Das kommt darauf an, wie die nächsten Stunde und Tage verlaufen. Und danach muss er sein Herz regelmäßig kontrollieren lassen. Sonst hat er bald den nächsten Herzinfarkt und den überlebt er vielleicht nicht. Er sollte auch Stress meiden. Wobei wir beim nächsten Punkt wären. Bei Ihrem Bruder. Der hat ihrem Vater heute Nacht wahrscheinlich den Rest gegeben!"
Jonas erhob sich von seinem Stuhl. Ging diese Frau jetzt auch noch auf seinen Bruder los?
Julia packte seinen Arm und zog ihn zurück. „Nicht aufregen," flüsterte sie leise, was die Ärztin ignorierte.
„Was ist mit Lucas?", fragte Julia anstelle von Jonas, der die Frau wütend anstarrte. In diesem Augenblick erinnerte er sie ein wenig an Stefan.
Auch auf diesen Blick reagierte die Ärztin nicht. Statt dessen suchte sie nun in ihrem Computer anscheinend nach Lucas' Patientenakte.
„Hier haben wir es ja. Lucas Frinken. Eine Stichwunde, zwischen der letzten und der vorletzten Rippe. Operation, Reinigung des Stichkanals..."
Sie las noch einige Dinge vor, von denen Julia keine Ahnung hatte, während Jonas sie wütend ansah. „Sagen Sie mir einfach, wie es meinem Bruder geht. Und warum hat er eine Stichwunde? Was ist passiert? Wie...?"
Die Ärztin rückte ihre Brille zurecht. „Wie soll es ihm gehen? Nicht gut. Aber er wird nicht daran sterben. Allerdings wird er auch eine Weile hier bleiben müssen. Mindestens so lange wie Ihr Vater, wahrscheinlich sogar länger. Und die Polizei wird noch mit Ihm sprechen wollen, sobald er dazu in der Lage ist. Ich hoffe, dass seinetwegen keine Kriminellen im Krankenhaus herum laufen. Er scheint ja mit jemandem Streit gehabt zu haben."
„Sie....," begann Jonas, aber Julia unterbrach ihn. „Wann können wir Lucas und meinen Schwiegervater besuchen?"
„Morgen Nachmittag. Vormittags haben wir nicht so gerne Besucher hier, außerdem brauchen sie Ruhe und keine Angehörigen, die stören," sagte die Ärztin, während Julia sich nach der Zimmernummer erkundigte.
„Im Moment sind beide noch auf der Intensivstation," antwortete die Frau in einem „Darauf-hätten-Sie-doch-selber-kommen-Tonfall". „Allerdings nicht zusammen. Zum einen leiden sie an unterschiedlichen Krankheiten. Die fallen in unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche. Zum anderen würde es Ihren armen Vater vielleicht zu sehr aufregen...erkundigen Sie sich doch bitte bei der Schwester, wo genau Sie die beiden jetzt finden...."
Sie stand auf und ging zur Tür. Sie öffnete diese und sah Jonas und Julia ungeduldig an.
Julia begriff. Die Audienz bei der Ärztin war nun beendet und sie wollte nicht mit weiteren Fragen behelligt werden.
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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...