Kapitel 23

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  „Heute hast du wirklich mal wieder Weltrettungsbereitschaft, nicht wahr?", fragte Julia grinsend, als sie und Jonas am Samstag, dem 10. Oktober 2009, von der Autobahn abbogen und sich auf die Suche nach dem kleinen Eifeldorf „Hasenbüchel" machten.

Anschließend wollten sie Jonas Vater Georg besuchen und dann stand ein Besuch bei Britta und Dennis an. Sie hatte vor ihrer Abfahrt noch mit Britta telefoniert und diese schien sauer auf Dennis zu sein.
„Der hat sich erkältet, als er den Müll raus gebracht hat! Er hat sich hingelegt! Sei froh, dass dein Mann nur gegen Dämonen kämpft und nicht so gefährliche Sachen macht wie Müll rausbringen!"

„Wie kommt man auf einen Namen wie Hasenbüchel?", erkundigte sich Jonas kopfschüttelnd. „Auf der anderen Seite stelle ich mir da etwas richtig Gemütliches vor. So einen Ort wie Raichelbach, nur ein bisschen kleiner. Ein Ort, wo es Tiere gibt, schöne Landschaften, alte Häuser, freundliche Menschen und vielleicht den ein oder anderen Dämon!"
„Jetzt tu Raichelbach nicht unrecht," erwiderte Julia und musste lachen, als sie an den Interneteintrag dachte, den sie unter dem Begriff Hasenbüchel gefunden hatte. „Kleiner Eifelort, 103 Einwohner, Sehenswürdigkeiten:---"

„Dagegen ist Raichelbach wahrscheinlich eine Großstadt," sagte Jonas, während Julia, die am Steuer saß, auf ihr Navigationsgerät sah.
„Noch zwanzig Kilometer. Glaubst du, dass die in Hasenbüchel einen Gasthof oder etwas in der Art haben? Ich krieg nämlich langsam Hunger."

„Ich auch,", erwiderte Jonas. „Aber ob es da etwas zu essen gibt steht wirklich in den Sternen. Ein Restaurant lohnt sich wahrscheinlich nicht, es sei denn, es kommen regelmäßig Radfahrer, Skifahrer oder Wanderer vorbei."

Eine halbe Stunde später erreichten Julia und Jonas den kleinen Ort Hasenbüchel und sie parkten auf dem einzigen Parkplatz, den es im Ort gab. Dieser befand sich genau neben dem Eingang zum Ortsfriedhof.
„Wie passend! Aber eigentlich ganz praktisch," stellte Jonas fest. „Die zerstörte Statue befindet sich hoffentlich in der Nähe."
„Ja, an einem alten Brunnen, der sich neben dem Friedhof befindet," antwortete Julia und fügte grinsend hinzu: „Du weißt doch, ich habe meine Hausaufgaben gemacht und eine Eins dafür bekommen!"
„Naja, früher haben du, Katja und Britta immer andere die Referate schreiben lassen," erwiderte Jonas mit einem boshaften Unterton, während sie ausstiegen.

Eine ältere Dame mit einem Dackel ging an ihnen vorbei und warf ihnen einen misstrauischen und neugierigen Blick zugleich zu.
„Guten Tag," sagte Julia höflich und schenkte der Frau ihr gewinnendes Lächeln.

Die Frau taute ein klein wenig auf und nickte der jungen Frau freundlich zu. „Guten Tag! Was verschlägt so junge Leute denn in dieses verlassene Örtchen? Die Skisaison hat noch nicht angefangen!"

„Wir wollten nur eine kleine Pause machen," antwortete Julia noch immer lächelnd. „Eigentlich wollen wir nach Belgien.
„Ach so," antwortete die Frau und fügte hinzu: „Das hätte mich auch gewundert, wenn jemand gezielt nach Hasenbüchel gekommen wäre. Aber wenn Sie einen Kaffee trinken wollen, dann können sie das eine Straße weiter gerne machen. Dort gibt es eine kleine Dorfgastwirtschaft. Grüßen sie Alfred, den Wirt, doch bitte von der Gerda und dem Wurzel!"

Bei letzteren Worten deutete sie auf ihren Dackel. Offenbar hieß dieser Wurzel.

„Machen wir," antwortete Jonas und lächelte die Frau ebenfalls an. „Vielen Dank für den Tipp!"

Die Frau senkte die Stimme und rückte ein wenig näher an Julia heran.„Aber seien Sie vorsichtig! Gehen Sie nicht am Haus vom Kurt Jocher vorbei. Es liegt am anderen Ende vom Dorf, ein bisschen außerhalb. Das hatte die Polizei mit Flatterband abgesperrt, aber das ist schon wieder weg."
Julia sah die Frau gespannt an. Offenbar freute sich diese, dass sie Fremden etwas Spannendes erzählen konnte.
„Flatterband? Polizei?", erkundigte sich Julia nun höflich und gab sich gänzlich unwissend. „Ist da denn etwas passiert?"

Die Frau nickte, sah sich um, senkte die Stimme noch mehr und sagte verschwörerisch: „Der ist ermordet worden! Der Michael von der Post hat ihn gefunden. Er wollte ihm ein Paket bringen und da hat der Kurt nicht aufgemacht. Der Michel ist zur Terrassentür gegangen, auch wenn der Kurt so was gar nicht leiden konnte. Er hat sogar mal gedroht, dass er Schnüffler mit seinem Gewehr vertreiben würde."

Julia gab sich sehr interessiert und war es auch in der Tat. Dass sie eine so redselige Dorfbewohnerin trafen war wirklich ein Glücksfall.
„Das ist ja unheimlich!", sagte Julia nun betroffen und hoffte, dass sie nicht zu sehr übertrieb. „Und dann hat der Postbote einen Toten gefunden?"

Die Frau nickte und senkte ihre Stimme glücklicherweise nicht noch mehr. „Ja! Der Kurt lag im Wohnzimmer! Der soll erstochen worden sein! Michael hat es erzählt, da war eine dicke Wunde am Hals vom Kurt. Aber das wundert mich nicht. Der war immer so unfreundlich und hat auch mit seiner ganzen Familie Krach gehabt! Die haben ihn schon seit Jahren nicht mehr besucht!"

Jonas mischte sich in das Gespräch ein. „Wer weiß, wer das war! Hat man den Täter schon?"

Die Frau runzelte die Stirn. „Nein, leider nicht Ich würde auch gerne wissen, wer es war! Wahrscheinlich hat er einen Einbrecher überrascht, denn sein Geld wurde auch gestohlen. Er war am Vortag noch bei der Bank gewesen. Natürlich nicht hier im Ort, wir haben keine Bank. Aber im Nachbarort. Da habe ich ihn gesehen. Er hat gerade eine Bankangestellte beschimpft, weil sie seiner Meinung nach nicht schnell genug gearbeitet hat."

Sie seufzte. „Aber so war er immer. Wahrscheinlich hat er den Einbrecher beleidigt und da ist der durchgedreht!"
Sie schwieg abrupt. Anscheinend waren ihr ihre letzten Worte nun doch ein wenig peinlich. „Nicht, dass ich der Meinung bin, dass man zu Einbrechern nett sein müsste oder dass Kurt das verdient hat...nicht falsch verstehen...."

„Natürlich nicht," sagte Jonas und die Frau nickte, ehe sie einen tiefen Seufzer aufstieß. „Dreißig Jahre lang ist hier nie etwas passiert. Damals gab es mal drei Tote. Das waren drei Männer, die zusammen mit Kurt im Lotto gewonnen hatten. Die sind dann ganz schnell hintereinander gestorben und im Dorf hat man schon geredet. Aber die Polizei hat damals auch ermittelt und die sind nicht ermordet worden. Herzinfarkte, und der eine war sowieso schon immer kränklich. Aber da Kurt der einzige war, der von der Tippgemeinschaft übrig war, hat er das ganze Geld kassiert. Es gab noch Prozesse mit den Angehörigen, aber ich weiß gar nicht so genau, was da eigentlich rausgekommen ist. Der Kurt hatte jedenfalls kurz darauf ein neues Auto, hat sein Haus renoviert und ist ein paar Jahre lang immer wieder in den Urlaub geflogen...."

Wurzel, der Hund, knurrte und begann, an der Leine zu ziehen.

Die Frau lachte. „Wurzelchen muss mal ans Bäumchen! Entschuldigen Sie mich bitte und entschuldigen Sie vor allem meine Gruselgeschichten!"

„Das macht doch nichts," erwiderte Julia. „Und ihr Wurzel ist wirklich ein niedlicher Hund!"

Nun strahlte die Frau über beide Backen. „Finden Sie das wirklich? Er ist aber auch ein besonderer Hund! Kennen Sie sich mit Dackeln aus? Die sind so ganz anders als Doggen oder Schäferhunde...."

Höflich hörte Julia zu, während die Frau mit einem Vortrag über Dackelfutter begann, dann aber abgelenkt wurde, als Wurzel erneut an seiner Leine zog.

„Tut mir leid, ich muss jetzt gehen! Wurzel muss an seinen Lieblingsbaum!", entschuldigte sie sich.

Jonas und Julia blickten der Frau hinterher, während sie eilig von dannen ging, um sich um das hündische Bedürfnis ihres Dackels zu kümmern.

„Da haben wir Glück gehabt," sagte Julia und griff nach der Hand ihres Mannes. „Komm, suchen wir diesen Brunnen und anschließend können wir ja wirklich ins Wirtshaus gehen und einen Kaffee trinken oder etwas essen."
„Ja, machen wir," stimmte Jonas zu und Hand in Hand schlenderten sie über den Parkplatz an der Friedhofsmauer vorbei.

Weit mussten sie nicht gehen und im Grunde konnten sie, als sie um die Ecke bogen, den ganzen Ort überblicken, da sie sich auf einer kleinen Anhöhe befanden.
„Schau mal, da besteht aus genau zwei Straßen," sagte Jonas. „Schön übersichtlich. Das große Haus da drüben dürfte die Dorfkneipe sein, da hinten ist die Kirche und dazwischen ein paar Häuser. Dafür gibt es aber kein Geschäft oder etwas in der Art."

Julia zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich kommt zweimal die Woche ein Auto von der Bäckerei und verkauft Brötchen. Und der nächste Ort ist ja auch nur zwei Kilometer entfernt. Der ist deutlich größer und da wird es wahrscheinlich mehr Geschäfte geben. Noch mal fünf Kilometer weiter liegt ja auch schon die nächste Kleinstadt."

Direkt neben dem Friedhof fanden sie schließlich auch das, was von der zerstörten Statue übriggeblieben war.
„Hier muss es gewesen sein," sagte Julia, als sie vor einem Brunnen stehen blieben.

Sie blickten hinein, aber es befand sich kein Wasser darin. Statt dessen war er mit Erde gefüllt und wurde als eine Art Blumenkübel genutzt. Ein paar verwelkende Rosen befanden sich noch an Ort und Stelle und Julia strich vorsichtig über eine Blüte.

Aber nicht die Blumen oder der ehemalige Brunnen, der nun zum dekorativen Blumenkübel umfunktioniert worden war, erregte die Aufmerksamkeit der beiden. Auf dem Brunnenrand befand sich ein in Plastikfolie eingeschweißtes „Fahndungsplakat".

Auch ein Foto der ehemaligen Statue war zu sehen, dazu ein kleiner Bericht über die Zerstörung eines alten Kunstwerks und der Bitte, sich bei Hinweisen an die Polizei zu wenden.

„Schau mal, Jonas. Die Statue befand sich früher direkt neben dem Brunnen, da, wo du jetzt stehst," sagte Julia und Jonas trat einen Schritt zur Seite, ehe er sich zu seiner Frau gesellte und das Foto ebenfalls betrachtete.

Es zeigte einen mürrisch dreinblickenden Mann mit einer Art Sonnenhut, der einen Eimer in der Hand hielt.

Jonas beugte sich ein wenig vor, um das Bild genauer zu betrachten.

„Schau mal, der sieht richtig grimmig aus. War wohl eine Steinfigur!", sagte Jonas und deutet auf den Arm der Statue.
„Da steht etwas. Sieht aus wie Buchstaben.

Julia nickte und zog ihr Handy aus der Jackentasche. Sie machte ein Foto von dem Statuenbild.
„Ich kann die Buchstaben lesen. Das sind zwei H's und ein D, und darunter, nicht direkt bei den anderen steht noch ein A. Keine Ahnung, was das bedeutet, aber das A ist deutlicher zu sehen als die drei anderen Buchstaben."
„Vielleicht wurde es später in den Stein geritzt," vermutete Jonas nachdenklich.

„Wir sollten jetzt etwas essen!", sagte Julia mit Nachdruck. „Mein Magen hängt allmählich fast am Boden und muss dringend mit Fritten gefüllt werden!"

„Na gut, versuchen wir es mal mit diesem Wirtshaus. Vielleicht kriegen wir da ja auch noch was raus. Wenn die alle so redselig wie diese Frau und ihr Wurzel sind, dann haben wir wirklich mehr Glück als Verstand!", antwortete Jonas und nun machten sie sich auf den Weg in Richtung Gasthof.

Unterwegs begegneten ihnen kaum Dorfbewohner, lediglich ein älteres Paar und ein Radfahrer, der aber wahrscheinlich von außerhalb kam und tapfer dem nun einsetzenden Regen trotzte, kreuzten ihren Weg.

„Wahrscheinlich sind die noch alle ganz aus dem Häusschen! Ein Mord und eine Sachbeschädigung, und das kurz hintereinander," dachte Julia. „Immerhin war dreißig Jahre lang überhaupt nichts los und jetzt gleich zwei Verbrechen auf einmal, obwohl man einen Mord sicherlich nicht auf eine Stufe mit Sachbeschädigung stellen kann."

Sie seufzte. Leider schienen sich die Hasenbüchler, im Gegensatz zu den Raichelbachern damals nicht über die Zerstörung der Statue zu freuen, aber vielleicht war diese Statue auch nicht so aktiv gewesen?
Immerhin war der letzte aufsehenerregende Todesfall vor langer Zeit, eben vor dreißig Jahren, aufgetreten. Hatte die Statue etwas damit zu tun gehabt?  


Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt