Sarah wischte sich die Tränen weg. Eigentlich gab es doch gar keinen Grund zu heulen, oder?
Außer, dass ihr Freund, den sie über alles liebte und für den sie alles tun würde, nichts von hier hielt und er zu dieser falschen Schlange Lisa gesagt hatte, dass er ihr auf die Nerven ging, war doch nichts besonders passiert!
„Nein, es ist alles bestens!", dachte sie voller Sarkasmus und zog den durch das Weinen entstandenen Schleim in der Nase hoch.
Sie tastete an ihrem Hexenkostüm herum, das natürlich keine Taschen besaß. Also hatte sie auch kein Taschentuch zur Hand, um sich die Nase zu putzen und ihr Handrücken musste zum Abwischen herhalten.
Was bedeutete die Tatsache, dass Toni so über sie sprach? Wollte er mit ihr Schluss machen? War die Beziehung beendet?
„Vielleicht will er viel lieber mit Lisa zusammen sein! Es hat mich schon immer genervt, dass er mit ihr SMS geschrieben hat!"
Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestammt, aber das kam ihr denn doch zu kindisch vor, auch wenn es niemand sah. „Verflucht noch mal, das ist doch nicht einfach nur eine Sandkastenfreundschaft! Und Trauer wegen diesem Möchtegerndämonenjäger Gerrit hin oder her, Lisa ist bestimmt scharf auf Toni! Freundschaften, die einfach nur Freundschaften sind, sind doch zwischen Jungs und Mädchen gar nicht möglich! Jedenfalls nicht so enge! Da spielt immer noch einiges andere hinein...."
Zwar pflegte auch Sarah kumpelhafte Kontakte zu männlichen Schulkameraden und anderen Bekannten, die sie bereits seit Jahren kannte, aber bei Toni war das bestimmt etwas anderes!
„Er und Lisa kennen sich schon so lange. Sie hatten zwar in den letzten Jahren nur ganz sporadisch Kontakt und Toni hat Lisas Freund nicht mal kennen gelernt, weil sie sich irgendwie immer verpasst haben, wenn er mal seinen Opa besucht hat, aber trotzdem...."
Also war Lisa schuld daran, dass Toni sich von ihr trennen wollte! Daran bestand für sie in diesem Augenblick überhaupt kein Zweifel.
Sie waren doch so glücklich zusammen gewesen und Toni war immer so lieb zu ihr gewesen. Er hatte sie immer getröstet, wenn sie sich vor dem bevorstehenden Abitur oder während eines unheimlichen Films gefürchtet hatte...
Oder hatte sie sich wirklich zu sehr gehen lassen? Hatte sie sich wie eine Memme aufgeführt? War das alles zu viel für ihren Freund?
Erneut traten Tränen in ihre Augen und sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Sie schlang die Arme um sich. Eigentlich wollte sie nicht im Nebel umherirren. Alleine schon gar nicht. Am besten war es vielleicht, wenn sie zum Haus von Tonis Großeltern zurück kehrte.
Aber war sie dort nicht vollkommen fehl am Platze und unerwünscht? Sie schniefte und die Tränen drohten erneut zu fließen, als sie Schritte hörte.
Sarah erstarrte im ersten Augenblick und zuckte zusammen, als ein fremder Mann um die Ecke bog. Dieser nickte ihr freundlich zu. „Guten Abend. Bei dem Wetter sollten Sie besser schnell nach Hause gehen! Es ist...nicht so günstig, bei Nebel durch Raichelbach zu gehen...."
Sie schluckte. „Ich...bin fremd hier. Ich besuche mit meinem Freund seine Großeltern...."
Der Mann lächelte. „Dann sind Sie bei den Kratzers zu Besuch? Und Ihr Freund ist der kleine Toni?"
„Ja....," antwortete Sarah und sah den Mann fragend an.
„Ich bin hier der Dorfpfarrer, Nellles ist mein Name," beantwortete der Mann Sarahs unausgesprochene Frage. „Eigentlich wolle ich auch schon längst zu Hause sein, aber ich habe mich mit Frau Huber im Gasthof verquatscht. Manchmal passiert das halt..."
Pfarrer Nelles zuckte die Achseln. „Sie müssen nach links und dann ein Stück geradeaus gehen! Dann finden Sie das Haus der Kratzers sofort! Sie kennen sich ja nicht wirklich aus..."
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Vor der Haustür stehend überlegten Lisa und Toni, wo sie nach Sarah suchen sollten. „Sie könnte überall sein," stellte Toni fest. „Leider hat sie ihr Handy liegen lassen, ich kann sie also nicht mal anrufen und fragen, wo sie eigentlich steckt!"
„Ich weiß auch nicht, wo ich hingehen würde, wenn ich sauer auf meinen Freund wäre...vor allem, wenn ich mich nicht auskenne...," dachte Lisa laut nach. „Vielleicht dahin, wo am meisten los ist, es sei denn, ich will unbedingt alleine sein...aber wenn sie ängstlich ist..."
Toni seufzte. „Der einzige Ort, an dem vielleicht ansatzweise etwas los ist, das ist der Gasthof von Frau Huber. Aber wir haben schon 23 Uhr und es ist nebelig. Da werden nicht mehr viele Einheimische unterwegs sein. Die sind ja alle abergläubisch...."
Lisa versetzten Tonis Worte einen Stich, gleichzeitig ärgerte sie sich aber auch. „Du warst selber mal ein Einheimischer hier. Dein Vater und deine Großeltern auch. Und sei nicht so arrogant! Wir Dorftrottel haben nun einmal unsere Erfahrungen hier gemacht! Das hat nichts mit Aberglaube zu tun, sondern in unserem Fall mit gesundem Menschenverstand!"
„Ist ja gut! Aber hör bitte auf mit diesem....Statuenmist! Die gibt es nicht, verflucht noch mal! Außerdem müssen wir Sarah finden," brauste Toni auf und Lisa hätte ihm am liebsten gegen das Schienbein getreten.
„Dir würde eine Begegnung mit einer Statue mal ganz gut tun," zischte sie.
Allmählich begann ihr diese Halloweennacht unsagbar auf die Nerven zu gehen und sie fühlte sich seltsam aufgekratzt.
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Sarah gab dem Pfarrer recht. Es war wirklich an der Zeit, wieder nach Hause zu gehen. Sie würde sich ins Bett legen und vielleicht ließ sich die Sache mit Toni sogar wieder klären, wenn die blöde Lisa nicht mehr ständig in ihrer Nähe war.
Vielleicht!
Aber vielleicht wollte er auch Schluss mit ihr machen und all die schönen Momente, die sie mit ihm geteilt hatte, waren ein für allemal vorbei.
Pfarrer Nelles wich mit einem Mal einen Schritt zurück und griff nach Sarahs Arm. Er wollte sie in einen Hauseingang ziehen, aber es war zu spät. Aus dem immer dichter werdenden Nebel trat ein weiterer Mann hervor, oder zumindest hielt Sarah ihn auf den ersten Blick für einen Mann....wären da nicht die rot leuchtenden Augen gewesen und hätte sie nicht erkannt, dass sein Körper aus Marmor bestand....
Sarah schrie auf und ihre Schreie wurden noch panischer, als die Statue nach ihr griff....
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Lisa und Toni hörten den Schrei und sie sahen sich an.
„Das ist Sarah!", rief Toni und eilte in die Richtung, aus der die Schreie kamen. „Sarah!"
Lisa zögerte einen Augenblick, folgte ihrem alten Freund dann aber, obwohl sich einiges in ihr dagegen sträubte.
„Vielleicht ist Sarah nur gestolpert und hat sich den Fuß verstaucht," dachte sie oder versuchte vielmehr, sich so etwas einzureden, auch wenn ihr ihr Bauchgefühl etwas anderes sagte.
Möglicherweise hatte sich das als Hexe verkleidete Mädchen auch lediglich vor einer Spinne erschreckt. Bestimmt hatte Sarah Angst vor Krabbeltieren. Dies hätte jedenfalls sehr gut zu ihr gepasst....
Schließlich erreichten Toni und Sarah den „Kirchenweg", die Straße, die genau auf den Friedhof, die Kirche und das Pfarrhaus zuführten.
Von Sarah war weit und breit nichts zu sehen, statt dessen hörte Lisa ein Stöhnen aus einem Hauseingang.
Sie drehte sich in die Richtung und erkannte den Dorfpfarrer, der seitlich auf den Treppenstufen des Hauses lag und seinen rechten Arm umklammert hielt.
„Herr Nelles! Was ist denn mit Ihnen passiert?", fragte Toni, als er und Lisa Anstalten machten, dem verletzten Mann aufzuhelfen. „Was ist passiert?"
Der Pfarrer warf den beiden jungen Leuten einen verängstigten Blick zu. „Lisa und...Toni...sucht Ihr das Mädchen im Hexenkostüm?"
Toni nickte. „Ja, meine Freundin Sarah. Ich habe sie schreien hören! Ich bin mir sicher, dass sie es war!"
„Sie war es," bestätigte der Pfarrer diese Aussage. „Und sie ist...in Gefahr..."
Der Mann wandte sich an Lisa. „Ich weiß nicht, wie viel Toni von....Statuen weiß...ich hab ja auch nur mit Franzl zu tun gehabt....und der hatte es zum Glück nie auf mich abgesehen..."
„Was ist mit Sarah?", unterbrach Lisa den Pfarrer, dem Toni inzwischen wieder auf die Beine geholfen hatte. „Wo ist sie? Und was hat das mit Statuen...."
„Die Statuen auf dem Friedhof....die männliche Statue...", klagte der Pfarrer und presste seinen Arm an sich. „Der ist bestimmt gebrochen. Ich wollte Sarah helfen. Aber er hat mir einfach den Arm verdreht und mich weggestoßen. Dann hat er gesagt, dass er die Familie Kratzer haben will...alle Familienmitglieder! Das solle ich ausrichten und nur darum würde er mich...leben lassen."
Lisa schluckte schwer, während Toni ungläubig vom Pfarrer zu Lisa blickte. „Das ist ein Scherz, oder?"
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. „Ist es nicht! Das schwöre ich dir, bei allem, was mir heilig ist! Und solche Worte nehme ich sehr ernst!"
„Was genau ist geschehen?", rang sich Lisa schließlich zur wichtigsten Frage durch. „Diese Statue vom Grab ist aufgetaucht?"
Der Pfarrer nickte. „Er kam aus dem Nebel hervor und hat nach Sarah gegriffen. Er wusste wohl irgendwie, dass sie etwas mit der Familie zu tun hatte. Keine Ahnung, woher. Vielleicht hat er es irgendwie gewittert....dass sie und ihr Freund Toni...ein Paar sind..."
Toni und Lisa wechselten einen Blick, während der verletzte Mann weitersprach und sich nun sogar wiederholte. „Er sagte, als er mich auf den Boden schleuderte, dass er mich nur am Leben lässt, weil ich den Kratzers die Botschaft überbringen soll, dass sie alle zum Friedhof kommen sollen, wenn sie das arme Mädchen wiedersehen wollen! Bis Mitternacht habt ihr Zeit. Sonst....wird er sich ihre Seele nehmen! Er will, dass Alma, der alte Kratzer und ihre Nachkommen...."
„Er will Rache," vermutete Lisa und dachte einen Augenblick nach. „Aber daraus wird nichts....wir...müssen irgendetwas....machen...."
Der Pfarrer sah Lisa kopfschüttelnd an. „Was willst du machen? Vielleicht sollten wir Jonas Schneider anrufen? Aber bis er hier ist, ist es wahrscheinlich zu spät!"
„Wer ist Jonas Schneider?", fragte Toni und ließ den Pfarrer los.
Dann machte er Anstalten, in Richtung Friedhof zu gehen. „Ich suche jetzt Sarah! Ruft ihr am besten die Polizei an. Anscheinend hat sie ja ein Verrückter entführt...."
„Eine Statue!", schrie Lisa Toni an.
Allmähliche verlor sie die Geduld. „Eine STATUE! Finde dich endlich damit ab! Und es nützt gar nichts, wenn du jetzt zum Friedhof gehst! Entweder benutzt dieses Ding dich auch noch als Geisel, um deine Großeltern auf den Friedhof zu locken oder es bringt dich sofort um!"
Sie packte Toni am Arm und winkte dem Pfarrer zu. „Kommt mit, ich habe eine ungefähre Idee, was wir machen könnten! Aber wir sollten uns beeilen...."
Flüchtig fragte sie sich, warum sie überhaupt etwas unternehmen wollte. Schließlich mochte sie Sarah nicht sonderlich. Aber würde nicht alles noch viel schlimmer werden, wenn dem Mädchen tatsächlich etwas zustieß? Toni würde es schlecht gehen, so schlecht wie es ihr gegangen war, als Gerrit...
Aber das durfte jetzt keine Rolle spielen und sie stellte dankbar fest, dass Toni ihr folgte, was aber wohl auch daran lag, dass der Pfarrer ihm von hinten einen Schubser gab.
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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...