Kapitel 69

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Lucas presste eine Hand auf seine Rippen und verfluchte erneut seinen leeren Handyakku. Warum hatte er nicht daran gedacht, sein verfluchtes Handy zu laden? Er hatte doch geahnt, dass irgend etwas nicht stimmte. Schließlich hatte er, auf sein Bauchgefühl hörend, sogar seinen Dolch mitgenommen.

Aber an das blöde Handy hatte er nicht gedacht...

Er ärgerte sich nun auch darüber, niemals einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht zu haben. Aber wurde dort überhaupt unterrichtet, wie man sich bei einer Stichwunde zwischen den Rippen verhalten sollte?


Lucas hörte Schritte. Kehrte der Dämonenjäger zurück, um das zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte? Aber warum? Er wusste nicht, was er getan hatte, um als Dämonenhelfer bezeichnet zu werden...

„Das Gläserrücken....war es das? Dadurch wurde er ein bisschen früher geweckt...aber das wollten wir doch nicht. Ich hab nicht mal wirklich dran geglaubt..."

Lucas versuchte sich aufzurichten, als zwei Personen neben ihm auf die Knie fielen. Er erkannte Meike und einen fremden Mann.
„Das ist Herr Breuer. Ich hab bei ihm geklingelt. Er wohnt im ersten Haus am Feldweg..."

„Ist jetzt nicht wichtig," sagte der Mann.
Er zog eine Jacke aus und legte sie hinter Lucas auf den Boden. „Leg dich hin. Und ich rufe einen Krankenwagen..."

Herr Breuer zog ein Handy hervor, während Meike aufstand und zu Klausi ging. Sie schrie auf. „Klausi. Er ist tot. Glaube ich wenigstens. Er bewegt sich nicht!"

Sie schien kurz davor, hysterisch zu werden und Lucas, der nun auf Herrn Breuers Jacke lag, hoffte, dass man ihn zumindest nicht mit Klausis Tod in Verbindung bringen würde.

Er wollte sich zur Seite drehen, aber Herr Breuer, der gleichzeitig in sein Handy sprach und offenbar die Polizei und den Notarzt verständigte, hinderte ihn daran. „Bleib ruhig liegen. Ich kenne mich auch nicht so gut aus. Aber es dauert nicht lange. Der Arzt ist bestimmt gleich da. Die Dame am Telefon sagte es."

„Wo ist Benny?", fragte Lucas, dem es mit einem Mal übel und schwindelig wurde.

„Benny? Dieser blasse und nervöse Junge? Der hat sich in meinem Vorgarten hinter den Mülltonnen versteckt. Er hat Angst vor einem Stein...und warum liegen hier überall Steinbrocken herum? Ist das aus dem Hinkelstein heraus gebröckelt?," fragte Herr Breuer und schüttelte den Kopf.

Es gab schließlich wichtigeres zu tun, als sich um einen Stein zu kümmern, wenn zwei Verletzte auf dem Boden lagen, von denen einer möglicherweise bereits tot war.

„Mädchen, kümmere dich um deinen Freund," forderte der Mann Meike nun auf, während er sie von Klausi fortzog. „Ich schaue nach dem Klaus. Ich kenne ihn und seine Eltern. Die Armen. Aber aus dem wäre nichts geworden..."

Herr Breuer schwieg, er wollte anscheinend nicht zu unfreundlich über einen Verletzten oder eventuell sogar Verstorbenen sprechen.

Meike ging unterdessen neben Lucas in die Hocke. „Der Arzt kommt gleich," versuchte sie ihn zu beruhigen und griff nach seiner Hand.
Dieses Mal ließ er die Berührung zu und zog die Hand nicht weg, auch wenn ihm kurzzeitig schwarz vor Augen wurde.

Er wunderte sich darüber, dass er unmittelbar nach seiner Verletzung kaum Schmerzen gehabt hatte, diese jetzt aber schlimmer wurden. War so etwas normal? Er glaubte, etwas derartiges schon einmal irgendwo gehört zu haben...

„Der andere Junge ist tot," sagte Herr Breuer unterdessen. „Gut, dass ich die Polizei auch schon angerufen habe. Hier stimmt doch etwas nicht. Aber ich sehe bei dem Bengel, ich meine bei dem Klaus, keine Verletzungen. Hat er zu viel getrunken oder wieder irgend etwas genommen, was nicht gut für ihn war?"

Der Mann setzte sich neben Lucas und Meike auf den Boden. „Hat Klaus dich verletzt?", fragte Herr Breuer.
„Nein...das war ein anderer. Den kannte ich nicht...", antwortete Lucas und er schloss die Augen.
Ihm war so schwindelig und die Welt schien zu verschwimmen...

Er glaubte, die Sirene eines Krankenwagens zu hören, oder war das reines Wunschdenken und die Hoffnung, dass rechtzeitig Hilfe kam?





Georg spürte Herzstiche, versuchte sie aber zu ignorieren, während er auf dem Flur des Krankenhauses auf und ab ging. Es war mittlerweile ein Uhr Nachts und er war vor einer Stunde im Krankenhaus eingetroffen.
Er hatte bereits im Bett gelegen und geschlafen. Der Arbeitstag war anstrengend gewesen und er hatte Probleme mit einem Kollegen gehabt. Dieser hatte ihn bei seinem Vorgesetzten zu Unrecht angeschwärzt, Unterlagen nicht ordnungsgemäß abgeheftet zu haben.

Dabei gehörte dies gar nicht zu Georgs Aufgabenbereich....

Aber dies spielte nun keine Rolle mehr, auch wenn ihm seine Herzstiche bereits am Abend, bevor er zu Bett ging, zu schaffen gemacht hatten.
Er musste sich jetzt um Lucas kümmern, der gerade operiert wurde. Eine gestresst wirkende Ärztin hatte ihm bereits erklärt, welcher Eingriff genau bei der Stichwunde seines Sohnes durchgeführt wurde und ihm besorgt zu verstehen gegeben, dass es eine tiefe Wunde war.

Dann hatte sie ihn beinahe vorwurfsvoll angesehen und ihn aufgefordert, die ganze Angelegenheit ernst zu nehmen.

Er fragte sich, ob er dermaßen desinteressiert gewirkt hatte, um eine solche Aufforderung zu benötigen. Natürlich nahm er die Verletzung seines Sohnes ernst. Anscheinend war ein anderer junger Mann ums Leben gekommen und ein Polizist hatte ihm mitgeteilt, dass nach dem Messerstecher gesucht wurde.

Der Polizist war nur kurz im Krankenhaus gewesen, hatte sich nach dem Zustand des Verletzten erkundigt und kurz mit Georg gesprochen, ehe er zu einem anderen Einsatz gerufen wurde.

Irgendwo gab es wohl eine Schlägerei vor einer Diskothek...


Eine Krankenschwester eilte an Georg vorbei und er sprach sie an. „Mein Sohn wird operiert. Wissen Sie schon etwas?"
„Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben. Der Arzt wird später mit Ihnen sprechen," sagte die Frau kurz angebunden, ehe sie in einem Zimmer verschwand.

„An wen soll ich mich denn wenden?", dachte Georg verärgert und besorgt zugleich.

Warum war es so schwierig, in diesem Krankenhaus eine Auskunft zu bekommen? Die Ärztin, die vorhin mit ihm gesprochen hatte, war weit und breit nicht zu sehen.

Und hieß dieses „Darüber darf ich keine Auskunft geben, der Arzt wird mit ihnen sprechen," nicht im Grunde, dass etwas schief gegangen war und dass sein Sohn entweder tot war oder schwere Schäden davon tragen würde?

Georg fragte sich, welche Schäden dies sein könnten. Er malte sich alle möglichen Szenarien aus und eines war schlimmer als das andere.

Er hatte so eine Situation schon einmal erlebt. Damals war auf seinen ältesten Sohn Jonas geschossen worden. Ein Polizist hatte die Nerven verloren und es hatte weitaus schlechter um Jonas gestanden als jetzt um Lucas. Oder?

Damals war es gut ausgegangen, aber dies hatte seinen Preis gehabt und Stefan, ein anderer Dämonenjäger, war Jonas zur Hilfe gekommen. Sein Sohn war seither zu einem kleinen Teil ein Dämon. Dies hatte bei seiner Tätigkeit als Dämonenjäger durchaus seine Vorteile, aber dennoch war es Georg nach wie vor unheimlich.

„Ich habe mich nie genügend um die beiden gekümmert. Lucas habe ich die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens im Stich gelassen und das Verhältnis zu Jonas wurde auch erst besser, als er schon von Zuhause ausgezogen war und ich mich von Hedwig getrennt habe," dachte Georg mit Sorge und seine Herzstiche wurden schlimmer. Auch sein rechter Arm tat ihm weh.

Waren dies Anzeichen eines Herzinfarktes?

Vielleicht sollte er jemandem im Krankenhaus Bescheid sagen, dass er sich nicht wohl fühlte. Aber musste er sich nicht zuerst um seinen Sohn kümmern und abwarten, was die Ärzte über ihn sagten?

Er dachte daran, Jonas anzurufen. Aber es war mitten in der Nacht. Er wollte seinen anderen Sohn nicht wecken. Vielleicht jagte dieser auch Dämonen oder ging endlich mal wieder mit seiner Frau aus? Die beiden waren doch noch jung und brauchten Zeit für sich.

Ein Mann, Jonas hielt ihn für einen Arzt, ging an ihm vorbei und Georg stand auf. Er stellte sich dem Arzt in den Weg.
„Bitte, ich muss jetzt wissen, was mit meinem Sohn los ist!"

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Dafür bin ich nicht zuständig. Mein Kollege will mit Ihnen sprechen."

Georg hätte am liebsten etwas Wütendes erwidert. Warum warum konnten Ärzte nie eine klare Antwort geben? Genauso war es ihm vor kurzem ergangen, als er, nach längerer Wartezeit, endlich einen Termin bei einem Kardiologen wahrgenommen hatte.
Der Mann hatte einige Untersuchungen gemacht und anschließend hatte Georg ihn nach dem Ergebnis gefragt.

Die Antwort war die gewesen, dass die Ergebnisse an den Hausarzt geschickt würden und dass der mit ihm alles besprechen würde.

Schon damals hatte Georg sich maßlos geärgert. War es nicht sein Körper, der gerade untersucht worden war? Hatte er nicht das Recht darauf, sofort eine Auskunft zu erhalten? Der Termin sollte in den nächsten Tagen stattfinden, da der Arzt zuvor in Urlaub gewesen war.

Georg nahm wieder auf einem Stuhl Platz und er spürte, dass ihm der Schweiß ausbrach. Das Atmen fiel ihm mit einem Mal schwer und ihm wurde kurzzeitig schwarz vor Augen...


Als er seine Augen wieder öffnete lag er auf dem Boden des Krankenhausflurs und eine Krankenschwester sowie der wortkarge Arzt von vorhin beugten sich besorgt über ihn.
„Herr Schneider? Haben Sie Schmerzen? Wo genau?", fragte der Arzt.

Nun endlich bekam er ein wenig Aufmerksamkeit. Fühlte der Arzt sich jetzt zuständig? Vorhin war es ja lediglich um seinen Sohn gegangen!

„Mir...geht es nicht gut. Habe Herzprobleme. Konnte noch nicht zum Hausarzt. Keine Zeit. Und der Kardiologe sagt ja nichts!", antwortete Georg mürrisch. „Und was ist mit meinem Sohn?"

„Darum kümmern sich die Kollegen," sagte diese blöde Kerl nun tatsächlich erneut. „Verflucht noch mal! Sagen Sie mir endlich...was mit Lucas los ist. Lebt er überhaupt noch?"

Die Krankenschwester nickte und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Stirn. „Machen Sie sich um Ihren Sohn keine Sorgen. Er ist in sehr guten Händen. Aber jetzt müssen wir uns auch um sie kümmern. Bitte teilen Sie dem Arzt Ihre Symptome mit. Und gibt es jemanden, den wir verständigen sollten? Ihre Frau? Die Mutter Ihres Sohnes?"

„Mein...ältester Sohn...Jonas Schneider. Seine Nummer steht in meinem Portemonnaie. Da ist auch meine Versicherungskarte," murmelte Georg und die Frau griff, nachdem er zustimmend genickt hatte, in seine Jackentasche und zog das Portemonnaie hervor.

„Gut, ich werde ihn anrufen!", sagte die Krankenschwester, während zwei Männer ein Bett heranrollten, Georg hochhoben und hinlegten. Dies war zumindest bequemer als der Klinikboden.

„Herr Schneider, das sieht mir nach einem Herzinfarkt aus!", sagte der Arzt unterdessen. „Wir müssen natürlich einige Untersuchungen machen. Aber möglicherweise müssen wir auch bei Ihnen einen Eingriff vornehmen..."

Georg hoffte, dass die Ärzte zumindest Jonas vernünftig Auskunft über seinen und Lucas Zustand geben würden und nicht an irgendwelche zuständigen Kollegen verweisen würden, da sie selber keine Auskunft geben konnten oder durften...

Gleichzeitig bedauerte er es, dass Jonas nun darüber informiert wurde, dass sein Bruder und sein Vater mit einer nicht unerheblichen Verletzung im einen Fall und im anderen Fall mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus lagen. Er dachte daran, dass auch Lucas sich wahrscheinlich Vorwürfe machen würde. Das wollte er nicht....


Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt