Kapitel 57

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  In den folgenden zwei Tagen geschah zu Felix und Jessicas Erleichterung nichts. Keiner fühlte sich erneut beobachtet und es klopften auch keine Dämonen an die Tür.

Trotzdem blieben die vier WG-Bewohner vorsichtig und Anita verzichtete sogar darauf, ihren Freund am Abend in die Disko zu schleppen. Statt dessen machten sie es sich am Sonntagabend zu viert vor dem Fernseher bequem und schauten sich ein paar Filme an.

Sie verzichteten dabei bewusst darauf, sich Horrorstreifen anzusehen.

„Ich will noch mal Dirty Dancing sehen," sagte Jessica ein wenig schlaftrunken. „Der ist schön. So romantisch."
„Ich finde Ghost viel schöner," erwiderte Anita. „Immerhin auch ein Film mit Patrick Swayze."

Dies gefiel Dieter ganz und gar nicht. „Das geht nicht. Da geht es immerhin um Geister. Und wir wollen nichts sehen, wo auch nur ansatzweise etwas übernatürliches vorkommt."

„Aber Ghost ist nicht gruselig, sondern romantisch," widersprach Anita energisch. „Und du tust gerade so, als hätte ich vorgeschlagen, irgendwelche Zombie-Filme zu gucken. Du weißt schon, so Filme, wo es keine Handlung gibt...."

Dieter war gänzlich anderer Meinung und Anita schien nicht zu merken, dass er sich über sie lustig machte. Vielleicht tat sie aber auch nur so. „Geister sind was übernatürliches."

Er drehte sich zu Felix um, der auf dem Boden saß. Jessica hatte sich neben ihn gelegt und ihren Kopf auf seinem Bein abgelegt. Er spielte gedankenverloren mit ihrem Haar. Offenbar war Jessica eingedöst.
„Nun sag doch auch mal was," forderte Dieter seinen Geschlechtsgenossen auf. „Willst du Geister-Filme sehen."
„Ich mag die alten Ghostbuster Filme aus den 80ern. Du weißt schon, der mit dem großen weißen Männchen und den Teil mit der wandelnden Freiheitsstatue."

Auch seine Stimme klang müde und schließlich erhob Jessica sich. Sie rieb sich die Augen.„Wie spät haben wir es eigentlich? Ich glaube, kurz vor elf. Ich gehe ins Bett. Schließlich muss ich morgen früh arbeiten. Es hat sich einer angemeldet, der ein neues Gebiss braucht. Dazu müssen ihm Zähne gezogen werden.

Sie stand auf und auch Felix erhob sich. „Ich komme mit," sagte er und die beiden verließen das Wohnzimmer, während Dieter und Anita noch sitzen blieben.

„Na, großartig," stellte Dieter säuerlich fest. „Du willst Horrorfilme sehen.."
„Liebesfilme," unterbrach Anita ihren Freund, aber der sprach weiter. „Und Jessica erzählt Gruselgeschichten über die Foltermethoden ihres Chefs. Das ist gemein. Zähne ziehen...."

Anita grinste. „Ja, ist es. Aber...."

Sie schwieg und beide fuhren hoch, als etwas gegen die heruntergelassenen Rollläden schlug.

„Was war das?", fragte Dieter nach einem Moment des Schweigens. „War das der Wind?"

In der Tat herrschte draußen stürmisches und regnerisches Novemberwetter. Aber irgendwie hatte es sich anders angehört.
Anita schluckte und kuschelte sich in die Sofaecke. Sie zog eine dort liegende Decke zum Teil über sich und wirkte mit einem Mal wie ein verängstigtes kleines Mädchen. „Vielleicht war es ja ein Geist...und dann kein netter. Nicht so einer wie in Ghost..."

Dieter nickte. „Eher ein Dämon mit roten Augen. Wir sollten Jessica und Felix Bescheid sagen...."

Eine halbe Stunde später kehrten Jessica und Felix in die Wohnung zurück. Sie hatten, bewaffnet mit ihren Schwertern, die sie so gut es ging mit ihren Jacken verdeckt hatten, die nähere Umgebung abgesucht.
„Und?", fragte Anita aufgeregt. „Zum Glück ist euch nichts passiert."

„Wir haben nichts gefunden. Keine Dämonen. Genaugenommen war auch keine Menschenseele auf der Straße. Ein Taxi ist vorbei gefahren, aber das war auch alles.," sagte Felix und lehnte sein Schwert gegen das Sofa. „Dafür war es eiskalt."
„Ich mach uns einen heißen Tee," schlug Dieter vor. „Und da war wirklich nichts? Vielleicht war es ja tatsächlich nur der Wind. Tut mir leid, dass ich euch beide um eure wohlverdiente Nachtrunde in eurem schönen neuen breiteren Bettchen gebracht habe...."

In der Tat hatten Felix und Jessica vor kurzem, von Felix erstem selbstverdienten Geld ein breiteres Bett gekauft. Allmählich war es trotz dem gegenseitigen Bedürfnis nach nächtlicher Nähe ein wenig eng in Jessicas altem Einzelbett geworden.
„Ihr rückt immer noch ganz nah aneinander," sagte Anita und kicherte nervös. Wahrscheinlich wollte sie auf diese Weise ihre Angst und Unruhe überspielen. „Ich hab es gesehen, als ich neulich reingeschlichen bin um mir einen von Jessicas Pullovern auszuleihen."

„Ach, da ist der geblieben," antworte Jessica, kam dann aber wieder zum eigentlichen Thema zurück.
„Es war richtig, dass du uns Bescheid gesagt hast. Vielleicht war da wirklich nichts. Vielleicht war es der Wind. Aber lieber einmal zu viel nachschauen als einmal zu wenig. Sicher ist sicher."

Anita nickte und gähnte. „Ich bin müde. Aber ich glaube nicht, dass ich schlafen kann. Eigentlich bin ich auch nicht so ängstlich Ich mag nur keine Ungewissheit. Ich glaube, ich wäre wesentlich beruhigter, wenn wüsste, dass da ein zehnköpfiges achtzig Meter großes Monster lauert, dass mich fressen will. Dann wüsste ich wenigstens, dass da etwas ist oder ob ich mir umsonst Sorgen mache."
„Das geht mir so ähnlich. Ich mag klare Feindbilder," antwortete Felix. „Aber wir können im Moment sowieso nicht mehr tun als wir schon tun. Reinkommen können Dämonen nicht. Und sie können uns dank unserer Pflänzchen auch nicht raus rufen."

Schließlich ging in der Wohnung der WG in allen Zimmern das durch die Rolläden scheinende Licht aus und keiner von ihnen ahnte, dass hoch über ihnen, fast schon in Höhe der Wolken, ein Geschöpf schwebte und dann langsam davon flog. Eine Seele hatte es sich an diesem Tag bereits geholt.
Eine Frau, die vor einer Haustür in einem anderen Teil Münchens nach ihrem Hausschlüssel gekramt und diesen nicht sofort gefunden hatte war ihm zum Opfer gefallen und zwischenzeitlich von ihrem entsetzten Ehemann gefunden und heftig beklagt worden.






In einem anderen Teil des Landes fand Britta keinen Schlaf. Aber dies lag weder an mangelnder Müdigkeit und auch nicht daran, dass ihre Tochter Anna-Lena sie wach hielt. Die jetzt Einjährige hatte seit zwei Wochen die Nächte durchgeschlafen und ließ gönnte ihren Eltern die Nachtruhe.

Auch das Baby in Brittas Bauch pflegte seine Hauptstrampelzeiten meist in den frühen Abendstunden auszuleben und nicht sonderlich nachtaktiv zu sein. Aber Britta wusste natürlich, dass sich dies jederzeit ändern konnte.

Seit ein paar Tagen wusste sie, dass sie im März ein zweites kleines Mädchen zur Welt bringen würde. Auf der einen Seite wäre ihr ein Junge recht gewesen. Von jeder Sorte ein Kind hatte doch durchaus etwas. Aber ein zweites Mädchen besaß den Vorteil, dass sie die niedlichen Babysachen, die sie mit Bedauern in einen Karton geräumt hatte, als Anna-Lena aus ihnen herauswuchs, noch einmal benutzten konnte.
Außerdem würden sich die Kinder ein Zimmer teilen und da war es vielleicht nicht das Schlechteste, wenn sie ein Geschlecht besaßen.

„Zickenterror," sagte Britta sich, verdrängte diesen Gedanken aber wieder. Ihre Töchter würden natürlich die besten Freundinnen sein und sich unsagbar gut verstehen.

Nein, ihre Kinder, weder das Geborene noch das Ungeborene, hielten sie nicht wach.

Dennis war derjenige, der sich unruhig hin und her wälzte und sie dabei hin und wieder anstieß. Vor ungefähr einer Viertelstunde hatte sie ihm einen leichten Schlag gegen den Oberarm versetzt und aufgefordert, ein wenig ruhiger liegen zu bleiben.

Schließlich wollte sie selber auch irgendwann einmal schlafen.

Aber seit seiner Grippe vor einiger Zeit schlief Dennis sehr unruhig und sie hatte bereits im Internet nachgeforscht, ob dies vielleicht eine Spätfolge des Infekts war.
„Geh zum Arzt," murmelte sie ungehalten. „Und lass dir was aufschreiben, damit hier Ruhe einkehrt."

Vielleicht war sie egoistisch. Aber sie hatte schließlich auch ihre Bedürfnisse, und Schlaf war nun einmal sehr wichtig für sie. Außerdem nervte Dennis sie im Moment sowieso ein wenig. Er wirkte manchmal so abwesend und schien gar nicht ganz bei ihr zu sein. Häufig hörte er nicht einmal zu, wenn sie etwas sagte und lediglich Anna-Lena konnte ihn aus einer geistigen Abwesenheit herausreißen.

Der Kleinen gegenüber verhielt er sich wie immer und Britta fragte sich bereits, ob sie irgend etwas verkehrt machte.

Dennis murmelte etwas und Britta glaubte, einen Namen zu hören. Aber es war nicht ihr Name.

„Carolina? Wer zur Hölle ist Carolina?", dachte sie. „Oder hat er Carola gesagt? Was soll das?

Am liebsten hätte sie ihn sofort geweckt und gefragt, wen oder was er damit meinte. Warum sprach er den Namen einer anderen Frau aus? Oder hatte sie sich verhört?

Mit einem Mal war sie hellwach, während Dennis allmählich ruhiger wurde und anscheinend in eine Tiefschlafphase rutschte.

Am liebsten hätte sie Julia angerufen und gefragt, was sie von der ganzen Sache hielt. Oder steigerte sie sich in etwas hinein, so wie damals, als sie dauernd dachte, tote Personen zu sehen? Dieses Problem hatte sie mittlerweile nicht mehr und sie schob es inzwischen auf den damaligen Schlafmangel.

Sie sah auf die Leuchtziffern ihres auf dem Nachttisch stehenden Weckers. Ein Uhr Nachts. Wahrscheinlich schliefen Julia und Jonas bereits, wobei es sie nicht sonderlich interessierte, ob sie letzteren aufweckte. Er war doch ein Dämonenjäger. Die liefen dauernd Nachts durch die Gegend und brauchten wahrscheinlich eh nicht so viel Schlaf.

Aber Julia wollte sie nicht aufwecken, zumal diese im Moment, zumindest hatte Britta den Eindruck, ihre Sorgen nicht so wirklich ernst nahm.
Gut, ihr Stalker war eines gewaltsamen Todes gestorben. Natürlich war das ganze sehr unappetitlich. Aber immerhin war sie ihn doch auf diese Weise los geworden. Irgend jemand anderer hatte die Drecksarbeit für sie erledigt.

Trotzdem ging Julia diese Sache irgendwie noch nach. Hinzu kam, dass sie sich Sorgen wegen dem am übernächsten Tag stattfindenden Gerichtsprozess machte. Ein Teil von ihr schien wirklich Horrorvisionen zu haben, dass man Jonas direkt vom Gerichtssaal in den Knast brachte und ihn dort lebenslang einsperrte.
„Wenn wären das doch bestimmt nur ein paar Monate," sagte Britta sich. „Und sein Anwalt hat doch gesagt, dass es nicht so schlimm kommen würde. Geldstrafe wahrscheinlich. Das wäre mein größtes Problem. Das schöne Geld. Und alles nur, weil ihr Kerl sich nicht im Griff hatte. So wie Dennis! Der kann nicht mal ruhig liegen bleiben und spricht im Schlaf von einer Carolina....

Sie setzte sich auf, als das Kind im Bauch sie heftig trat.

„Schön, du kommst also nach deinem Papa. Du hast noch dreieinhalb Monate Zeit um zu wachsen. Wahrscheinlich trittst du dann so heftig wie Anna-Lena zum Schluss" dachte sie und legte eine Hand auf den Bauch. „Hauptsache, ihr könnt euch wie auch immer austoben.. An mich denkt mal wieder keiner!"  

Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt