Kapitel 48

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  Lisa kam sich ein wenig fehl am Platze vor, als sie, mit ihrem Halloweenkostüm bekleidet und zwei große Plastiktüten in den Händen haltend, durch Raichelbach zum Haus von Tonis Großeltern ging. Einige der Dorfbewohner, die ihr begegneten sahen sie erstaunt und belustigt zugleich an.

Außer ihr trugen lediglich zwei kleine Kinder ein Kostüm.

Beide standen, gemeinsam mit ihrer Mutter, vor einem Einfamilienhaus und eine etwas verunsichert aussehende Frau steckte ihnen einen Schokoriegel in die Tüten. „Tut mir leid," hörte Lisa die Frau sagen. „Ich kenne mich mit Halloween so gar nicht aus. Das kenne ich nur aus dem Fernsehen, darum habe ich auch keine Süssigkeiten besorgt..."
„Macht nichts, antwortete die Mutter der beiden Kinder, die Lisa nun als Jana und Tim aus der Nachbarschaft erkannte. Es handelte sich um fünfjährige Zwillinge und nun nickte die Mutter der beiden Lisa freundlich zu.

„Noch ein Kostüm," freute sich Tim, als er Lisa sah und diese lächelte den Jungen an.

„Ich habe ein paar kleinere Chipstüten dabei," sagte sie und griff in ihren Beutel.

Sie reichten den Zwillingen jeweils eine kleine Tüte. „Damit ihr ein bisschen was zusammen bekommt..."
„Danke," sagten die Kinder wie aus einem Munde, während die Mutter nun zur Eile drängte. „Es wird bald dunkel. Es dämmert schon...und wir gehen lieber nach Hause. Das Ding auf dem Friedhof..."
„Ja, unheimlich," nicht wahr?", stellte die Dame, vor deren Einfamilienhaus Lisa und die kleine Familie standen, fest. „Die hat etwas franzlartiges....wirklich gespenstisch. Und die eine Statue soll wie Alma aussehen, als sie jung war. Das hat meine Mutter gesagt..."

„Wir sollten den Abend wirklich besser drinnen verbringen," sagte Lisa und fügte, als sie die enttäuschten Gesichter der Zwillinge sah, hinzu: „Im Fernsehen kommen bestimmt Simpson-Halloweenfolgen. Die sind immer lustig..."

„Simpsons!", rief die kleine Jana. „Die will ich sehen! Darf ich, Mama? Bitte!"

Lisa nickte den vier zum Abschied zu und beeilte sich, zu Toni und Sarah zu gelangen. Sie traf nur noch eine weitere Person im Halloween-Kostüm.
Frank Mertens, ein junger Mann, der in der Nähe von Tonis Großeltern wohnte, stieg, in ein Graf Dracula-Kostüm gekleidet, in seinen Wagen.

„Party?", fragte Lisa, als er ihr grüßend zunickte.

„Ja, ich fahre zu meinem Cousin. Der feiert in seinem Keller. Aber der wohnt in der Zivilisation, wo man Halloween kennt.", antwortete Frank und fügte grinsend hinzu: „Was ist mit dir? Willst du mitkommen? Du passt als Vampirin doch gut zu mir!"

Lisa lachte. „Nein, ich treffe mich schon mit einem Geist und einer Hexe. Aber viel Spaß heute Abend!"

Kurz darauf öffnete Toni Lisa und ließ sie hinein, während sie ihm einen der Beutel, in dem sich die Chips befanden, in die Hand drückte. „Schön, dass du gekommen bist! Ich hab schon befürchtet, du würdest es dir doch noch anders überlegen," sagte Toni, der sein Bettlaken in der Hand hielt.
„Sorry, aber das Teil ist blöd. Es dauernd vor meinen Augen und ich will ganz gerne noch erkennen, was im Fernsehen läuft."

Lisa nickte und betrat, gemeinsam mit Toni, das Wohnzimmer.

Das Licht war ausgeschaltet worden und die einzige Beleuchtung kam von zwei Keramikkürbissen, die, beleuchtet von einer Kerze, auf dem Wohnzimmertisch standen.

„Die Kürbisse hat Sarah mitgebracht," sagte Toni, während er den Inhalt von Lisas Chipstüten in eine Schüssel schütte.

„Die sind schön," sagte Lisa, auch, um wenigstens etwas nettes zu Sarah, die auf dem Sofa saß, zu sagen.
„Ja!", stellte diese lediglich fest und deutete dann auf mehrere DVD's, die auf dem Tisch lagen. „Welche Filme sollen wir anschauen? Freddy Krueger? Chucky die Mörderpuppe? Oder doch lieber die alten Dracula-Filme mit Christpoher Lee?"

Toni griff seufzend nach einer DVD-Hülle. „Meine Oma hat früher für Christopher Lee geschwärmt. Sie fand, dass er als Dracula gut aussah..."
„Wie geht es ihr eigentlich?", erkundigtet sich Lisa und hätte sich am liebsten geohrfeigt? Warum hatte sie sich nicht schon viel früher erkundigt?

Aber Toni schien gute Laune zu haben und sie sagte sich, dass er sicherlich nicht so gut drauf gewesen wäre, wenn es seiner Oma wirklich schlecht gegangen wäre.

„Kein Bruch!", beantwortete Toni unterdessen Lisas Frage. „Mein Opa hat vorhin angerufen. Sie hat sich den Knöchel verstaucht. Die Arme hatte ziemliche Schmerzen und sie behalten sie über Nacht im Krankenhaus. Mein Opa will im Dunkeln nicht mehr fahren. Er ist ein wenig nachtblind oder glaubt das zumindest. Darum hat er sich in der Nähe vom Krankenhaus ein Hotelzimmer genommen. Er und meine Oma kommen morgen Mittag nach Hause!"

„Ein Glück," sagte Lisa und setzte sich in den Sessel, während Toni auf dem Sofa Platz nahm.

„Also, was schauen wir uns an?", fragte Sarah, während sie in die Chipsschüssel griff. „Ich wäre für Freddy..."
„In Ordnung!", antwortete Lisa und Toni zuckte die Achsel. „Also gut, gucken wir uns den netten Herrn Krueger an. Aber beschwert euch nicht, wenn ihr heute Nacht schlecht träumt!"

Lisa nahm sich ebenfalls eine Handvoll Chips und nagte genüsslich an ihnen, während der Film begann. Sie hatten den Film bereits gesehen und konzentrierte sich halbherzig auf die Handlung. Statt dessen fiel ihr etwas anderes ein.
„Toni....was sagt eigentlich deine Oma dazu, dass diese Statue auf dem Grab vom Abermeier wie sie aussieht?"

Sarah stöhnte und deutete auf den Fernseher, aber Toni ging statt dessen auf Lisas Frage ein. „Sie ist stinksauer. Mein Opa auch. Der wollte sogar zum Anwalt gehen und schauen, ob da rechtliche Schritte möglich sind, aber dann hat er sich ein bisschen beruhigt und meinte, dass das wohl nicht allzu viel bringen würde."
„Deine arme Oma! Ich würde mich auch darüber ärgern," antwortete Lisa, während Sarah den beiden, vor allem aber Lisa, einen bösen Blick zuwarf. „Ich will das sehen...."

„Sorry, Sarah," entschuldigte sich Toni und legte den Arm um seine Freundin, während Lisa sich noch eine Handvoll Chips nahm und daran knabberte. Aber dann fiel ihr etwas anderes ein.

Sie stand auf und zog aus der zweiten Plastiktüte einen Blumentopf mit einer Eisenkrautpflanze heraus.
„Die sind für dich, Toni. Die schützen vor...Franzl-Wesen...", sagte sie und wagte ein nervöses Grinsen.

Toni nahm den Topf entgegen, während Sarah Lisa einen zornigen Blick zuwarf. „Was ist das für ein Gestrüpp?"

Anscheinend fragte sie sich, warum Lisa ihrem, Sarahs, Freund Blumen schenkte. Aber die andere ging nicht auf sie ein, sondern wandte sich statt dessen ausschließlich an Toni.

„Eisenkraut! Das schadet nicht. Und du kannst es ja bei deinen Großeltern lassen, wenn du wieder nach Hause fährst. Es verhindert, dass deine Großeltern oder sonst jemand im Haus Nachts auf den Friedhof laufen...für den Fall...das....", stammelte Lisa und schwieg, während Toni ihr nun auch einen verwunderten Blick zuwarf.

„Kann es sein, dass du diese ganze...Franzl-Sache ein bisschen zu ernst genommen hast? Das war doch nur eine Geschichte, die hier genüsslich ausgeschmückt wird. Eine Art lokale Legende...immerhin hat niemand jemals gesehen, das Franzl lebendig wurde...und die, de es angeblich haben, sind tot und man weiß es nur dem Hörensagen nach."

Lisa stöhnte innerlich auf. So wirklich glaubte Toni also nicht an Dämonenstatuen, aber war das denn ein Wunder? Natürlich hatte er gemeinsam mit seinen Eltern die ersten Jahre seines Lebens in Raichelbach verbracht und einmal hatten er und sie sich nachts aus dem Haus schleichen wollen, um die Wahrheit über Franzl, die Statue, herauszufinden.

Aber selber hatte er noch niemals eine lebendige Statue getroffen und dann war er fortgezogen und hatte das ganze als Legende abtun können.

„Naja....es...," begann sie, wusste aber nicht, was genau sie sagen sollte, zumal Sarah ihr nun einen genervten Blick zuwarf. „Wir haben zwar Halloween! Aber können wir jetzt mal den Film anschauen, anstatt die ganze Zeit über über irgendwelche imaginären Monster von Lisa zu reden? Es nervt allmählich!"

Dann wandte sie sich an Toni. „Außerdem solltest du keine Blumen ins Schlafzimmer stellen. Die nehmen dir nur den Sauerstoff weg! Das hat meine Oma immer gesagt und die muss es ja wissen!"

„Ist die so klug wie du?", erkundigte sich Lisa mit einem bösartigen Unterton. „Das erklärt ja einiges....die Macht der Gene...."
„Was willst du damit sagen?", fragte Sarah mit demselben Unterton und Toni stöhnte auf. „Kommt schon, lasst das. Auch an Halloween will ich nicht sehen, wie sich eine Hexe und eine Vampirkönigin auf dem Boden wälzen und die Haare ausreißen...."

Er grinste und versuchte offenbar, die Situation ein wenig aufzulockern. „Es sei denn, ihr seid nackig dabei...."

„Ekel...", maulte Lisa und Sarah zwickte ihn in den Arm, was ihm ein „Aua" entlockte. „Das hättest du wohl gerne..."

Toni hob beschwichtigend die Hände.„Lasst uns einfach den Film sehen, in Ordnung? Und dann kommt noch ein Film...ich hab den Trailer gesehen. Da ist ein Kerl, der sperrt Leute ein und die müssen abartige Fallen überleben....klingt für Halloween ganz spannend..."

Lisa und Sarah schafften es, sich zusammen zu reißen und sich einigermaßen auf den Freddy-Film zu konzentrieren, wobei Lisas Gedanken aber immer wieder abschweiften.
„Ich bin zu sehr davon ausgegangen, dass Toni die ganze Sache mit den Statuen ein bisschen ernster nimmt. Aber....ich kann ihm wohl keinen Vorwurf machen. Er führt ein normales Leben...und hat Mitgefühl mit mir, wegen Gerrit. Aber die genauen Umstände der ganzen Geschichte kennt er natürlich nicht....und wenn ich ihm sage, dass Gerrit selbst einmal eine Zeitlang zu den Statuen gehörte, wenn auch auf andere Art und Weise, dann....hält er mich vielleicht für verrückt...

„Ich muss mal aufs Klo," sagte sie und stand auf.

Sie nahm, von den beiden anderen unbemerkt, die Eisenkrautpflanze mit und schlich sich in den Flur, von dem das Gästezimmer, in dem Toni und Sarah schliefen, sowie das Schlafzimmer der Großeltern abgingen.
Dort gab es ein Fenster, das in Richtung Friedhof hinaus ging, auch wenn mehrere Häuser dazwischen standen.
Sie stellte die Pflanze auf das Fensterbrett. „Ich werde Frau Kratzer bitten, dass sie die Blume pflegt und ihr auch sagen, dass sie vor...bösen Dingen schützt. Im Gegensatz zu ihrem Enkel wird sie eher an Dämonenstatuen glauben!", dachte Lisa, ehe sie tatsächlich auf die Toilette ging und dort die Spülung drückte.

Schließlich sollte vor allem Sarah nicht mitbekommen, dass sie die Pflanze aufs Fensterbrett gestellt hatte. Sie hoffte darauf, dass niemand allzu sehr auf den Topf achten würde.

Jedoch dann hörte sie einen lauten Schrei aus dem Wohnzimmer und zuckte zusammen, während etwas umfiel...

„Die...Statuen. Sie sind hier....," dachte Lisa in einem ersten Impuls und hielt den Atem an.  

Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt