Kapitel 31

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 In dieser Nacht schreckte Lisa aus einem Traum auf, auch wenn er, auf den ersten Blick gesehen, alles andere als schlimm war.

Sie saß, gemeinsam mit Gerrit, an einem See und eine Entenfamilie schwamm vorüber. Sie hielten sich an den Händen und Lisa strich sanft über Gerrits Handrücken.
„Ich bin müde...," klagte Gerrit mit einem Mal und er legte sich, den Kopf in Lisas Schoss bettend, zurück. Dann lächelte er.
„So ist es besser," sagte er und griff erneut nach ihrer Hand. „Bestimmt wieder so eine Grippe. Geht nicht im Moment noch immer diese Schweinegrippe um? Der Arzt meinte schon, ich solle mich impfen lassen, aber...."

Irgend etwas stimmte ganz und gar nicht, und während Lisa sanft über Gerrits Haar strich wurde es ihnen beiden klar.

„Er kann dich nicht impfen! Bevor diese Vogelgrippe-Geschichte aufkam warst du schon.....tot....", sagte sie leise und wagte nicht, lauter zu sprechen.

Aber es war bereits zu spät, denn Gerrit war verschwunden und sie fand sich im Traum auf dem Friedhof an seinem Grab wieder. Aber der sonst so gepflegte Ort war mit einem Mal verwüstet und Unkraut wucherte überall.
„Eigentlich ist er schon seit Jahrhunderten tot und begraben... .alles danach war ein Geschenk, dass er und ich wieder zurückgeben musste. Ein Geschenk, für das er viel teurer bezahlt hat als ich," schoss es ihr in den Kopf und sie spürte, dass ihr die Tränen kamen.

„Jahrhunderte voller Leid gegen ein Jahr Glück. Was ist das denn schon?", dachte Lisa und fand sich schließlich schluchzend in ihrem Bett wieder.

Sie setzte sich auf und schaltete das Licht ein. Sie sah auf ihren Wecker. „Fünf Uhr morgens! Sonntag morgen! Die Nacht ist noch lang," dachte sie und beschloss, aufzustehen. Vielleicht lief ja etwas im Fernseher?

Vorher griff sie nach ihrem Handy.

Am Vorabend hatte Toni ihr noch eine SMS geschrieben. „War mit Sarah im Kino! Ein guter Film, solltest du dir auch ansehen. Hoffe, es geht dir besser!"

Sie lächelte und wischte sich ihre Tränen fort. Für einen kurzen Moment konnte diese Nachricht sie ablenken. Wenigstens ging es ihrem alten Freund aus Kindertagen gut und sie wusste es durchaus zu schätzen, dass er sich nun öfters nach ihr erkundigte und von sich hören ließ.

„Schade, dass er und seine Sarah nicht in Raichelbach wohnen," dachte Lisa. „Die beiden sind so richtig niedlich ineinander verliebt!"

Auf der anderen Seite würde es ihr auch schwer fallen, andauernd ein verliebtes Paar, das herumturtelte, vor Augen zu haben.

„Ich stehe jetzt auf," beschloss Lisa und sie zog sich leise an. Aber sie entschied sich dann doch nicht dafür, den Fernseher einzuschalten.
„Praktisch, dass ich mir meine schlabberige Jogginghose angezogen habe," dachte sie und schlich sich leise die Treppe hinunter, um ihre Eltern, die notorische Langschläfer waren, nicht zu wecken.

Eigentlich wusste sie ein langes Ausschlafen auch durchaus zu schätzen. Aber im Moment schlief sie einfach zu unruhig.

„Toni hat gesagt, dass er joggen geht, wenn er mies drauf ist! Danach würde es ihm besser gehen," dachte Lisa, als sie das Haus verließ.

Warum sollte sie es nicht auch einmal mit Sport versuchen? Sie würde zum Friedhof und anschließend einmal um den Ort herum laufen – vorausgesetzt natürlich, ihr ging vorher nicht die Puste aus.

Schließlich war sie vollkommen untrainiert und hatte bislang kaum Sport getrieben. Zwar war sie nicht unsportlich. Im Frühling und im Sommer unternahm sie gerne Wanderungen in den Bergen, natürlich nicht allein. Ihre Mutter hatte sie früher häufig begleitet, und manchmal war sie auch zusammen mit Gerrit gewandert, auch wenn dieser weitaus schneller als sie erschöpft gewesen war.

Gejoggt war sie bislang noch nie.

Aber vielleicht war die Zeit ja reif, um sich mit neuen Dingen zu beschäftigen? Und ein wenig zusätzliche Bewegung würde ihr sicherlich nicht schaden. An mögliche Gefahren wie Dämonen oder schlechte Menschen verschwendete sie keinerlei Gedanken. Was sollte ihr schon passieren? Franzl war seit langem besiegt, weitere Dämonen in der näheren Umgebung waren ihr nicht bekannt und war um diese Zeit und bei leichtem Nieselregen überhaupt jemand unterwegs?

Eine Viertelstunde später stand Lisa vor Gerrits Grab, aber anders als in ihrem Traum wuchs dort kein Unkraut, sondern es sah so gepflegt aus wie immer. „Die Blumen da drüben müssen von Frau Huber sein," dachte sie mit einem Lächeln. „Sie kommt auch noch immer regelmäßig...."

Sie atmete erleichtert auf und berichtete ihrem toten Freund leise was in ihr vorging. „Ich hatte einen blöden Traum! Danach war ich so aufgewühlt. Dabei ging es mir in den letzten Tagen schon besser! Ich hab tatsächlich ein paar Nächte richtig gut geschlafen und hatte mal wieder richtig Hunger auf Schokopudding! Das war lange nicht so, ich habe seitdem du nicht mehr da bist mindestens sieben Kilo abgenommen."

Sie beschloss, eine SMS an Toni zu schicken. Darin berichtete sie in kurzen Worten, was sich in der letzten Stunde zugetragen hatte. Ihr Alptraum und ihr Joggingausflug auf den Friedhof.

Sie wartete einen Augenblick ab, aber natürlich antwortete Toni nicht. Um diese Zeit schlief er sicherlich noch tief und fest.

„Sonst kann ich eigentlich mit keinem reden! Da wären natürlich Gerrits Freunde, Jonas, Julia, Jessica und so. Aber mit denen hatte ich eigentlich noch nie so viel zu tun.Toni kenne ich schon ewig," dachte sie und lächelte. „Wenn das so weitergeht wird seine Freundin noch eifersüchtig! Ich sollte mich da ein bisschen mehr zurücknehmen!"

Sie machte sich auf den Weg zum Ausgang und kam dabei an einem offenen Grab vorbei, das ihr bereits beim Betreten des Friedhofes aufgefallen war.

„Da wird jemand beerdigt, den hier niemand kennt! Der ist glaube ich irgendwo verstorben, aber seine Oma kam von hier! Er will neben ihr begraben werden," dachte Lisa.

Dies hatte ihr jedenfalls ihre Mutter erzählt.

„Gertrud Maria Abermeier, geb. 1885, gest. 1957, „ stand auf dem Grabstein. Und nun würde die Verstorbene nach über fünfzig Jahren Gesellschaft von ihrem Enkel, der immerhin auch über siebzig Jahre alt geworden war, bekommen.

„Ich kenne keine Familie Abermeier! Die sind hier in der Gegend wahrscheinlich wirklich seit 1957 ausgestorben. Aber wenn er unbedingt ins Familiengrab wollte, dann bitte schön," dachte Lisa, während sie den Friedhof verließ um ihre Joggingrunde fortzusetzen.






Auch Lucas schlief an diesem Morgen nicht allzu lange. Ein lautes Klopfen an seiner Zimmertür riss ihn aus dem Schlaf und er setzte sich, mit Kopfschmerzen, auf.

„Lucas, ich sauge jetzt," rief Georg laut und klopfte noch einmal an die Tür. „Also wenn du davon wach wirst sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.
„Mein Kopf," jaulte Lucas und zog sich die Bettdecke über den Kopf, während sein Vater damit begann, die Wohnung zu saugen.
„Warum muss er das an einem Sonntagmorgen um halb Sieben machen? Das stört doch die Nachbarn! Und mich stört es noch viel mehr," jammerte er, während ihm einfiel dass die direkten Nachbarn vor ein paar Tagen in den Urlaub gefahren waren und die alte Dame, die unter ihnen wohnte, war schwerhörig und überhörte auch regelmäßig die Türklingel, was den Postboten schon öfter veranlasst hatte, bestellte Pakete bei Georg und Lucas abzugeben.

Er schreckte erneut auf, als ein lauter Schlag gegen die Tür erfolgte. Die Zimmertür wurde aufgerissen und Georg betrat das Zimmer. Gut gelaunt zog er die Bettdecke weg. „Tut mir leid, Lucas! Ich wollte dich nicht wecken, obwohl du ja eigentlich genug Schlaf hattest, schließlich lagst du ja die ganze Nacht im Bett. Aber ich bin mit dem Staubsaugerrohr an die Tür gestoßen. War keine Absicht! Schlaf ruhig weiter, während ich mit der Hausarbeit weitermache.

Er grinste. „Ach ja, ich sag dir in einer halben Stunde Bescheid! Denn dann kannst du mir helfen! Ich will den Keller aufräumen! In der Woche komme ich ja nie dazu!"

Georg verließ das Zimmer und schloss die Tür deutlich lauter als notwendig.

„Aua...," klagte Lucas, während sich in seinem Magen ein wahrer Tsunami an Übelkeit zusammenrollte.

Er zog sich erneut die Bettdecke und zusätzlich ein Kopfkissen über den Kopf, aber dies nutzte nichts, denn nun hörte er das laute Geräusch des Industriesaugers. „Ich mach die Ecken im Bad sauber! Da klebt der Schmutz geradezu, ein normaler Sauger reicht nicht," rief Georg.

Leider befand sich das Badezimmer unmittelbar neben Lucas'Schlafzimmer.

„Was soll das denn? Es ist noch nicht einmal sieben Uhr," jammerte Lucas, während ihm ein Licht aufging.
„Das ist...gemein! Da wäre es mir ja lieber, wenn er mich richtig zur Sau machen würde. Aber dieser Krach...."

Die Tür zu seinem Zimmer wurde erneut aufgerissen.

„Lucas, steh doch mal kurz auf! Ich will dein Bett zur Seite schieben und darunter saugen! Da sammelt sich der Staub!", bat Georg und schob Lucas Schreibtischstuhl zur Seite. Dieser fiel um und stieß genau gegen das Bett des verzweifelt nach Schlaf Suchenden.

„Papa.....," jammerte Lucas mit leiderfüllter Stimme. „Ich hab es kapiert! Ich hab Mist gebaut.....tut mir leid! Aber das hier verstößt gegen die Genfer Konvention! Schlafentzug ist eine Foltermethode...."
„Dann hast du in der Schule ja doch etwas gelernt," stelle Georg mit einem bissigen Unterton in der Stimme fest. „Und ich hatte schon Sorge, dass du vor lauter Party Feiern und Saufen nichts mehr mitbekommen würdest!"

Er schob den Staubsauger in den Flur und setzte sich zu Lucas aufs Bett. „Und, wo warst du? Bist du mit Meike ausgegangen?"

„Ja....," klagte Lucas.

Er fühlte sich nun wirklich nicht in der Stimmung, sich irgendwelche Ausreden einfallen zu lassen. „Wir waren in der Disko, in der Innenstadt. Hieß früher „Mallorca", aber jetzt ist ein neuer Inhaber drin. Jetzt heißt es nur noch Party-Disko....nicht sehr einfallsreich..."

Georg schüttelte den Kopf. „Und du konntest nicht Bescheid sagen und vernünftige Zeiten absprechen, wann du wieder nach Hause kommst? Was sagen den Meikes Eltern dazu?"

„Die schläft nicht zu Hause. Ich hab sie zu einer Freundin gebracht. Sie übernachtet da, ihre Eltern wissen von nichts," erwiderte Lucas kleinlaut. „Und....es ist uncool, wenn man früh nach Hause muss...."
Georg zog Lucas die Bettdecke vom Kopf. „Jetzt komm da raus! Dann können wir uns vernünftig unterhalten. Und es ist egal, ob es uncool ist! In ein paar Jahren kräht da kein Hahn mehr nach und du siehst es wahrscheinlich anders."

„Aber Benny war auch da," sagte Lucas und fügte erklärend hinzu: „Meikes Exfreund. Er ist volljährig und feiert die ganze Nacht. Früher hat er Meike dann mitgenommen!"

„Und du willst Meike beeindrucken, indem du partyfester bist und den Ex unter den Tisch säufst?", erkundigte sich Georg. „Lucas, das ist wirklich dämlich! Sehr dämlich! Verliebt hin oder her! Und wenn deine Meike auf so etwas Wert legt, dann ist sie vielleicht nicht so toll, wie du glaubst! Außerdem ist Benny ihr Ex-Freund! Die Beziehung hat trotz diverser Partymarathons nicht gehalten."

Der Tsunami in Lucas Magen bahnte sich nun seinen Weg ans Ufer und er sprang aus dem Bett und lief ins Badzimmer.

Georg wartete geduldig ab, bis er die Toilettenspülung hörte und sein Sohn ins Zimmer zurück kehrte. Lucas Gesichtsfarbe war leichenblass und er sah aus wie ein Häuflein Elend. Fast hätte Georg Mitleid bekommen.

Aber nur fast.


Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt