Julia und Jonas hielten sich für ungefähr eine Viertelstunde an die Anweisung der Ärztin, Georg und Lucas nicht mit einem Besuch zu belästigen. Sie saßen wieder auf den Plastikstühlen und während Julia erneut die uralte Zeitschrift anstarrte verlor Jonas endgültig die Geduld.
„Ich gehe jetzt zu meinem Bruder und zu meinem Vater. Notfalls schlage ich die Pfleger und Ärzte nieder," sagte er und stand auf.
„Jonas, nicht. Das kannst du doch nicht machen," bat Julia, während Jonas kurz darauf an die Tür der Intensivstation klopfte.
Schließlich öffnete eine junge Frau in hellblauer Kleidung die Tür. „Ja, bitte?", fragte sie so freundlich wie möglich. „Wir haben jetzt keine Besuchszeit."
„Ich weiß. Aber ich möchte zu meinem Vater oder meinem Bruder. Einer von ihnen oder vielleicht sogar beide könnten hier sein. Oder wie viele Intensivstationen haben Sie?"
„Es gibt mehrere Räume hier," sagte die Krankenpflegerin. „Aber nicht um diese Zeit..."
„Das ist mir jetzt egal," sagte Jonas und machte Anstalten, die junge Frau zur Seite zu schieben, als Julia sich einmischte.
„Wir warten schon die halbe Nacht und wissen nicht wirklich, wie es den beiden geht. Es geht um Georg Schneider und Lucas Frinken. Dürfen wir nicht ganz kurz zu ihnen? Ich weiß ja, dass sie Ihre Vorschriften haben und wir wollen auch nicht, dass Sie Ärger bekommen. Aber es wäre wirklich wichtig für uns und auch für meinen Schwiegervater. Sonst regt er sich bestimmt noch mehr auf. Und Lucas ist erst siebzehn. Bestimmt hat er Angst..."
Sie schenkte der Frau ihren liebsten Dackelblick. Dieser hatte bei Ihrem Vater und ihren Großeltern immer wahre Wunder gewirkt. Lediglich ihre Mutter war dagegen immun.
Leider schien die junge Frau etwas mit ihrer Mutter gemeinsam zu haben. Zwar lächelte sie nach wie vor, schüttelte dann aber den Kopf.
„Das tut mir leid.Ich kann sie nicht reinlassen. Dann bekomme ich wirklich Schwierigkeiten," sagte sie und wollte die Tür schließen, aber Jonas kam ihr zuvor.
Er stieß die Tür auf und schob die junge Schwester so sanft wie möglich zur Seite. Er wollte sie schließlich nicht verletzten oder unnötig verängstigen. Aber er hatte die Nase allmählich voll von diesem Krankenhaus und der unsensiblen Behandlung der Angehörigen. Er hoffte, dass zumindest seinem Vater und seinem Bruder mehr Freundlichkeit zuteil wurde.
„Sie können nicht...," rief die Schwester nun auch, gab sich dann aber anscheinend geschlagen. „Dort drüben, im zweiten Zimmer. Dort liegt Ihr Vater. Ihren Bruder werden Sie am anderen Ende des Ganges finden. In Zimmer 12.
„Danke, wir möchten Ihnen wirklich keinen Ärger machen. Wir sind auch still und stören niemanden," sagte Julia und die Schwester deutete auf ein Waschbecken. „Bitte desinfizieren Sie vorher wenigstens die Hände!"
Julia und auch Jonas erfüllten die Bitte der Schwester, ehe sie Georgs Zimmer betraten.
Er schenkte seinen beiden Besuchern ein schwaches Lächeln und Julia schluckte schwer, als sie die Geräte sah, an die ihr Schwiegervater angeschlossen war. Auf einem Bildschirm wurden sein Blutdruck und seine Herzfrequenz angezeigt, außerdem steckte eine Infusion in seiner Hand. Das schlimmste war aber die blasse Haut.
Georg sah wirklich...krank aus. So kannte sie ihn nicht.
Jonas zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben seinen Vater, während Georg kurz nach der Hand seiner Schwiegertochter griff. „Hat euch diese Dämonen-Ärztin rein gelassen? Oder musste Jonas sie enthaupten?", wagte er einen schwachen Scherz, den weder Jonas noch Julia in diesem Moment wirklich lustig fanden.
„Das war nicht nötig. Die Schwester hat uns rein gelassen," antwortete Jonas leise, während er seinen Vater besorgt betrachtete.
„Was ist denn nur passiert? Die Ärztin sagte, dass du einen Herzinfarkt hattest und dass du zwei Stents bekommen hast. Viel hat sie nicht erklärt."
„Ich war hier, wegen Lucas. Es ging mir schon den ganzen Abend nicht so besonders. Der ganze Tag war stressig. Und dann kam der Anruf wegen Lucas....und mir sagt hier keiner, wie es ihm geht. Nur die Schwester meinte vorhin, ich solle mir keine Sorgen machen...", antwortete Georg und griff nach Jonas' Arm.
„Was ist mit Lucas...lebt er?", fragte Georg und packte den Arm seines älteren Sohnes fester. Er schien sich wirklich sehr große Sorgen zu machen.
„Ja, er lebt. Und die Ärztin hat auch gesagt, dass es ihm bald wieder besser gehen wird. Mach dir keine Sorgen," schwächte Jonas die Aussagen der unfreundlichen Frau ein wenig ab. „Ich werde nachher einmal nach ihm sehen."
Georg nickte. „Aber sag ihm nicht sofort, dass ich wegen einem Herzinfarkt ein paar Zimmer neben ihm liege. Ich will nicht, dass er sich damit auch noch belasten muss. Sag ihm, ich käme so bald wie möglich vorbei...und sorge dafür, dass dieses Sensibelchen von Ärztin ihm nicht erzählt, dass ich mich wegen ihm aufgeregt hätte. Darum ist es nicht passiert. Mir ging es schon den ganzen Abend über nicht gut. Eigentlich seit Wochen nicht... Der Kardiologe, der die Stents gesetzt hat, meinte, es wäre in den nächsten Stunden wahrscheinlich sowieso passiert. Die Gefäße waren verstopft....dazu der Stress bei der Arbeit...sag Lucas noch nichts davon."
Jonas dachte bei sich, dass dies zu einem Problem werden würde. Auch Lucas dürfte sich darüber im klaren sein, dass Georg im Normalfall an seinem Bett sitzen würde. Aber vielleicht konnte er die Information über den schlechten Gesundheitszustand ihres Vaters tatsächlich noch eine kurze Zeit geheim halten bis es Lucas ein wenig besser ging.
„Mir geht es jetzt etwas besser. Ich bin müde. Aber ich glaube, die Medikamente wirken," sagte Georg, als sich die Tür öffnete.
Die Krankenschwester betrat den Raum. „Ich muss Sie nun bitten, zu gehen. Sonst bekomme ich wirklich Schwierigkeiten."
„Schon gut, Jonas," sagte Georg, wandte sich dann aber an die Schwester. „Bitte erlauben Sie es meinem Sohn, dass er noch schnell nach meinem jüngeren Sohn sieht. Sonst rege ich mich auf. Und Sie wollen doch nicht, dass ich noch einen Herzinfarkt bekomme, oder?"
Jonas dachte bei sich, dass dies ein wenig unfair von seinem Vater war. Gleichzeitig fragte er sich, ob auch der Stress mit seiner Gerichtsverhandlung zum Herzinfarkt seines Vaters beigetragen hatte. Aber er wusste, dass Georg so etwas von sich weisen würde und ihm genauso wenig die Schuld an seinem Gesundheitszustand geben würde wie seinem anderen Sohn.
Die Krankenschwester blickte verlegen zu Boden. „Nein, natürlich nicht...sie sollen keinen weiteren Infarkt.... Aber....nur Ihr Sohn darf zu seinem Bruder. Nicht die ganze Familie...."
Julia nickte zustimmend und drückte kurz Georgs Hand. „Ich schaue in den nächsten Tage noch mal bei dir vorbei," sagte sie zum Abschied und dann wandte sie sich an Jonas. „Ich warte draußen auf dich. Geh du zu Lucas."
Jonas betrat das Zimmer seines Bruders und dieser befand sich in einem Zustand, der auf den ersten Blick genauso schlecht war wie der ihres gemeinsamen Vaters. Auch in der Hand seines Bruders steckte eine Infusion und ein Monitor zeigte seine Werte an. Nach der Einschätzung des Dämonenjägers war Lucas sogar noch blasser als sein Vater.
Die Schwester, die Jonas ins Zimmer begleitete, kontrollierte die Werte und nickte ihm dann aufmunternd zu. „Alles soweit in Ordnung. Ihr Bruder bekommt Schmerzmittel und ist darum müde und noch durch die Narkose müde, hat aber keine Schmerzen. Wenn doch, soll er Bescheid sagen. Sie haben fünf Minuten. Dann müssen Sie gehen."
Jonas nickte schweigend, während die Schwester den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.
Im Gegensatz zu Georg waren Lucas' Augen geschlossen und Jonas bedauerte es beinahe, ihn zu wecken. Sollte er ihn nicht lieber schlafen lassen? Brauchte er nicht die Ruhe? Er dachte kurz an Dominik und Manuel und daran, dass sich vor allem letzterer noch nicht vollständig von einer ähnlichen Verletzung erholt hatte.
Jonas hoffte, dass es Lucas besser ergehen würde.
Er griff kurz nach dem Arm seines Bruders und Lucas begann sich zu rühren, ehe er die Augen öffnete. „Jonas? Stimmt es, dass Papa einen Herzinfarkt hatte?"
Woher wusste er davon? Jonas wusste im ersten Moment nicht, was er darauf antworten sollte. Aber er ahnte bereits, wer seinem verletzten und frisch operierten Bruder diese Nachricht in wahrscheinlich vorwurfsvollen Tonfall übermittelt hatte.
Jonas setzte sich auf den Bettrand, da sich kein Stuhl im Zimmer befand und drückte Lucas Hand. „Wer hat dir davon erzählt? Diese Ärztin?"
Lucas nickte. „Ja. Sie sagte vorhin, dass er sich so aufgeregt hätte, wegen mir...."
Am liebsten hätte Jonas der Frau den Hals umgedreht, aber jetzt musste er erst einmal Schadensbegrenzung bei seinem Bruder leisten. „Er hat den Herzinfarkt nicht wegen dir bekommen. Er war schon länger krank und hatte zu lange gewartet, zum Arzt zu gehen. Es geht ihm auch wieder besser. Mach dir keine Sorgen. Und ich soll dich von ihm grüßen. Er besucht dich so schnell wie möglich. Es war wohl kein allzu schwerer Herzinfarkt..."
Lucas antwortete nicht und Jonas hoffte, dass der Jüngere ihm glaubte. Er wollte auf jeden Fall verhindern, dass Lucas sich zu allem Übel auch noch Vorwürfe wegen dem Herzinfarkt ihres Vaters machte.
„Er wird wieder gesund. Er nimmt jetzt jeden Tag eine Tablette, und dann kommt das wieder in Ordnung."
„Ich weiß einigermaßen über Herzinfarkte Bescheid. Das hatten wir mal in Bio...", antwortete Lucas mit müder Stimme, während Jonas nach etwas anderem fragte, auch wenn er damit gerne gewartet hätte.
„Was ist mit dir passiert? Wer hat das getan?", fragte er und legte seine Hand vorsichtig auf die mit der Bettdecke zugedeckten Rippen seines Bruders.
„Ich weiß es nicht. Wir haben Gläserrücken gemacht. Es war nicht meine Idee. Aber ich habe mitgemacht. Aber ich habe nicht gekifft!", sagte Lucas und letzteres schien ihm besonders wichtig zu sein.
„Wirklich nicht. Das hat vor allem Klaus gemacht. Und dann sagte dieser Geist, aber es war ein Dämon, dass wir zum Wald gehen sollten. Der Dämon hat Klaus getötet, Meike und Benny sind abgehauen...ich hab versucht, ihn mit meinem Dolch zu töten. Den hat jetzt bestimmt die Polizei....kannst du nach Benny schauen? Sitzt er noch hinter den Mülltonnen?"
Jonas sah seinen Bruder verwundert an. Was kümmerte ihn dieser hinter den Mülltonnen hockende Benny? Wegen ihm konnte Benny sich auch in der Tonne verstecken. Vielleicht erledigte die Müllabfuhr irgendwann Lucas' Benny-Problem...
„Wer hat dich verletzt? Benny? Oder der Dämon?", hackte Jonas statt dessen behutsam nach, aber Lucas schüttelte den Kopf und er wirkte sehr müde, als er antwortete.
„Nein. Keiner von denen. Da war ein Dämonenjäger. Dunkel gekleidet. Er sprach einen merkwürdigen Dialekt, er hat den Dämon getötet und nannte mich Dämonenhelfer. Dann hat er mich mit dem Messer....verletzt. Es hat geblutet. Ich weiß nicht wo er hingegangen ist... Ich wusste nicht, was ich machen soll. Und dann kamen Meike und der Mann aus dem Dorf. Der, wo Benny hinter der Mülltonne...."
Lucas sprach nicht weiter, statt dessen schloss er die Augen. „Bin müde....", nuschelte er nur noch und Jonas erhob sich, strich dem Jüngeren aber noch einmal sanft über die Hand. Ihm wurde bewusst, wie sehr ihm sein Bruder in den letzten zwei Jahren ans Herz gewachsen war. „Dann ruh dich aus. Ich komme nachher noch einmal vorbei....und lass dir von der Ärztin keinen Unsinn erzählen. Du kannst nichts für den Herzinfarkt unseres Vaters. Es ging ihm schon vorher nicht gut und es wäre sowieso passiert."
Jonas verließ kurz darauf die Intensivstation und Julia sah ihn fragend an. Schnell erzählte er ihr, was er von Lucas erfahren hatte.
„Da war doch ein Jäger....der auch Menschen....",stammelte Julia. „Aber warum sollte er Lucas etwas antun? Welches kranke Hirn kommt auf so was?"
„Ich denke, ich werde mir diesen Dämonenjäger einmal vornehmen...", antwortete Jonas und der Tonfall in seiner Stimme ließ Julia zusammen zucken.
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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...