Kapitel 13

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  Anfang September 2009

Dieter stellte einen Karton auf den Küchentisch. „Ich glaube, das war der letzte! Oder kommen etwa noch mehr Kartons?"
„Das solltest du doch selber wissen, Didilein! Du bist aber auch ein Dummerchen!", stellte Anita kopfschüttelnd fest, während sie ihrerseits einen Karton auf den Boden stellte. Er war um einiges kleiner als der, den ihr einziehender Freund getragen hatten.

Christine war mit ihrem Freund Christian in eine gemeinsame Wohnung gezogen, die noch dazu näher an der Uni lag und daher war ein neuer Mieter vonnöten gewesen. Also hatte sich Dieter, unter Protest und mit großem Widerstand, wie er selber grinsend feststellte, erbarmt und war zu Anita, Jessica und Felix in die WG gezogen.

Wie Anita wurde er von seiner Familie großzügig finanziell unterstützt und daher war die Miete einstweilen wieder gesichert.

„Ich mache das nur wegen Felix," sagte Dieter grinsend an Anita gewandt. „Damit er nicht mehr der einzige Junge unter lauter zickigen Weib....."

Anita gab ihm einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf. „In Wahrheit ziehst du doch deswegen ein, weil du verrückt nach mir bist und nicht einen einzigen Tag länger ohne mich leben willst. Du willst mich beim Aufstehen sehen, als letztes, bevor zu einschläfst, beim Frühstück, wenn du unter der Dusche stehst, wenn du in den Keller gehst....."

Dieter lachte, drehte sich zu seiner Freundin um und nahm sie in den Arm. „Stimmt. Aber das bleibt unter uns! Sonst denken die anderen beiden hier noch, ich wäre ein Weichei!"

„Wir müssen nur noch Regelungen treffen, wer wann die Dusche benutzen darf! Es geht nicht, dass Felix und Jessica die zu oft blockieren," stellte Anita fest, während Dieter sie fragend anblickte. „Zusammen oder allein? Wenn sie zusammen duschen sind sie ja schneller fertig......"

Anita schüttelte seufzend den Kopf und wurde mit einem Mal ernst. „Und du bist dir wirklich sicher, dass du hier wohnen willst? Immerhin sind die beiden hin und wieder als Dämonenjäger unterwegs. Seit dieser Sache in Felgenberg vor ein paar Wochen war zwar nichts mehr los, aber trotzdem....man weiß ja nie!"
Dieter machte einen Schritt auf seine Freundin zu und nahm sein Gesicht in seine Hände. „Ich bin mir ganz, ganz sicher. Ich will mit dir zusammen wohnen. Und wenn das nur mit dem Anhang, der Dämonen jagt oder die Dusche blockiert, geht, dann eben so!"

Anita schmiegte sich in Dieters Arme. So wohl wie bei ihm hatte sie sich bisher noch nie bei einem Mann gefühlt und sie hätte nie damit gerechnet, dass aus ihrer früher eher lockeren Beziehung doch noch etwas Ernsteres und Langwierigeres werden würde.

„Gehen wir heute Abend aus?", fragte sie und Dieter machte auch sofort einen Vorschlag. „Gerne. Aber nicht hier in München. Es gibt da so ein pickfeines Lokal, außerhalb. Sehr Teuer. Aber da könnten wir ja mal unseren Einstand feiern. Wir laden Jessica und Felix ein. Was meinst du? Meine Oma hat da was gesponsert. Die Farbe aus Felix Haar ist ja so gut wie verschwunden, also können wir uns da wohl doch reintrauen....und wenn sie doch was sagen drück ich dem Kellner ein Scheinchen in die Hand...."

Anita lachte und gab ihrem Freund erneut einen Klapps. „Du willst wohl mit deiner Kohle angeben, was? So tun, als wärst du reich. Aber ich hätte schon Lust, da hinzugehen. Wird vielleicht lustig, wenn wir all die versnobten Menschen beobachten. Gönnen wir uns doch mal was!"

Am Abend saßen sich Dieter und Anita auf der einen sowie Jessica und Felix auf der anderen Seite an einem Tisch in eben jenem vom neuen Mitbewohner vorgeschlagenen Restaurant gegenüber.
'"Als ich finde, wir sollten alle mal das Dreigang-Menü probieren," schlug Dieter vor, während Felix nicht allzu begeistert von dem Vorschlag zu sein schien.

„Ich weiß nicht so recht. Das kostet 150 Euro pro Person! Davon kann man ja zehn Leute satt bekommen! Ich hab mir früher manchmal was in so Suppenküchen für Obdachlose geholt. Die Leute da hätten sogar alle...."

„Jetzt mach mir kein schlechtes Gewissen! Das ist ein Geschenk meiner Oma, wenn ihr es genau wissen wollt. Die hat mir auch gar kein Bargeld, sondern einen Gutschein für das Lokal geschenkt, und zwar für genau vier Menüs.....sorry..."
Anita lachte. „Und ich dachte schon, du wärst wirklich so ein Snob. Ich habe mich schon gewundert. Sonst bist du doch auch eher der Pommes-Typ und weiß Gott niemand, der sich in so Schuppen rumtreibt!"

Dieter warf einen um Entschuldigung bittenden Blick in die Runde. „Meine Oma ist ein bisschen....versnobt. Trotzdem wollte sie mir mit dem Gutschein eine Freude machen. Sie ist die mit dem meisten Geld in der Familie!"
„Macht nichts!", antwortete Felix. „Meine Familie ist auch immer in so Lokale gegangen. Sie haben die Kinder immer mitgenommen. Mich und diejenigen, bei denen es sich nicht gelohnt hat natürlich nicht..."

Ein betretenes Schweigen machte sich am Tisch breit, da alle wussten, welche Kinder nicht mitgenommen worden waren.

„Jetzt seid nicht so verlegen! Die Sache ist doch jetzt vorbei. Und wenn es ein Geschenk ist....ich meine, wenn wir den Gutschein verfallen lassen hat doch auch keiner was davon. Er ist ja an dieses Mehrgangmenü gebunden...außerdem wollte ich Dieters Oma nicht mit meiner Familie vergleichen und ich will auch nicht immer damit anfangen", schlug Felix vor und fügte grinsend und mit bösem Unterton in der Stimme hinzu: „Einen muss ich noch loswerden! Meine Familie würde für so ein Essen sogar töten...."

In diesem Moment erschien ein Kellner am Tisch und hielt eine große Karte in der Hand. „Sie sind die Herrschaften mit dem Gutschein? Haben Sie sich schon Getränke ausgewählt? Ich empfehle Ihnen allen einen guten Rotwein...."

Jessica grinste still in sich hinein, als der Kellner begann, die Weinsorten, die sie im Hause hatten, aufzuzählen. Sie verstand nicht allzu viel davon, während Dieter zumindest ein bisschen Ahnung zu haben schien.

Schließlich wurde der erste Gang serviert und Jessica hätte beinahe gelacht, hielt sich aber mit Mühe zurück. Außerdem war es ja erst der erste Gang....

Auf dem Teller lagen vier Erbsen, drei kleine Pilze und darüber war ein dekoratives Löffelchen mit Soße ausgeleert worden.
Sie pickste eine Erbse auf die Gabel und probierte sie. Irgendwie schmeckte sie nach Plastik und auch die Pilze besaßen so gut wie gar keinen Geschmack.

„Die Soße ist ganz in Ordnung," stellte Anita wohlwollend fest. „Ich weiß zwar nicht, was das für ein Geschmack ist, aber es geht. Wenn man die Erbsen reintaucht geht es und man bekommt einen ganzen Löffel ab...."

Nun ja, der zweite Gang würde sicherlich ein wenig reichhaltiger und schmackhafter sein.

Zumindest hoffte Jessica darauf, während sie an ihrem Wein nippte und Anita ihr zuprostete. „Trinken wir doch auf Dieters Oma!"
„Auf die Oma," sagte Felix, während auch er sein Glas hob.

Nach seinem Alter hatte niemand in diesem Restaurant gefragt und in vier Monaten würde er achtzehn Jahre alt werden. Der Wein war ihm bedenkenlos serviert worden.

„Endlich volljährig! Irgendwie werde ich mich dann auch sicherer fühlen. Dann kann mir rein rechtlich wirklich keiner mehr sagen, dass ich zu meiner Familie zurückziehen muss oder so," dachte er, verdrängte diese Gedanken aber schnell wieder.

Heute Abend war er schließlich im Restaurant, um ein gutes Essen zu genießen und Zeit mit seinen Mitbewohnern und vor allem mit seiner Freundin Jessica zu verbringen.

„Es gibt Schlimmeres!", sagte er daher tapfer, als er die letzten Pilze auf die Gabel kratzte und sich in den Mund steckte.

Auch der zweite, der eigentliche Hauptgang, hielt nicht das, was der Name „Hauptgang eigentlich versprach. Dieses Mal war die Portion zwar ein wenig größer, aber eben nur ein wenig....

Anita lachte.„Also wie viele Bohnen sind das? Vier? Genau, vier. Und dazu fünf Möhrchen und eine kleine Blumenkohleknospe. Was ist das da am Rand? Sieht aus wie ein Bratwürstchen. So ein kleines Miniwürstchen. Weißt du noch, Dieter? Die haben wir doch mal im Zwanzigerpack gekauft und dann letzten Sommer am Badesee gegrillt!"

„Stimmt," antwortete Dieter grinsend. „Aber es schmeckt nicht nach Wurst. Es schmeckt...nach gar nichts. Aber wenigstens wird nicht alles von Soße zugedeckt!"

Jessica brauchte drei Bissen, um die winzige Portion aufzuessen. Das Gemüse schmeckte erneut nach Plastik. Nur die Bohnen hatten einen gewissen Duft. Sie erinnerten sie irgendwie an die vollgeschwitzten Socken ihres Bruders Andy, mit denen dieser stets den Wäschekorb verpestete.

„Gib mir noch ein bisschen Wein," bat sie daher, leise an Anita gewandt. „Ich muss diesen Schweißgeschmack irgendwie loswerden!"
„Schweiß? Genau, das ist es. Ich kam nicht so recht drauf," antwortete Anita ebenso leise, während sie mit der Gabel zum Nebentisch deutete. „Guck mal, die sind ganz vornehm! Die Frau hat dasselbe wie wir und sie schneidet sich die Bohnen in noch kleinere Stück. Wahrscheinlich macht sie das, damit das Essen länger reicht!"

Jessica kicherte und nippte erneut an ihrem Wein. „Genau! Und bestimmt schneidet die sich auch Pommes in mehrere Stückchen. Das hat mein kleiner Bruder Andy früher auch immer gemacht. Er wollte damit dann seine Stofftiere füttern. Weil die nur einen kleinen Magen haben, hat er nur kleine Stückchen genommen. Meine Mutter hat die Pommes dann gegessen, wenn er nicht aufgepasst hat und ihm erzählt, dass es die Teddys waren. Irgendwie niedlich..."

„Wie süß," stellte Anita fest. „Ich wollte früher immer Strohhalme haben. Und zwar rote Strohhalme. Andere Farben gingen gar nicht!"

Ein Räuspern unterbrach die Unterhaltung. Der Kellner stand erneut neben dem Tisch und hielt noch eine große Flasche Wein in der Hand. „Möchten Sie noch etwas? Und bitte seien Sie doch ein wenig....leiser. Die Herrschaften dort drüben haben sich beschwert..."

Jessica drehte sich um und sie sah, dass eine ältere Dame missbilligend zu ihnen hinüber sah.

„Tschuldigung....," rief Felix der Frau zu und der Blick der Dame wurde noch strenger. Dann schüttelte sie den Kopf und dachte sich wahrscheinlich ihren Teil über die heutige Jugend.

„Das ist Bertha-Margarethe Greifstuber!", stellte der Kellner fest, aber der Name sagte weder Jessica noch den anderen etwas. Der Kellner schüttelte den Kopf. „Die große Schauspielerin!"

Jessica sah den Mann verständnislos an, zuckte dann aber bedauernd die Achseln. Der Name Berha-Margarethe Greifstuber sagte ihr nichts. „In welchen Filmen hat sie denn mitgespielt?", kam ihr Anita zur Hilfe. „In einer Soap? Bei GZSZ? Vielleicht war sie da ja die Oma eines Darstellers...."

Der Kellner beugte sich ein Stückchen vor. „Nein, keine von diesen.... modernen Serien. Sie war um 1935 herum ein großer Star. Damals war sie um die zwanzig. Eine wirklich sehr schöne Frau...." erklärte der Mann in schwärmerischem Tonfall und Jessica kicherte leise, bemühte sich aber, es zu unterdrücken, während Felix sie unter dem Tisch anstieß.
„Die war 1935 zwanzig Jahre alt? Wie alte müsste die denn dann heute sein? Vierundneunzig? Die ist doch höchstens Mitte siebzig oder so.....wenn überhaupt!"

Anita schüttelte den Kopf und sprach ein wenig lauter, da sich der Kellner mittlerweile vom Tisch entfernt hatte.
„Was glaubt ihr denn? Da kann man doch nachhelfen! Glaubt ihr, ich werde irgendwann Falten und dergleichen kampflos hinnehmen? Die werden mich und kennenlernen und mindestens so hartnäckig mit einer Botox-Armee und einem Heer von Chirurgen bekämpft wie eure Dämonen mit Schwertern. Manche Dinge muss man nicht hinnehmen!"

„Du bist doch so schön genug! Und ich bin doch auch alt, wenn du alt bist!", sagte Dieter und legte den Arm um Anitas Schultern, während der Kellner erneut an ihren Tisch trat um den Nachttisch zu servieren.

„Also nicht, dass ich mehr erwartet hätte," sagte Felix leise. „Aber immerhin ist Obst dabei. Zwei Erdbeeren und ein kleines Erdbeereisbällchen...."

Anita zuckte die Achseln. „Aber es sieht nett aus. Irgendwie so richtig vornehm! Außerdem hat Dieters Oma es gut gemeint! Wenn sie das nächste Mal anruft muss Didi ihr sagen, dass wir uns richtig den Bauch vollgehauen haben."
„Ja, sonst kocht sie uns was, oder wie? So was machen Omas doch dann," erkundigte sich Jessica, aber Dieter schüttelte den Kopf.
„Nein, die nicht. Meine Oma schickt uns in ein noch teureres Lokal. Aber selber kochen? Das hat sie glaube ich in ihrem ganzen Leben noch nie gemacht!"

„Deine Oma ist nicht irgendwie sonderbar, oder?", fragte Felix mit einem Mal und seine Stimme klang ernst. „Sie ist reich und...."

Aber Dieter lachte und wischte die Bedenken seines jüngeren neuen Mitbewohners beiseite. „Nein, nur weil sie reich ist hat sie nichts mit Dämonen zu tun. Ihre Eltern waren reiche Geschäftsleute, ihr Opa hatte irgendwie einen Juwelierladen und hat sich immer weiter hochgearbeitet. Ihr Vater, also mein Uropa, hat dann noch ein paar Filialen gegründet. Meine Onkel hat jetzt alles übernommen, aber mein Vater ist ausgezahlt worden. Und meine Oma ist wirklich nett, aber sie ist eben....Reichtum gewohnt, wenn man es so sagen kann. Aber sie ist großzügig. Sie spendet immer viel und unterstützt so ein paar Projekte. Irgendwas in Afrika, soweit ich weiß. Ich kenne mich nicht aus. Meine Mutter hingegen kommt aus einer „normalen" Familie. Also da waren sie nicht arm, aber bestimmt nicht reich oder so. Meine Mutter hat Bürokauffrau gelernt. Aber die meines Vaters hatte kein Problem damit, also keine Standesdünkel."
„Und keine Dämonen?", hackte Felix noch einmal nach, obwohl ihm die Frage unangenehm war.

Litt er denn vollkommen unter Paranoia? War denn wirklich jeder, der reich war, zwangsläufig mit finsteren Mächten im Bunde?
Dieter schüttelte den Kopf. „Keine Dämonen. Wirklich nicht. Kein Packt mit dem Bösen. Es gab nie komische Todesfälle im Umfeld meiner Familie. Der einzige, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist war der ältere Bruder meiner Oma. Der ist im Krieg gefallen...."

Anita seufzte theatralisch. „Nun kommt schon, der arme Dieter denkt sonst noch, er müsste sich rechtfertigen. Dass er reich ist wusstet ihr doch schon. Erinnert euch doch mal an dieses Ferienhaus, wo wir uns damals versteckt haben. Und er hat selber noch nie gearbeitet, lebt aber auf großem Fuß....."

Dieter gab Anita einen Klaps auf den Hinterkopf, was ihr ein „Meine Frisur" entlockte. Empört sah sie Dieter an, aber der verteidigte sich.
„Ich hab schon gearbeitet. Ich hab dauernd irgendwo gejobbt. Im Supermarkt, in dieser Zeitungsredaktion und ich hab früher in den Ferien beim Friseur Haare zusammengekehrt oder in einer Gärtnerei geholfen...."

Anita grinste ihren Freund an. „War doch nur Spaß. Und weil du so fleißig bist darfst du morgen früh den Abwasch machen.....
„Ich glaub, ich brauch noch einen Schluck,", stellte Dieter maulend fest.  

Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt