Kapitel 10

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 Schwester Bärbel verließ am selben Abend das Krankenhaus. Der Tag war wieder einmal sehr anstrengend gewesen, zwei neue Patienten waren auf der Kardiologischen Station eingeliefert worden und sie ahnte bereits, dass diese beiden ihr in der nächsten Zeit das Leben schwer machen würden.

„Die beiden nörgeln die ganze Zeit. Das Essen schmeckt nicht, die Schwestern sind zu grob, das Bett zu hart...."

Sie seufzte und wusste bereits, dass sie wahrscheinlich auch am Feierabend nicht würde abschalten können. Ihr Mann, ein Polizeikommissar, riet ihr stets, die Arbeit und vor allem die negativen Erlebnisse nicht mit nach Hause zu nehmen.
„Dienst ist Dienst und Privat ist Privat, ich mach das doch auch so, und ich sehe auch so einiges. Wenn ich mir das immer zu Herzen nehmen würde...." sagte er ihr regelmäßig, aber ihr gelang es nicht immer, den Rat ihres Mannes zu beherzigen.

Dabei belasteten sie weniger die häufig schweren Erkrankungen der Patienten. Natürlich taten ihr manche von ihnen leid, vor allem dann, wenn es sich um sympathische Menschen handelte. Nein, ihr Hauptproblem war das unhöfliche Verhalten, das manche Kranken an den Tag lehnten. Vor kurzem hatte ihr eine alte Dame ein Tablett vor die Füße geworfen, da ihr das Mittagessen nicht geschmeckt hatte.

„Bis morgen, Bärbel," drang eine Stimme an ihr Ohr.

Sie winkte einer Kollegin zu, die ebenfalls gerade in ihr Auto auf dem Krankenhausparkplatz stieg. Schwester Paula kannte sie bereits seit Jahren, sie arbeitete auf der Säuglingsstation und ärgerte sich meist darüber, dass ihrer Ansicht nach zu wenig Schwestern da waren. Paula tat es stets leid, wenn sie ein Baby länger als nötig weinen lassen musste.

„Wir bräuchten wirklich mehr Personal, und zwar auf allen Stationen", dachte Schwester Bärbel bedauernd.
„Dann wären wir alle ein bisschen entspannter und könnten uns die Pflege von so grässlichen Patienten wie diesem Maximilian Farius besser aufteilen.

Sie schauderte beim Gedanken an den alten Mann mit den gravierenden Herzproblemen, der bei Einlieferung auf die Station nicht mal in der Lage gewesen war, alleine auf die Toilette zu gehen und dann, nach etwas, das sie nur als Spontanheilung bezeichnen konnte, das Krankenhaus gut gelaunt verlassen hatte – nicht, ohne ihr beim Abschied einen merkwürdigen Blick zuzuwerfen.

„Der Kerl war irgendwie nicht.....normal....," dachte sie, wusste aber nicht woran genau sie das festmachen sollte.

Während seiner Erkrankung hatte er einen eher weinerlichen Eindruck auf sie gemacht und zu der Sorte Mensch gehört, die ihr bereits durch seine bloße Gegenwart auf die Nerven gingen.

Dass sie so eine Ablehnung gegenüber einem Patienten verspürte war ihr während ihrer jahrelangen Arbeit als Krankenschwester nur selten passiert.
Vor ein paar Jahren war auf der Station eine „Schwarze Witwe" behandelt worden. Die Frau war ihr auch von Anfang an unheimlich vorgekommen und sie hatte immer gezögert das Krankenzimmer zu betreten, wenn es bei der Patientin etwas zu erledigen gab.

Dabei verhielt sich die Frau nicht sonderlich auffällig, war im Grunde sogar sehr liebenswürdig gewesen und die jungen Lernschwestern hatten sogar gesagt, dass sie etwas von einer richtig lieben Omi an sich hatte.
„Immer wenn ich ins Zimmer gehe fragt sie mich nett, wie es in der Berufsschule läuft und ob meine Arbeit sehr schwer sei," hatte eine Schwesternschülerin gesagt und ein anderes Mädchen hatte die Frau sogar wegen ihres Liebeskummers getröstet.
„Die meinte, ich sei hübsch und würde einen neuen Freund finden. Und dann hat sie mir eine Schachtel Pralinen und ein kleines Teddybärchen geschenkt. Das hat sie extra für mich unten im Geschenkeladen gekauft..."

Schwester Bärbel hatte sich über solche Geschichten gar nicht freuen können. Sie mochte es nicht, wenn sich die jungen Lernschwestern bei den Patientinnen wegen Liebekummer und dergleichen ausweinten.
Außerdem konnte sie die Einschätzungen der jungen Mädchen nicht teilen....die Frau hatte irgendwie etwas.....Böses an sich.

Sie war sich albern vorgekommen und hatte sich bereits gefragt, ob mit ihr etwas nicht stimmte oder ob sie einfach überarbeitet war. Die Frau war doch nett und freundlich...

Aber dann war kurz vor der Entlassung der alten Dame die Polizei auf der Station aufgetaucht und hatte die Frau verhaftet. Die jungen Lernschwestern konnten es gar nicht fassen, dass ihre „Ersatzomi" abgeführt wurde.

Auch der Stationsarzt war sich sicher gewesen, dass es nichts Schlimmes sein könne. Hatte die Frau vielleicht einen Verkehrsunfall verursacht und ein Auto beschädigt? Natürlich versehentlich? Aber dass darum direkt die Polizei kam und sie von der Station weg verhaftete....
„Am liebsten hätte ich gesagt, dass die Frau gesundheitlich gar nicht in der Lage ist, in Untersuchungshaft zu gehen! Einer von den Polizisten hat etwas in der Art gesagt...."

Zwei Tage später hatte derselbe Arzt kopfschüttelnd im Schwesternzimmer gesessen und die Überschrift der Tageszeitung vorgelesen.

„Schwarze Witwe Irma gesteht acht Morde. Sechs der Toten waren ihre reichen Ehemänner, die beiden anderen ihre Liebhaber....."

Anscheinend hatte die nette alte Dame im Alter von achtzehn Jahren ihren ersten und im Alter von 71 ihren letzten Ehemann ermordet und erst beim letzten Mord war der Gerichtsmediziner aufmerksam geworden. Irgendwie hatte die „Böse Irma", wie sie die Presse kurz darauf taufte, es geschafft, die Morde stets als natürliche Todesfälle oder Selbstmorde darstellen zu können. Auch zwei Nachbarinnen waren unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen, beide hatten kurz vor ihrem Tod Streit mit Irma gehabt und beide waren im Hausflur des Mehrfamilienhauses die Treppe hinunter gefallen und hatten sich dabei das Genick gebrochen.

„Die war doch so nett," hatte der Stationsarzt kopfschüttelnd gesagt. „Stets höflich und sie hat mir immer Pralinchen angeboten, wenn ich zur Visite kam....und hier steht, dass sie ihren letzten Mann mit Pralinen vergiftet hat...."

Schwester Bärbel hatte sich jeden Kommentar verkniffen. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen und in der Gegenwart von Maximilian Farius hatte sie sich sogar noch viel unwohler gefühlt.

Nach ihren Erlebnissen mit der „Bösen Irma" hätte es sie nicht gewundert, wenn ein Sondereinsatzkommando der GSG 9 die Station gestürmt und den alten Herrn Farius, am besten samt seiner fast genauso unsympathischen Söhne, überwältigt und abgeführt hätte.

„Wer weiß, was die alles so gemacht haben. Da stimmte doch auch etwas nicht," dachte sie, als sie ihr Auto, das natürlich am anderen Ende des Parkplatzes stand, endlich erreichte. Es war bereits dunkel, leider gab es in diesem Teil des Parkplatzes keine Beleuchtung. Wieder einmal nahm sie sich fest vor, beim nächsten Mal auf ihre Kollegen zu warten, wenn sie so spät Feierabend machte.

Sie blieb stehen und kramte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel, als sie hinter sich ein Geräusch hörte.
Beklommenheit machte sich in ihr breit. War ihr etwa jemand gefolgt? Oder handelte es sich nur um einen anderen Angestellten oder Besucher des Krankenhauses, der ebenfalls zu seinem Auto wollte?

Vereinzelt standen außer ihrem Smart noch ein paar andere Fahrzeuge unter den Bäumen an diesem vom Krankenhaus aus schlecht einsehbaren Teil des Parkplatzes. Sie lauschte, aber das Geräusch war verschwunden. War vielleicht nur ein Tier durch das Gebüsch gehuscht?

Erleichtert fand sie in diesem Moment ihren Autoschlüssel und wollte ihn gerade aus der Tasche heraus nehmen, als sie gepackt und herum gerissen wurde. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf.

„Bitte lassen Sie mich in Ruhe....," sagte sie, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken, denn kein menschlicher Täter griff sie an.

Eigentlich war das, was sie sah, unmöglich. Was war das nur? Eine große, hölzerne, jawohl hölzerne, Gestalt mit langem Schädel starrte sie aus rotglühenden Augen, die eher Schlitze als Augen waren, an und hielt ihren Oberarm mit einer Hand fest umklammert. Sie wollte schreien, aber es kam kein einziger Ton, nicht einmal ein Krächzen, heraus.

Es war einfach nicht möglich! All das geschah doch nicht wirklich, oder?


Das Wesen streckte die andere Hand nach ihr aus und sie sah, dass zwei Finger nicht aus Holz bestanden, sondern eher wie die eines Menschen wirkten. Nun sprach das Geschöpf zu allem Unglück auch noch.
„Ich soll dich von Maximilian Farius grüßen! Du hast ihn schlecht behandelt..."

„Maximilian Farius", krächzte Schwester Bärbel verängstigt, während das Geschöpf diese grässliche Hand mit den menschlichen Fingern auf ihren Brustkorb legte. „Ich darf mir deine Seele nehmen! Mein Herr hat es mir erlaubt und er wünscht es sogar ausdrücklich."



Eine halbe Stunde später wurden Schwester Bärbels sterbliche Überreste auf dem Krankenhausparkplatz von einem Kollegen, der seinen Wagen ebenfalls dort geparkt hatte, gefunden. Der Mann, ein Pfleger, der die Krankenschwester bereits seit Jahren kannte rief per Handy sofort nach seinen Kollegen und versuchte alles an Erster Hilfe, was in seiner langjährigen Berufserfahrung bereits so manchem Patienten geholfen hatte.
Aber dieses Mal waren all seine Kenntnisse und auch die der wenige Minuten später herbeieilenden Ärzte vergebens.

Bedrückt standen sie um den leblosen Körper der Kollegin herum und warteten auf die alarmierte Polizei.
„Sie hat, soweit ich das sehen kann keine Verletzungen, außer am Oberarm....als hätte sie jemand gepackt....vielleicht hat sie sich auch schon vorher irgendwo gesoßen...aber keine Stichwunde....."

„Vielleicht hat sie ja jemand überfallen und sie hat vor Schreck einen Herzinfarkt bekommen," vermutete eine Kollegin mit schluchzender Stimme. „Ich hab erst heute in der Pause mit ihr zusammen in der Kantine gesessen....aber sie hat immer so weit weg geparkt. Ich hab ihr immer gesagt, dass sie das nicht machen soll. Warum ist sie nicht ins Parkhaus gefahren?"

Ein Wagen mit Blaulicht näherte sich und einer der Ärzte zog die junge Kollegin ein Stückchen zur Seite. „Die Polizei ist da. Lassen wir die Leute ihre Arbeit machen. Wir können nichts mehr für sie tun...."

Ein paar Tage später hieß es offiziell, dass die langjährige und geschätzte Kollegin, Schwester Bärbel, an Herzversagen, wahrscheinlich hervorgerufen durch zu viel Stress, verstorben war. Viele nahmen, gemeinsam mit der trauernden Familie, an der Beisetzung teil.

Es wurde eine Zeitlang diskutiert, ob und wie man die Kollegen ein wenig entlasten konnte und es wurde über Neueinstellungen gesprochen. Ließ sich der Stress nicht irgendwie ein reduzieren? Aber nach einer Weile geriet der Tod der Kollegin in Vergessenheit.

Der Alltag kehrte zurück. Zumindest wurde im hinteren Teil des Parkplatzes eine Straßenlaterne aufgestellt und die Büsche wurden entfernt, um eine besseren Überblick zu bekommen und den Mitarbeitern und Besuchern ein größeres Sicherheitsgefühl zu geben.

Außerdem dachte man zumindest über Überwachungskameras nach, denn irgendwie war einigen der Vorfall doch zumindest merkwürdig vorgekommen...auch wenn nicht mehr darüber gesprochen wurde.  

Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt