Am nächsten Tag begann Manuels Schicht im Supermarkt erst gegen Mittag und eigentlich wollte er ausschlafen. Leider wurde daraus nichts, denn seine Mutter weckte ihn bereits um kurz vor Acht.
„Manuel, steh bitte auf," sagte sie und rüttelte ihn wach.
Am liebsten hätte Manuel seinen Kopf unter das Kissen gesteckt und die Bettdecke darüber gezogen, aber seine Mutter rüttelte ihn erneut.
„Manuel! Geh früher ins Bett, wenn du morgens nicht aus dem Bett kommst. Nimm dir ein Beispiel an Tamara, die ist schon zur Schule gegangen, obwohl sie eigentlich erst um neun da sein muss! Sie hat doch Projektwoche."
„Ja, und?", murrte Manuel unwillig und setzte sich schließlich auf. Über die abartigen Frühaufstehergewohnheiten seiner Schwester wollte er um diese Zeit wirklich nicht sprechen. Er wusste, dass er es niemals verstehen würde, warum manche Menschen freiwillig früh aufstanden. Er hatte akzeptiert, dass es Dämonen gab. Aber das freiwillige Verzichten aufs Ausschlafen würde er niemals akzeptieren.
Jutta Seibert seufzte, als sie sah, dass er in T-Shirt und Boxershorts geschlafen hatte.
„Warum hab ich dir eigentlich erst letzte Woche einen neuen Schlafanzug gekauft? Das T-Shirt zerknautscht doch. Aber das eine sage ich dir, das bügelst du selber!"
Manuel fragte sich, was seine Mutter eigentlich so dringendes von ihm wollte. War sie nur gekommen, um ihn darauf hinzweisen, dass es nicht gut war, im T-Shirt zu schlafen, während seine Schwester schon in der Schule war?
„Was gibt es denn?", fragte er und seine Mutter schaute missbilligend auf seine Fensterbank.
„Immer dieses merkwürdige Gestrüpp! Ich habe die anderen alle entsorgt!", sagte sie und deutete auf das Eisenkraut.
Manuel seufzte innerlich. Also musste er neue Pflanzen besorgen, wenn er verhindern wollte, dass seine Mutter oder Tamara irgendwann von einem Dämon aus dem Haus gelockt wurden.
„Was willst du denn?", erkundigte Manuel sich müde.
Er hatte tatsächlich am Vorabend noch lange fern gesehen. Der Action-Film mit Schwarzenegger war nun einmal spannend gewesen und auch wenn Manuel ihn schon kannte, hatte er ihn zu Ende geschaut.
Jutta deutete missbilligend auf Manuels auf dem Boden liegende Kleidung. „Zuerst einmal will ich, dass du hier aufräumst. Und ich hab dir dir Tamaras Abholscheine für den Fotoladen auf deine unordentlichen Wohnzimmertisch gelegt. Da musst du auch mal aufräumen. Und danach holst du die Bilder vom Laden ab. Tamara hat die Scheine zu Hause vergessen. Sie braucht die Bilder spätestens morgen. Du kannst auch mal was für deine Schwester tun!"
Jutta verließ das Schlafzimmer. „Bei mir wird es heute Abend später. Ich habe einen Termin beim Zahnarzt."
Sie hielt sich ihre Backe. „Mir ist eine Füllung rausgefallen und jetzt tut der Zahn weh."
Als sie die Haustür zu Manuels kleiner Einliegerwohnung geschlossen hatte stand Manuel schlecht gelaunt auf. Seiner Ansicht nach war es noch mitten in der Nacht und warum konnte Tamara ihre Bilder eigentlich nicht nach der Schule selber abholen?
Außerdem befand sich seine Wohnung seiner Ansicht nach in einem tadellosen Zustand. Er verstand nicht, worüber sich seine Mutter eigentlich aufregte. Statt dessen ärgerte er sich darüber, dass sie durch die Entsorgung des Eisenkrauts möglicherweise die ganze Familie in Gefahr gebracht hatte.
Sie wusste zwar nichts von der Bedeutung der Pflanzen, trotzdem gehörten sie offiziell ihm und Tamara. Er war die albernen Deko-Kerzen seiner Mutter schließlich auch nicht weg.
Kurz vor Beginn seiner Schicht holte Manuel die Bilder vom Fotoladen ab. EinKaugummi kauender Junge reichte ihm die Bilder über die Ladentheke.
„Hier, die Fotos. Schau doch bitte mal nach, ob es auch die richtigen Bilder sind," sagte der Kaugummikauer schmatzend.
Manuel zog die Bilder kurz aus dem Umschlag heraus und überflog sie schnell. „Ist schon recht so. Es ist auf jedem was drauf. Die sind auch nicht für mich, sondern für meine Schwester."
„Dann ist ja gut," schmatzte der Junge und Manuel glaubte ein wenig Spucke auf seiner Hand zu spüren, als der Junge sprach.
Er steckte die Bilder zurück in den Umschlag. Tamaras Fotos interessierten ihn nicht besonders und die für ein Schulprojekt waren ihm gänzlich gleichgültig.
Er wischte sich den Handrücken an der Theke ab und der Junge schaute ihn missmutig an.
Er bezahlte die Bilder und hoffte, dass er wenigstens das Geld zurück bekommen würde.
Als er sich auf den Heimweg machte hielt plötzlich ein Wagen der örtlichen Fahrschule neben ihm und das Fenster wurde herunter gekurbelt. „Manuel, warte mal einen Moment."
Dominik saß am Steuer, während der auf dem Beifahrersitz sitzende Fahrlehrer etwas in ein Notizbuch kritzelte.
„Hast du eine Freistunde?", erkundigte sich Manuel.
„Nein. Praktikumswoche, Fahrstunde geht vor," antwortete Dominik. „Ich wollte nur fragen, ob mit Tamara alles in Ordnung ist. Ich wollte sie eigentlich vor der Schule treffen und sie geht auch nicht ans Handy."
Manuel war nun plötzlich doch ein wenig interessierter. „Ich dachte, sie wäre schon früher gegangen. Meine Mutter meinte heute Morgen, dass sie schon früh unterwegs sei."
„Das passt nicht so wirklich zu ihr," erwiderte Dominik nachdenklich. „Kannst du ihr sagen, dass sie mich mal anrufen soll, wenn du sie siehst? Ich hab ihr bestimmt schon fünf SMS geschickt...."
Der Fahrlehrer mischte sich ein. „Dominik, du bezahlst die Fahrstunde nicht fürs Quatschen. Wir müssen noch zur Autobahn. Das muss geübt werden. Also fahr jetzt. Deine Freundin wird sich schon melden."
Dominik seufzte und kurbelte das Fenster wieder hoch.
Manuel blickte dem Auto hinterher. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit.
Unter normalen Umständen hätte er sich keine Sorgen gemacht und gedacht, dass Dominik einfach unter Paranoia litt. Seine Schwester war kein Grundschulkind. Irgendwo würde sie schon stecken. Vielleicht hatte sie sich ja noch mit der blöden Annika getroffen. Vielleicht hatte sie auch einfach keine Lust, sich mit Dominik zu treffen oder dessen SMS zu beantworten.
Letzterer Gedanke erfüllte ihn mit einer gewissen Schadenfreude.
Aber das passte nicht zu Tamara. Er hatte sie in der letzten Zeit oft mit ihrem Handy angetroffen, in das sie eifrig Nachrichten tippte.
Und die Umstände waren nicht normal. Nicht mehr seit dem letzten Sommer. Er beeilte sich, nach Hause zurück zu kehren und auf das ungute Gefühl in seinem Magen zu hören. Er würde sich überzeugen, dass es seiner Schwester gut ging.
Kurz darauf betrat Manuel das Zimmer seiner Schwester. Das Bett war unordentlich und leer. Außerdem lag Tamaras Handy auf dem Nachttisch.
DAS war ungewöhnlich und beunruhigend. Tamara war in der letzten Zeit mit ihrem Handy regelrecht verwachsen und es war zu einem weiteren Körperteil geworden. Dass sie ohne ihr Telefon zur Schule ging war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.
Nun klingelte auch noch der Festnetzanschluss im Flur und Manuel nahm das Gespräch entgegen.
Es war Annikas Mutter. Die Frau stand offenbar kurz davor, die Polizei zu benachrichtigen, denn sie hatte bereits gegen Fünf Uhr am Morgen das Verschwinden ihrer Tochter bemerkt.
„Sie war nicht bei Jennifer und auch bei keiner anderen Freundin. Ich habe auch schon in der Schule angerufen, aber da ist sie auch nicht. Und sie hat ihr Handy nicht dabei," klagte die Mutter des Mädchens, dass Manuel in keinster Weise mochte, das aber nun mal im Moment die Projektpartnerin ihrer Tochter war.
„Tamara ist die einzige, die mir noch einfällt," sagte Annikas Mutter nun. „Ich weiß nicht, wen ich sonst noch fragen soll!"
„Tamara ist auch nicht zuhause, ich weiß nicht, ob sie mit Annika unterwegs ist,"antwortete Manuel,während die Frau im mitteilte, dass sie nun die Polizei verständigen würde.
Manuel setzte sich auf Tamaras Bett. Irgendetwas war passiert. Er glaubte nicht daran, dass seine Schwester sich ausgerechnet mit Annika traf, um irgendwo eine Party zu feiern. Er wusste auch nicht, inwieweit Annika zu solchen Aktionen neigte.
Manuel hatte den Umschlag mit den Fotos samt Kassenbon auf ihr ungemachtes Bett gelegt. Er griff neben sich und beschloss, sich die Bilder anzusehen.
Hatte Tamara die nicht erst am Vortag gemacht? Und da Annika dabei gewesen war und nun auch verschwunden war gab es vielleicht einen Zusammenhang.
Aber die Fotos, er schaute zuerst die bunten Bilder an, waren so langweilig, wie er es erwartet hatte. Sie zeigten die „Sehenswürdigkeiten" des Ortes. Zwar war auch die alte Kirche dabei, in der er vor ein paar Monaten seinen Kampf mit Dominik ausgetragen hatte, aber auch auf diesen Fotos war nichts ungewöhnliches zu sehen.
Erst das letzte Foto war interessant...
Manuel starrte es einen Moment an, und öffnete dann den Umschlag mit den Schwarzweißfotos. Er fand das entsprechende Bild.
„Ich wusste es...," fluchte er.
Dann beschloss er, über seinen Schatten zu springen. Er tat es nicht gerne und würde vielleicht sogar alleine mit der Sache fertig werden. Aber hier ging es um seine Schwester. Da wollte er sich nicht auf irgendwelche „Vielleichts" verlassen.
Er nahm sein Handy heraus und wählte nach kurzem Zögern Dominiks Nummer.
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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...