Am 2. November waren die Temperaturen unerwartet warm und der Wetterbericht im Autoradio hatte einen sonnigen Tag voraus gesagt. Julia war froh, dass sie einen dünnen Pullover trug und ließ ihre Jacke im Auto liegen, nachdem sie auf dem Parkplatz der Schule geparkt hatte. Kurz sah sie sich um.
Schließlich bestand ja durchaus die Möglichkeit, dass ihr „Lieblingskollege" Gerd Valler auf sie lauerte, aber dies war glücklicherweise nicht der Fall.
Erleichtert atmete sie auf. Gut gelaunt betrat Julia einige Minuten später das Büro und wandte sich lachend an Frau Hellenberg, die in ihre volle Kaffeetasse starrte.
„Morgen! Ich hatte ein wirklich schönes Wochenende. Wir sind mal wieder ausgegangen und ich habe die ganze Zeit über nichts von Valler gehört. Schöner kann eine Woche doch gar nicht anfangen!"
„Julia....," begann Frau Hellenberg und blickte von ihrer Tasse auf.
Irgendetwas stimmte nicht. Die Kollegin schien ihre gute Laune nicht zu teilen. Julia hoffte, dass Frau Hellenberg keine Probleme hatte. War etwas vorgefallen? Vielleicht ein privates Problem? Julia hoffte, dass sie mit ihrer guten Laune nicht in irgendeinen Fettnapf getreten war.
„Ist alles in Ordnung?", fragte die Jüngere deshalb beunruhigt. „Ist was passiert?"
Die Kollegin nickte. „Ja, es ist etwas passiert! Der Rektor war vorhin hier und hat es mir erzählt, und du wirst es auch bald überall mitbekommen! Die Spatzen werden es in Kürze von den Dächern pfeifen.Herr Valler ist tot!"
Frau Hellenberg seufzte und schaltete dann ihren Computer ein, um wohl trotz allem mit der täglichen Arbeit zu beginnen. „Es ist doch irgendwie verhext! Dauernd passieren in den letzten zwei Jahren merkwürdige Dinge. Tote Lehrer, merkwürdige Statuen, ehemalige Schüler werden tot aufgefunden, dann der Serienmörder, der im letzten Winter sein Unwesen in der Stadt getrieben hat...wie ist das noch mal ausgegangen, da gibt es ja auch mehr Gerüchte als wirkliche Erkenntnisse....verrückte Direktoren....wirklich...erschreckend....aber wenigstens ist es nicht hier passiert..."
Julia schluckte schwer. Sie hatte den Mann in keinster Weise gemocht und sie würde ihn auch nicht sonderlich vermissen! Schließlich hatte er ihr sogar Angst gemacht. Aber die Todesnachricht erschreckte sie doch.
Nicht, weil ihr Vallers Tod Kummer bereitete. Sie musste sich im Geheimen und mit einem schlechten Gewissen eingestehen, dass sich in ihr sogar ein „Jetzt-lässt-er-mich-definitiv-in-Ruhe"-Gefühl breit machte. Aber es kam so überraschend und unerwartet....
„Wie ist das denn passiert? War er krank? Ein Unfall?", erkundigte sie sich, während sie an ihrem Schreibtisch Platz nahm.
Frau Hellenberg umklammerte die Kaffeetasse nun erneut mit beiden Händen. „Nein, ich wüsste nicht, dass er krank war. Ein Unfall war es auch nicht. Das alles wäre...unerwartet genug. Und ich muss noch hinzufügen, dass es mich bei anderen Kollegen härter treffen würde. Aber....das wirklich Erschreckende ist, dass er ermordet wurde! Die Gerüchteküche brodelt bereits heiß und es gibt auch schon einen Artikel in der Tageszeitung aus seiner Gegend. Nur ein kleiner Artikel, aber...."
„Ermordet?", fragte Julia und ihr kam ein schrecklicher Gedanke.
Hoffentlich kam niemand auf die Idee, ihr oder Jonas die Schuld am Tod des Lehrers in die Schuhe zu schieben! Sie hatten schließlich nichts damit zu tun!
Frau Hellenberg senkte ein wenig die Stimme. Fast schien sie zu fürchten, für eine Tratschtante gehalten zu werden, wenn sie zu laut darüber sprach. „Er wurde erstochen! In seinem eigenen Garten! Außerdem soll er noch beklaut worden sein! Den Teil weiß ich übrigens von Frau Igel! Sie kam hinzu, als der Rektor es mir erzählte! Ihre Cousine wohnt im Nachbarort und da ist es natürlich Gesprächsthema Nummer 1."
Sie reichte Julia eine Zeitung. „Hier, die gehört eigentlich Frau Igel, aber sie hat sie mir geliehen, weil ich mir den Artikel durchlesen wollte!"
„Wo steht es denn?", fragte Julia und entdeckte dann auf der siebten von insgesammt 10 Seiten der Sonntagszeitung, in der Aktuelles aus der betreffenden Eifelgegend berichtet wurde, die Überschrift.„Junger Lehrer ermordet in eigenem Garten aufgefunden"
Sie schluckte, als sie las, was mit Gerd V, Anfang dreißig, geschehen war. Ein Foto von ihm oder dem Haus war nicht abgebildet und der Artikel war, im Vergleich über den, in dem es um den drei Wochen später beginnenden Weihnachtsmarkt im Nachbarort ging, recht klein.
„Offenbar wurde das Opfer in der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober erstochen. Ein Nachbar fand ihn am nächsten Abend. Bislang tappt die Polizei im Dunkeln..."
Julia überflog den Artikel mehrere Male. Anscheinend ging die Polizei davon aus, dass Valler wahrscheinlich einen Einbrecher im Garten erwischt hatte und sich dann mit diesem angelegt hatte, denn der Arktikel endete mit der Aufforderung, in einem solchen Fall nicht selber einzugreifen, sondern besser die Polizei zu rufen.
„Wer weiß, wer das war," dachte Julia verunsichert und fühlte sich an einen anderen Mord erinnert.
„Der Mörder von diesem Brunnenstatuen-Erschaffer, wie hieß er noch mal, fällt mir jetzt nicht ein.....war das nicht so ähnlich? Ging man da nicht auch von einem Einbruch aus?", dachte sie.
Aber zumindest nach dem kurzen Artikel ging die Polizei wohl nicht von einem Zusammenhang aus, denn der andere Mord wurde mit keinen Wort erwähnt. Auch von Statuen, existierenden oder zerstörten, stand nichts im Arktikel.
„Also ich werde nicht erwähnen, dass du Ärger mit ihm hattest," sagte Frau Hellenberg nun und Julia blickte auf.
„Wie bitte?"
„Ich weiß von gar nichts. Aber ich weiß, dass du oder dein Mann nichts damit zu tun hattet. Dafür....seid ihr zu nett....", antwortete Frau Helleberg und Julia schluckte. „Wir...haben auch nichts damit zu tun! Wir waren zu Hause, eine Nachbarin hat uns dort gesehen, wir waren einkaufen und haben dort jemanden getroffen, mit Jonass Schwiegervater und meiner Mutter telefoniert. Vom Festnetz aus, nicht mit dem Handy. Und an Halloween waren wir mit Freunden in der Disko! Außerdem.."
„Ist ja schon gut!", versuchte Frau Hellenberg die aufgeregte junge Frau zu beruhigen. „So habe ich das auch gar nicht gemeint. Ich weiß, dass ihr das nicht wart. Wer weiß, mit wem sich der Valler noch angelegt hat. Vielleicht hatte er ja noch mehrere Leute gestalkt und von denen ist einer durchgedreht. Vielleicht war es ja auch wirklich ein Einbrecher und er wollte dann den Helden spielen und hat das scharfe Messer in der Hand des Eindringlings übersehen oder ignoriert, dass der Kerl drei Köpfe größer war."
Sie holte tief Luft. „Ich will nur nicht, dass du nach allem, was du mit dem Kerl erlebt hast und dem ganzen Stress auch noch Ärger mit der Polizei bekommst, auch wenn die bei euch nichts finden würden."
„Danke...aber sie brauchen für uns nicht lügen....", antwortete Julia leise.
Frau Hellenberg schüttelte den Kopf, stand auf und drückte die Kollegin zu deren Überraschung fest an sich. Julia ließ sie gewähren.„Wahrscheinlich wird mich die Polizei auch gar nicht fragen," stellte Frau Hellenberg fest. „Was habe ich schon damit zu tun? Vielleicht haben die ja auch schon einen Verdacht. Eventuell liegen ja Anzeigen gegen ihn vor, wenn er so was wie mit dir schon früher gemacht hat. Aber dann hätte er wohl nicht mehr als Lehrer arbeiten dürfen..."
Sie zuckte die Achseln. „Ich gönne so was niemandem. Aber ich bin auch nicht so traurig. Wie ich schon sagte, bei anderen Kollegen hätte es mir viel mehr leid getan."
Julia nickte, während Frau Hellenberg sie los ließ und ihr kurz darauf eine Tasse Kaffee hinstellte. „Trink die. Das wird dir guttun. Und wir sollen nachher noch ins Lehrerzimmer kommen, denn der Rektor will mit uns besprechen, wie wir die ganze Sache den Schülern beibringen. Bei manchen war er ja doch einigermaßen beliebt und es wird die Kinder bestimmt erschrecken."
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Es ist doch wirklich ein einziges Elend. Dabei hätten wir doch eigentlich ein nettes ruhiges Schuljahr verdient gehabt."
Dem konnte Julia nur zustimmen.
Am Abend erwartete Jonas Julia bereits, als sie die Haustür aufschloss und nahm sie fast noch bevor sie die Wohnung betreten hatte in den Arm und drückte sie fest an sich.
„Arme Julia. War es heute sehr schlimm in der Schule?", erkundigte er sich sich mitfühlend. „Soll ich dir etwas leckeres kochen? Deine Spaghetti Frutti Di Mare? Oder eine Pizza? Wir können uns auch was bestellen...."
Julia schüttelte den Kopf. „Nein danke, eine Kollegin hatte heute Geburtstag und hat in der Pause, trotz allem, im Lehrerzimmer Brötchen und Kuchen ausgeben. Alle haben zugelangt, auch wenn sie eine Stunde vorher noch zu Tode erschrocken waren, als sie es gehört haben.....aber den Geburtstag hat sich Frau Erftmeier nicht verderben lassen."
Sie lächelte. „Du erinnerst dich an Frau Erftmeier? Die, mit den beneidenswerten Genen? Die, die so viel essen kann wie sie will ohne jemals auch nur ein Gramm zuzunehmen?"
Jonas nickte, während er sich zusammen mit Julia, sie immer noch umarmt haltend, aufs Sofa setzte. „Ja, ich erinnere mich noch. Mit der hatten wir doch in der achten Klasse Physik. Sie war eigentlich ganz in Ordnung."
Julia nickte. „Sie ist heute fünfzig geworden. Darum hat sie das Frühstück ausgegeben. Und ich finde auch, dass man sich wegen Valler nicht den Geburtstag verderben lassen sollte, auch wenn das ganz böse Gedanken sind und ich dafür bestimmt mal in die Hölle komme..."
„Du bestimmt nicht!", stellte Jonas fest. „Aber es war gut, dass du mich direkt angerufen hast. Ich habe ein bisschen im Internet recherchiert...."
„Ich auch," antwortete Julia. „Zum Glück hatten wir heute nicht so viel zu tun. Die Schüler nahmen es übrigens ganz unterschiedlich auf. Ein paar waren richtig erschrocken, vor allem die Jüngeren. Andere haben kaum reagiert, ich bin an ein paar Mädchen vorbei gegangen und die haben sich angeregt darüber unterhalten, was sie an Halloween gemacht haben und dass eine von ihnen einen netten Typen kennen gelernt hat. Ihre Freundinnen haben ihr Tipps gegeben, wie aus ihnen ein Paar werden könnte....Valler war gar kein Thema bei denen, der Typ war wichtiger."
Jonas musste lachen. „Als ob du nie solche Gespräche geführt hättest. Erinnerst du dich noch an den Tag nach dem 11. September? Da waren wir glaube ich in der 9. Klasse und ein paar waren wirklich erschrocken. Frau Igel hatte sogar Tränen in den Augen, aber du, Britta und Katja habt euch angeregt über Leonardo Di Caprio unterhalten und ob er in Titanic oder seinem neuen Film nun süßer ist. Dann habt ihr mich bemerkt und Katja hat mit einem Lineal nach mir geworfen, mich aber zum Glück nicht getroffen. Statt dessen war das Ding kaputt und sie hat mich noch angemault, dass ich Schuld daran sei und ihr ein Neues besorgen solle..."
„Du Armer," sagte Julia mit gespieltem Mitleid. „Waren wir wieder sehr böse zu dir?"
Jonas nickte. „Sehr böse.....richtig fies....."
Sie rückte noch näher an ihn heran und für einen Moment schwiegen sie, ehe sie wieder auf das Thema Valler kam.
„Im Internet steht ein bisschen mehr als in der Zeitung. Irgendjemand hat da auch die Leserbriefe kommentiert. Eine Frau, wahrscheinlich eine Nachbarin, schreibt, dass er ein unfreundlicher Kerl war und sich immer für was Besseres gehalten hätte. Und eine andere Frau schrieb, dass er ihren Kindern schon gesagt hätte, dass sie bloß nicht an Halloween klingeln sollen. Aber drei andere Leute aus dem Ort waren geschockt, weil so was in ihrem Ort passiert ist und dann haben sie Tipps ausgetauscht, wie sie sich besser gegen Einbrecher schützen können."
Jonas stimmte Julias Ausführungen zu. „Das habe ich auch gelesen. Aber ich habe auch nach....Hinweisen über etwas....Übernatürliches gesucht und nichts, aber auch gar nichts gefunden. Du meintest ja am Telefon, dass dich das ganze ein bisschen an den anderen Mord erinnern würde. Da hab ich übrigens auch noch mal ein bisschen nachgeschaut, aber da gibt es nichts Neues...."
„Also kein Statuen-Alarm?", fragte Julia. „Auch sonst ist weder im Ort noch in der näheren Umgebung etwas Besonderes passiert. Es gab keine merkwürdigen Todesfälle und ich hab mir auch mal die Todesanzeigen angeschaut. Auf manchen Seiten kann man das. Aber die Leute sind überwiegend brav im höheren Rentenalter verstorben. Da kann natürlich auch was Dämonisches dahinterstecken und niemand weiß es. Aber es weist nichts darauf hin!"
Auch Jonas hatte nichts in der Hinsicht finden können. Es gab keinerlei Geschichten über Statuen, keine einzige alte Dorflegende, die dazu passte und vor allem im Zusammenhang mit dem Mord an Valler wurde keine Statue erwähnt.
„Es war...wohl wirklich ein Einbrecher. Oder ein altes Stalking-Opfer. Aber keine Statue...und es hätte mir auch nicht so viel Spaß gemacht, eine Statue zu erledigen, die Valler...", stellte Jonas fest, aber Julia unterbrach ihn.
„Ich mochte ihn auch nicht. Er hat mir Angst gemacht und er wird mir definitiv nicht fehlen, aber so was sollte man nicht sagen. Er war immerhin ein Mensch...und wurde ermordet...so was gönnt man doch niemandem, auch keinem Ekelpaket wie Valler..."
Jonas sah seine Frau zweifelnd an. „Ich weiß es nicht so recht. Eigentlich hast du recht. Aber gesteh mir zumindest zu, dass ich nicht traurig bin und dass ich es beispielweise schlimmer finden würde, wenn es ein anderes Zufallsopfer getroffen hätte. Schließlich hätte der Einbrecher auch bei Vallers Nachbarn einsteigen können, mit dem gleichen Ergebnis. Und dann hätte ich ihn wahrscheinlich sogar in Verdacht und würde der Polizei sagen, dass er ein Stalker ist und sie sich ihn mal genauer anschauen sollten."
Julia suchte nach einer Art Kompromiss, auch wenn es ihr angesichts eines Mordes irgendwie nicht wirklich angebracht erschien. „Einigen wir uns doch darauf....wir werden ihn nicht vermissen, aber dass er ermordet wurde haben wir ihm doch nicht gegönnt. Ich habe sogar fünf Euro für seinen Kranz, den die Lehrerschaft spenden will, gegeben. Der Rektor hat gesammelt."
Jonas seufzte. „Schade ums Geld...."
„Jonas!", ermahnte Julia ihn. „Sag das nicht. Außerdem wäre es ja aufgefallen und bestimmt merkwürdig rüber gekommen, wenn ich als einzige nichts gegeben hätte. Die anderen haben sogar mehr gespendet, aber ich sagte, ich hätte nicht mehr Kleingeld....aber egal.Was ich sagen wollte ist ja auch nur, dass wir beide nicht traurig sind, dass er uns nicht mehr belästigen kann. Aber dass er ermordet wird....hätte auch nicht sein müssen. Mir hätte es gereicht, wenn er mich einfach in Ruhe gelassen oder die Schule und somit auch mein Leben verlassen hätte....aber dass er gleich die Welt der Lebenden verlässt wäre auch nicht nötig gewesen."
Jonas kam zu dem Schluss, dass er mit seiner Bemerkung ein bisschen zu weit gegangen war, auch wenn er nach wie vor kein Mitleid mit Valler verspürte und sich sogar ein „Da hat es zur Abwechslung mal den Richtigen getroffen" Gefühl in ihm ausbreitete.
Aber aus rein moralischer Sicht hatte Julia natürlich recht.
„Ich ziehe die Bemerkung mit dem Geld zurück. Ist schon besser, dass du auch was gegeben hast, bevor blöd geredet wird. Und ein paar Leute mochten ihn ja anscheinend sogar...aber ein Mord, der nichts mit Statuen zu tun hat fällt nun wirklich nicht in meinen Bereich. Dafür gibt es die Polizei. Die werden bestimmt bald einen Täter verhaften. Das wäre vor allem für andere, nette Menschen, wichtig, bevor er bei denen einsteigt."
DU LIEST GERADE
Dämonische Statuen - Rache
Misterio / SuspensoDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...