Der Arzt hatte Tamaras Wunde genäht und legte nun einen Verband an. „So, das musst du jetzt heilen lassen. Zeig es in ein paar Tagen deinem Hausarzt. Er wird auch die Fäden ziehen. Und ich gebe dir gleich sicherheitshalber noch eine Tetanusimpfung. Du sagst ja, dass du die letzte bei deiner Einschulung bekommen hast.
Letzteres klang ein bisschen vorwurfsvoll. Anscheinend hatte sie da zu lange mit der Auffrischung gewartet.
Da sie bereits befürchtete, dass dies wahrscheinlich nicht ihr letztes Erlebnis mit Dämonen sein würde, war ein ausreichender Tetanusschutz sicherlich nicht das Schlechteste für sie, Manuel und Dominik.
Nachdem Tamara ihre Spritze bekommen hatte, verließen der Arzt den Raum, um nach einem anderen Patienten zu sehen.
Tamara, ihr Bruder und ihr Freund blieben allein zurück, um auf ihre Mutter zu warten, die von einer Krankenschwester informiert worden war, da sie einige Unterlagen unterschreiben musste.
„Das Los aller Minderjährigen," stöhnte Tamara. „Ich wünschte, ich wäre volljährig. Dann könnte ich es vielleicht vor Mama geheim halten.
Manuel nickte und blickte düster drein. Er wusste auch noch nicht, wie sie seiner Mutter die Verletzung, von der der Arzt sicherlich erwähnen würde, dass es sich um eine Bisswunde handelte, erklären sollten.
Ein Hund schied aus, ein anderes Tier auch. Dann würde sich Tamaras und Manuels Mutter sicherlich Gedanken über Tollwut machen. Aber wenn sie sagten, dass ein Mensch sie verletzt hatte, würde Jutta wahrscheinlich die Polizei rufen.
Dominik legte den Arm um Tamara und sie lehnte sich an ihn an. „Das wird schon. Du kannst ja auch sagen, dass der Arzt sich geirrt hat und dass er dir nur nicht glaubt, dass du dich an einem Stacheldraht verletzt hast. Deine Mutter kennt den Unterschied bestimmt nicht, wenn sie die Narbe sieht."
Vielleicht war dies die beste Lösung. Irgendwie hatte Manuel es ja sogar geschafft, eine weitaus schwerere Verletzung zu erklären.
Manuel dachte indes noch an etwas anderes. „Dominik, dein Schwert stammt also direkt aus der Hölle..."
„Der Dämon hat es gesagt. Aber da es von einem Höllendämon stammte war so etwas wohl zu erwarten, immerhin ließ sich dieser merkwürdige Weg damit öffnen", antwortete Dominik und schien über diese Erkenntnis auch nicht sonderlich begeistert zu sein.
Aber spielte das noch eine Rolle? Jetzt war es sein Schwert. Und lag es nicht bei ihm, wofür er es einsetzte?
Zumindest hatten sie den Weg von der Hütte des Dämons zurück auf die Einkaufstraße ohne Probleme passieren können. Als sie sich schließlich wieder in ihrem Teil der Welt befanden standen die beiden Bekleidungsgeschäfte wieder da, als ob es niemals einen Pfad zwischen ihnen gegeben hatte.
Dominik fragte sich, wie viele Menschen im Laufe der Zeit dem Wesen zum Opfer gefallen waren. Wie lange hatte es bereits an diesem Ort gelauert, um von Zeit zu Zeit Menschen in seine Welt zu holen und dann tatsächlich zu fressen? Es hatten viele Knochen in der Hütte gelegen. Aber von wievielen Menschen diese stammten, konnte er nicht sagen.
Er hatte mindestens vier Schädel ausmachen können, schätzte aber anhand der Menge der Knochen, dass es mehr Opfer gegeben hatte.
Jutta Seibert eilte durch den Krankenhausflur in Richtung Notaufnahme. Sie war angerufen worden, da sich ihre Tochter offenbar am Arm verletzt hatte. Außerdem hatte sie ein aufschlussreiches Gespräch mit der Mutter von Tamaras Schulkameradin Annika geführt.
Das Mädchen war verstört nach Hause zurück gekehrt und hatte sich weinend in ihrem Zimmer eingeschlossen, und etwas von einem beißenden Ungeheuer erzählt. Annikas Mutter war erleichtert, dass ihre Tochter wieder da war, konnte sich aber keinen Reim aus dem Gestammel des Mädchens machen.
Jutta hatte auch erfahren, dass ihre Tochter offenbar mit Annika zusammen unterwegs gewesen war. Auch Dominik und Manuel hatte die andere Mutter erwähnt.
In ihren schlimmsten Vorstellungen befürchtete Jutta bereits, dass Drogen im Spiel sein könnten. Aber dies traute sie eigentlich weder Tamara und auch Manuel nicht zu.
Schließlich erreichte sie den Raum, den man ihr an der Auskunft genannt hatte und klopfte an die Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten trat sie ein und schloss ihre auf einer Untersuchungsliege sitzende Tochter in die Arme. „Schatz, was ist denn passiert?", fragte sie und strich über Tamaras verbundenen Arm.
„Stacheldraht," nuschelte Tamara und versuchte sich aus der Umarmung ihrer Mutter zu lösen. „Schon gut Mama, es geht schon."
Aber Jutta war ganz offensichtlich gänzlich anderer Ansicht. „In Ordnung? Hier ist überhaupt nichts in Ordnung. Und was heißt hier Stacheldraht? Die Schwester sagte am Telefon etwas von einer Bisswunde."
Sie ließ ihre Tochter los und sah sie streng an. „Was ist passiert? Warum bist du im Krankenhaus? Und was hat es mit diesem Biss auf sich?"
Ihr Blick fiel auf Manuel und Dominik und ihre Gesichtszüge nahmen einen empörten Ausdruck an.
„Was habt ihr beiden damit zu tun?"
„Sie haben gar nichts damit zu tun. Sie haben mich ins Krankenhaus gebracht," nahm Tamara ihren Bruder und ihren Freund in Schutz, aber ihre Mutter wollte davon nichts hören.
„Deine Loyalität gegenüber deinem Freund und deinem Freund ist ja ehrenwert, aber hier absolut fehl am Platze. Du solltest sie nicht auch noch in Schutz nehmen. Bestimmt haben die beiden irgend einen Blödsinn veranstaltet, bei dem du verletzt wurdest!"
„Haben wir nicht," verteidigte sich nun Manuel und Dominik warf der Mutter seiner Freundin einen missmutige Blick zu.
„Mama....,begann Tamara," aber Jutta schüttelte den Kopf. „Du wirst deinen Freund einstweilen nicht mehr treffen."
Dominik und auch Tamara protestierten.
„Das kannst du nicht machen," klagte Tamara und Dominik nahm ihre Hand. „Das kann sie doch selber entscheiden," fügte er hinzu.
Aber das war in Juttas Augen anscheinend die vollkommen falsche Reaktion.
„Du kannst vielleicht schon machen was du willst. Du bist volljährig. Manuel macht sowieso was er will, da kann ich sagen, was ich will! Aber Tamara ist erst sechzehn. Da bestimme ich noch, mit wem sie sich trifft und wo sie ihre Zeit verbringt! Und wenn du mir gegenüber auch noch frech wirst, dann bist du garantiert nicht derjenige, mit dem sie ihre Freizeit verbringt!"
Jutta wandte sich an Tamara. „Junges Fräulein, du gehst jetzt sofort mit mir nach Hause. Ich habe nämlich vorhin mit Annikas Mutter telefoniert. Ihr beiden seid mitten in der Nacht aus dem Haus gegangen. Wahrscheinlich stecken die beiden hier dahinter."
Bei ihren letzten Worten deutete sie auf Dominik und Manuel.
„Es reicht," sagte Manuel. „Ich habe es satt, dass ich für alles, was bei uns schief läuft, verantwortlich sein soll. Das ist mir alles zu blöd."
Er verließ den Raum, während Tamara sich an Dominiks Hand klammerte. „Du wirst mir nicht verbieten, mich mit Dominik zu treffen. Und ich will, dass du dich bei Manuel entschuldigst. Oder willst du mir künftig auch verbieten, mich mit meinem eigenen Bruder, der bei uns wohnt, zu treffen?"
Jutta schwieg. So traf Tamara normalerweise nicht mit ihr.
Sie blickte ihr und Dominik hinterher, als sie Hand in Hand den Behandlungsraum verließen. Dann machte sie sich daran, den behandelnden Arzt zu finden, um die notwendigen Unterlagen zu unterschreiben.
Hatte sie ihren Kindern vielleicht Unrecht getan?
Vor dem Krankenhaus traf Tamara auf Manuel, der, auf einer Bank sitzend, anscheinend auf seine Schwester gewartet hatte.
Sie setzte sich neben ihn. „Bist du mir böse, weil sie dich wegen mir angeschrien hat?", fragte Tamara, aber ihr Bruder schüttelte den Kopf. „Auf dich? Warum soll ich auf dich böse sein?"
Er zuckte die Achseln. „Ich bin es doch gewohnt, dass ich die Rolle des schwarzen Mäh-Mäh's in der Familie übernehme. Hauptsache, dein Arm verheilt wieder."
Dominik grinste. "Mach dir nichts draus. Dafür hat sich meine Mutter seit letztem Sommer in eine Glucke verwandelt. Die ist manchmal schlimmer als eure. Ich habe erst heute Vormittag wieder ein Gespräch mit ihr darüber geführt, dass Autos keine Dämonen und Fahrschulen keine Geisterbahnen sind. Dann habe ich ihr erklärt, dass mein Fahrlehrer weder ein weiterer Höllendämon noch ein Vampir ist. Und dass wir es vorhin mit einem Dämon zu tun hatten, darf sie schon mal gar nicht wissen."
Er drückte Tamaras Hand ein wenig fester. "Zum Glück ist es ja gut ausgegangen."
Tamara nickte und die Geschwister rutschten ein Stück zur Seite, während Dominik auf Tamaras anderer Seite Platz nahm.
„Ich finde, dass wir das zusammen gar nicht so schlecht hinbekommen haben. Danke, dass ihr gekommen seid.", sagte sie und griff jeweils nach einer Hand zu ihrer Linken und zu ihrer Rechten.
„Ja, deine Idee mit der Kerze war gut," antwortete Dominik und Manuel stimmte dem zu. „Aber wenn wir das nächste Mal gegen einen Dämon kämpfen, nehmen wir Annika nicht mit. Sie macht zu viel Lärm, wenn sie kreischt."

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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...