Ein paar Tage nach Jessicas merkwürdiger Begegnung in der Arztpraxis und nachdem ein Gerichtsvollzieher aus München spurlos verschwunden war, betrat Julia in einem anderen Teil Deutschlands das Sekretariat der Schule und legte die Kastanie, die sie auf dem Parkplatz gefunden hatte, auf ihren Schreibtisch.
„Die sind schon alle von den Bäumen gefallen. Ich hab den Eindruck, dass das jedes Jahr früher passiert," sagte sie an Frau Hellenberg gewandt.
Diese nickte. „Ja, ich habe einen Sprung in der Windschutzscheibe. Mein Wagen steht im Moment in der Werkstatt. Mein Mann hat mich heute morgen gefahren!"
Sie deutete lächelnd auf eine Schachtel Pralinen. „Die lagen heute morgen auf meinem Schreibtisch. Wohl eine Art Einstandsgeschenk von Herrn Valler. Du hast auch eine bekommen!"
Jetzt entdeckte Julia die Pralinen und sie sah direkt, dass es sich um eine teure Sorte handelte. „Also geizig ist er ja nicht," sagte sie. „Wenn er das bei allen Kollegen so macht...."
„Wir sind die einzigen, soweit ich weiß," stellten Frau Hellenberg stirnrunzelnd fest. „Ich hab vorhin ein paar Lehrer gefragt. Die haben keine bekommen!"
Sie lachte. „Aber wir sind wahrscheinlich die Hübschesten hier. Darum sind wir als einzige bedacht worden. Oder er wollte eigentlich nur dir eine Packung schenken, wusste aber nicht so genau, welches jetzt dein Arbeitsplatz sitzt. Als er neulich reinkam sahst du ja auf meinem Stuhl, weil dein PC gestreikt hat!"
Julia fühlte so etwas wie Unbehagen in sich aufsteigen, versucht dieses Gefühl aber zu verdrängen. Das war doch Blödsinn! Warum sollte er ausgerechnet ihr Pralinen schenken?
„Er weiß doch, dass ich frisch verheiratet bin!", dachte sie ein wenig ärgerlich, öffnete die Pralinenpackung dann aber doch und genehmigte sich etwas davon.
In der zweiten Pause beschloss Julia, ihre Mittagspause ein wenig vorzuverlegen. Das Wetter war sehr schön an diesem Tag, aber für den Nachmittag hatte der Wetterbericht Regen vorausgesagt.
„Man muss es ausnutzen, so lange man kann!", stellte sie lächelnd, an ihre Kollegin gewandt, fest.
Diese nickte zustimmend. „Eigentlich hast du ja recht. Aber ich hab eigentlich keine Lust, mich durch dieses Gewühl an Schülern zu quetschen! Aus dem Alter bin ich wohl leider wirklich raus!"
Letzteres sagte sie mit einem übertriebenen gespielten Seufzer, der Julia zum Lachen brachte.
Ein wenig später schlenderte sie über den Schulhof und fühlte sich in vergangene Zeiten versetzt.
„Da hinten, auf der Bank unter den Tannen, hab ich immer mit Britta und Katja gesetzt und wir haben zusammen in diesen Teenie-Zeitschriften geblättert. Meistens haben wir für die Jungs irgendwelcher Boy-Bands geschwärmt und irgendwann dann für richtige Jungs. Bei Katja war es fast jede Woche jemand anderes. Britta und ich haben ihr dann gesagt, dass ihr das einen schlechten Ruf einbringen würde, aber das war ihr eigentlich egal.
Sie lächelte traurig. Ihre andere beste Freundin neben Britta, Katja, fehlte ihr noch immer sehr. Mit dieser Freundin hatte sie viel Spaß gehabt, Katja war diejenige gewesen, die keine Party versäumte und auch unter der Woche gerne ausging.
„Sie hat uns, also Britta und mich, immer mitgezogen. Es ist wirklich eine Schande....auch wenn mit diesem Höllendämon inzwischen abgerechnet wurde," dachte sie, als sich plötzlich eine Hand von hinten auf ihre Schulter legte.
„Hallo, Frau Becker, oder darf ich Julia sagen? Ich sagte ja schon, dass ich der Gerd bin!", hörte sie ihren Kollegen, Herrn Valler sagen und sie roch wieder seine nach starkem Zigarettenqualm riechende Jacke.
Trotzdem drehte sie sich zu ihm um und wusste nicht so recht, was sie antworten sollte. Es war ihr eigentlich nicht so recht, dass sie einander mit Vornamen ansprechen sollten, aber schließlich nickte sie widerwillig.
„Julia ist schon in Ordnung, obwohl ich Schneider mit Nachnamen heiße," stellte sie fest, aber Gerd Valler grinste breit.
„Naja, das mit dem Nachnamen hat sich ja jetzt erledigt! Ich hab Pausenaufsicht! Und was treibt dich jetzt um die Zeit auf den Schulhof?", erkundigte er sich und streckte die Hand nach ihr aus.
Kurz fürchtete sie bereits, dass er den Arm um ihre Schulter legen wollte, aber dann zog er den Arm zurück.
„Ich wollte noch was von dem schönen Wetter haben," antwortete sie widerwillig und war dankbar, als eine Schülerin Herrn Valler ansprach, um sich über eine zickige Mitschülerin zu beschweren.
„Ich muss dann mal los! Meine Pause geht zuende," sagte sie und ging auf das Schulgebäude zu. Sie hatte keine Lust, sich noch länger mit Herrn Valler alias Gerd zu unterhalten.
Leider holte er sie ein bevor sie das sichere Gebäude erreichte.
„Warte doch, Julia! Ich wollte mich noch ein wenig mit dir unterhalten! Du bist doch auch früher hier zur Schule gegangen, oder?", erkundigte er sich und lächelte sie freundlich an. „Ich hab die Schülerin extra abgewimmelt...."
„Das gehört aber nicht zu deiner Jobbeschreibung," antwortete sie und bemühte sich, nicht zu unfreundlich zu klingen. „Du sollst dich doch um die Schüler kümmern und dir ihre Sorgen anhören!"
Irgendwie kam es ihr falsch vor, ihn zu dutzen. Aber jetzt hatte sie einmal damit angefangen und jetzt ließ es sich leider nicht mehr ändern.
Gerd lachte über ihre Worte. „Du schimpfst aber ganz schön. Lass das mal sein, Julia. Schließlich sollten wir uns nicht streiten. Immmerhin haben wir uns gerade erst angefreundet. Außerdem wollte das Mädchen nichts Wichtiges. Sie hat über eine Mitschülerin gemeckert. Streit unter Dreizehnjährigen halt!"
„Für die Mädchen ist das aber wichtig!", murmelte Julia, während er sie am Arm festhielt.
„Nun warte doch mal. Ich wollte dich fragen, ob du nach der Schule einen Kaffee mit mir trinken gehst...."
„Äh...nein...," antwortete Julia, der es nun wirklich zu viel wurde. „Ich muss nach Hause! Mein Mann und ich gehen heute Abend essen!"
Beim Wort „Mann" zuckte Gerd kurz zusammen, grinste sie dann aber verschwörerisch an. „Du könntest doch sagen, dass heute noch eine Besprechung in der Schule stattfindet!"
Julia schüttele den Kopf und überlegte hin und her, was sie von der ganzen Sache halten sollte.
Zu ihrer Erleichterung klingelte es in diesem Moment und Gerd sah sie bedauernd an. „Ich muss jetzt in die 6 C! Eine Mathearbeit schreiben. Dabei würde ich mich viel lieber mit dir unterhalten. Aber wir sehen uns bestimmt später noch mal!"
Er zwinkerte ihr tatsächlich verschwörerisch zu, ehe er sich – samt seiner übel riechenden Jacke – an ihr vorbei drängte und das Schulgebäude betrat.
Verunsichert kehrte auch Julia kurz darauf an ihren Arbeitsplatz zurück und ihre Kollegen sah sie besorgt an.
„Was ist denn los? Du wirkst irgendwie verstört!"
„Der Neue, Gerd, ich meine Herr Valler, hat mich....angebaggert! Er wollte mit mir Kaffee trinken gehen...."
Frau Hellenberg schaute ihre jüngere Kollegin zweifelnd an. „Bist du dir sicher, dass er dir wirklich zu nahe treten wollte? Vielleicht war das ja nur kollegial gemeint! Mit dem Biolehrer hat er neulich auch in der Cafeteria gesessen und einen Kaffee getrunken."
Julia schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Er ist mir irgendwie unangenehm. Außerdem mieft er nach Qualm!"
Dem musste die Kollegin zustimmen.„Stimmt, das ist mir auch schon aufgefallen! Ich glaube, er hat mal erwähnt, dass er Abends oft rausgeht! Das hat er wohl im Lehrerzimmer erzählt. Frau Igel hat mir das erzählt. Sie hatte sich auch schon über den Qualmgestank beschwert. Aber wenn er gerne raucht..."
Julia war da anderer Ansicht. „Er kann rauchen so viel er will! Er ist erwachsen und es ist seine Gesundheit. Auf dem Schulhof bei den Schülern macht er es ja nicht. Aber stinken muss er deshalb doch nicht. Mein Vater raucht auch gerne mal eine Zigarette, auch wenn meine Mutter ihm das seit Jahren abgewöhnen will. Aber er stinkt nicht! Seine Sachen werden immer frisch gewaschen!"
Sie nahm sich einen Aktenordner und machte sich wieder an die Arbeit, konnte sich aber nicht so wirklich konzentrieren, zumal Herrn Vallers Pralinen direkt vor ihrer Nase lagen.
Schließlich nahm sie die Schachtel und reichte sie ihrer Kollegin. „Hier, ich....bin auf Diät! Ich möchte die nicht mehr essen!"
Frau Hellenberg sah sie zweifelnd an, griff dann aber nach der Schachtel. „Bist du dir sicher? Die schmecken wirklich gut!"
Julia nickte. Sie wollte keine Geschenke von Gerd Valler haben. „Ich bin mir sicher!"
Nach ihrem Feierabend schaute Julia noch bei ihrer Freundin Britta vorbei und nahm den Kaffee, den sie ihr anbot, dankend an.
„In der Schule habe ich heute keinen einzigen Schluck mehr herunter bekommen," klagte Julia, während Britta an einer Tasse Tee nippte.
Angeblich sollte der gegen ihre Schwangerschaftsübelkeit, unter der sie nach wie vor litt, helfen, was aber, laut Britta, bislang nicht der Fall war. Damit sie ein wenig zur Ruhe kam wurde ihre Tochter Anna-Lena an diesem Nachmittag von ihrer Mutter betreut.
„Was ist denn los?", fragte Britta und kuschelte sich in ihre Sofaecke, nachdem sie sich ein Kissen in den Rücken geklemmt hatte.
Als Julia nicht sofort antwortete hackte Britta nach. „Erzähl es mir ruhig! Mich erschüttert heute nichts mehr. Mir ist dermaßen schlecht dass ich zu dem Schluss gekommen bin, dass das mein letztes Kind ist. Ich frage mich schon, ob die Übelkeit die Strafe dafür ist, dass ich einfach heimlich die Pille abgesetzt habe! Bei Anna-Lena hatte ich nämlich gar nichts!"
„Ich weiß...," antwortete Julia.
Schließlich machte Britta seit Wochen Bemerkungen dieser Art und im Stillen war Julia froh, dass sie bislang von einer Schwangerschaft verschont geblieben war. Brittas Beispiel machte ihr nicht gerade Mut.
„Erzähl schon! Ich weiß, dass ich im Moment irgendwie eine schlechte Freundin bin. Ich jammere die ganze Zeit und Dennis sagt auch, dass ich manchmal unausstehlich bin. Aber jetzt bist du mal dran! Komm schon, was hast du auf der Seele?", hackte Britta nach und schließlich beschloss Julia, ihre Freundin ins Vertrauen zu ziehen.
„Ich hab einen neuen Kollegen, Gerd Valler heißt der," sagte sie und Britta unterbrach sie neugierig.
„Ist der gutaussehend?", erkundigte sie sich mit einem Grinsen.
Julia zuckte die Achseln. „Das ist Geschmackssache, mein Typ wäre er jedenfalls nicht, wenn ich Single wäre. Aber das Äußere ist nicht das Problem. Es ist vielmehr seine Art und Weise. Er ist aufdringlich, schenkt mir Pralinen und gräbt mich an! Außerdem stinkt er wie ein Aschenbecher, in den man gewaltsam mit der Nase gedrückt wird!"
„Der scheint ja ein wahrer Traummann zu sein," antwortete Britta sarkastisch und fügte hinzu: „Weiß der denn, dass du schon vergeben bist?"
Julia bejahte diese Frage. „Er weiß es. Aber zuerst hat er mich trotzdem immer mit meinem Geburtsnamen angesprochen und dann ist er auf Julia umgestiegen. Die Tatsache, dass ich verheiratet bin, ignoriert er einfach. Er wollte sich mit mir verabreden!"
„Komischer Kautz," murmelte Britta, wollte ihre Freundin aber offensichtlich beruhigen. „Nimm das ganze nicht zu ernst. Vielleicht ist das ja nur ein blöder Witz, auch wenn es nicht wirklich komisch klingt. Und wenn er zu doof wird, sag doch einfach Jonas Bescheid. Der wird doch auch mit Dämonen fertig, da frisst er so einen doch zum Frühstück!"
Genau das wollte Julia eigentlich vermeiden. Zwar zweifelte sie nicht daran, dass Jonas ihr helfen würde, falls sie sich bedroht fühlten solle. Aber was sollte er denn machen? Gerd Valler verprügeln? Ihn dazu auffordern, sie in Ruhe zu lassen? Am Ende brachte ihm die ganze Sache noch eine Anzeige wegen Körperverletzung ein und sie selber wollte immerhin auch weiterhin an der Schule arbeiten.
„Mal schauen," nuschelte sie deswegen und wechselte dann das Thema. „Hast du wieder einen Toten gesehen?"
Britta nickte unglücklich. „Ja, hab ich. Meine alte Nachbarin, die Frau Koll. Die hat früher gegenüber von uns gewohnt und ist seit zehn Jahren tot. Aber dann hab ich sie gesehen. Auf dem Spielplatz hinten im Park. Oder halt geglaubt, sie zu sehen. Als ich näherkam sah ich, dass sie es doch nicht war. Es war irgendeine andere Omi, die mit ihrem Enkel da war!"
Britta seufzte theatralisch. „Leider nimmt Dennis das mittlerweile in keinster Weise mehr ernst und er glaubt, ich hätte Halluzinationen. Und heute Abend kommt er erst sehr spät nach Hause. Er muss auf eine Betriebsfeier, das jährliche Sommerfest. Es ist zwar schon fast Herbst, aber vorher haben die das wohl mit dem Termin im Restaurant nicht hinbekommen!"
„Julia seufzte nun ebenfalls übertrieben. „Wirklich dumm gelaufen! Es regnet doch in Strömen....armer Dennis..."
„Ja, armer Dennis! Warum soll er es auch besser haben als ich? Ich muss heute Nacht schließlich allein auf Anna-Lena aufpassen, obwohl es mir nicht so gut....halt, ich wollte ja nicht mehr jammern...," erwiderte Britta.
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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...