Kapitel 67

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Vier Finger lagen auf dem umgedrehten Glas, aber nichts geschah. Davon war Lucas nicht sonderlich überrascht. Natürlich würde sich das Glas nicht bewegen. Zum einen glaubte er nicht daran, dass Geister durch Gläser mit den Menschen sprachen. Zwar hielt er nichts Übernatürliches für unmöglich, aber dies ging ihm vor allem aus einem Grunde zu weit.

Hatten nicht auch Verstorbene noch ihren Stolz? Selbst wenn es funktionierte konnte Lucas sich bei aller Fantasie nicht vorstellen, dass irgendein Geist Lust darauf haben könnte, in einem Partykeller mit Klausi und Benny zu sprechen.

„Ich würde das nicht tun. Vor solchen Typen will ich wenigstens nach meinem Tod meine Ruhe haben," dachte er mit einem Grinsen, als Klausi eine Frage stellte.

„Bitte, Geist, wenn du da bist, sag uns wenigstens deinen Namen! Bist du es, Napoleon? Bist du da?"

„ Es muss Tu l'es, Napoléon ? Es-tu là? heißen," korrigierte Lucas spöttisch. „Dann antwortet er vielleicht."
„Du kannst Französisch? Das wusste ich gar nicht,"sagte Meike, während Klausi genervt die Augen verdrehte. „Angeber!"

Zunächst geschah nichts, aber dann bewegte sich das Glas tatsächlich. Auch das überraschte Lucas nicht wirklich. Schließlich hielten vier Personen ihre Finger darauf und allmählich tat ihm der Arm weh.
Entweder schoben Benny oder Klausi das Glas. Auch Meike traute er einen solchen Scherz durchaus zu. Er hatte selber bereits darüber nachgedacht, das Glas anzuschieben und einen Satz wie „Benny, du bist ein Trottel" oder „Klausi, kiff nicht zu viel. Ist nicht gut für dein Hirn", zu schreiben.

Er fragte sich, wie Klausi dann reagieren würde.

Meike schlug nun etwas vor, worüber Lucas sich wirklich ärgerte. „Wir könnten meinen toten Opa rufen. Oder Lucas' Mutter. Oder seinen toten Kumpel, wie hieß er noch mal?"

„Meike, halt die Klappe!", entfuhr es Lucas und der letzte Funke Humor verschwand.

Meike sah ihn fast schon erschrocken an. So hatte er noch nie mit ihr gesprochen. Aber in diesem Moment dachte Lucas nicht daran, sich zu entschuldigen.

Klausi kicherte. „Jetzt hab doch nicht so einen Stock im Hintern! Außerdem will ich mit Napoleon reden. Der ist cooler."

Lucas wollte den Finger vom Glas nehmen, als es sich erneut bewegte. Es rutschte in Richtung des Buchstabens „K".

„Es klappt!", rief Benny. „Cool. Gruselig. Aber cool."

Lucas versuchte nach wie vor heraus zu finden, wer das Glas schob, als es jetzt schnell zum nächsten Buchstaben rutschte. „O"

Letztlich entstand das erste Wort. „Kommt".

Lucas hatte kurz das Gefühl, als würde ihm die Hand abgerissen, als da Glas zum nächsten Buchstaben rutschte. Irgend etwas war merkwürdig. Auf einmal zweifelte er daran, dass tatsächlich Meike, Benny oder Klausi das Glas schoben. Die Atmosphäre im Keller schien sich verändert zu haben.

Es entstand schließlich folgender Satz. „Kommt zum Stein am Waldrand."

Ein lautes Klirren war zu hören, als das Kellerfenster zerbrach und ein dadurch entstehender Luftzug die Zettel durcheinander wehte. Mit einem Mal war die Atmosphäre im Keller, abgesehen von dem zerbrochenen Fenster, wieder normal.
„Was war das?", fragte Meike und sie griff zitternd nach der Hand ihres Freundes. Dieser zog seine eigene Hand zurück.

„Was ist los?", fragte Meike.

„Vielleicht kommst du ja selber darauf," antwortete Lucas. „Du wolltest meine Mutter oder Gerrit bei dieser Scheiße rufen. Hast du zu viel von Klausis Gras geraucht?"

„Jetzt seid doch nicht so empfindlich," zischte Klausi die beiden an. „Habt ihr eigentlich gemerkt, was hier gerade passiert ist? Wir haben mit einem Geist gesprochen. Das war bestimmt wieder Napoleon."

„Ja, bestimmt," stellte Benny lachend fest und er stand auf. „Dann lasst uns doch mal zum Waldrand gehen. Der Geist hat doch was von einem Stein gefaselt. Obwohl ich mir was besseres vorstellen könnte, als nachts durch die Gegend zu laufen und Steine zu gucken."

Lucas konnte sich auch etwas Besseres vorstellen, aber Klausi stand auf und griff nach einer auf dem Boden liegenden Jacke.
„Gute Idee! Es gibt einen Stein am Waldrand. Der soll verflucht sein. Da hat man vor zwei Jahren einen toten Jäger gefunden. Vor vier Jahren lag eine tote Wanderin vor dem Stein. Und vor 6 Jahren ist eine Oma gestorben, als sie Pilze sammeln wollte."

„Lass mich raten, das war immer jetzt um die Zeit herum? November?", fragte Lucas, der sich seinen Teil dachte.

Klausi dachte einen Augenblick nach. „Ich glaube schon. Es war immer im Herbst. Mein Opa hat immer gesagt, das wäre ein ganz, ganz böser Stein!"

Benny lachte und konnte sich eine Weile nicht mehr beruhigen. Dann verschluckte er sich und begann zu husten. Klausi klopfte ihm auf den Rücken. „Warum lachst du? Nur weil mein Opa glaubt, dass der Stein böse ist, musst du doch nicht lachen. Er ist halt schon älter."

Benny hustete noch einmal. „Wer ist älter? Der Stein oder dein Opa?"

Er lachte erneut über seinen eigenen Witz und Meike stimmte mit ein. „Es gibt keine bösen Steine."

Lucas äußerte sich nicht dazu. Er spürte den Drang, seinem Bruder eine SMS zu schreiben. Wahrscheinlich gab es Arbeit.

Aber während er darüber nachdachte schlug Klausi erneut auf Bennys Rücken. „Komm, dann gehen wir mal böse Steine gucken. Der Geist von Napoleon hat doch gesagt, das wir das machen sollen!"

Benny blickte zur Decke und gab dann nach, obwohl er nicht lange davor den gleichen Vorschlag gemacht, diesen aber nicht vollkommen ernst gemeint hatte. „Na gut. Gehen wir."

Er wandte sich an Meike und Lucas. „Was ist mit euch? Kommt ihr auch mit?"

Lucas hatte absolut keine Lust, spätabends zu einem möglicherweise dämonischen Wesen zu gehen. Wer wusste denn schon, was es mit diesem Stein wirklich auf sich hatte?
„Nein, ich hab keine Lust," sagte er daher, während Meike ihm einen bösen Blick zuwarf. „Nun sei nicht so ein Spielverderber. Das könnte doch vielleicht ganz lustig werden..."

„Meike, du weist doch selber, was damals bei uns los war. All die merkwürdigen Dinge in der Stadt...", begann Lucas, aber Meike sah ihn kopfschüttelnd an. „Da haben sich manche in etwas hineingesteigert. Ist doch alles wieder normal.

Anscheinend litt sie auch am allgemeinen Verdrängungssyndrom, das immer wieder nach übernatürlichen und dämonischen Ereignissen eintrat.
Der Verstand fand logische Erklärungen oder tat manches als Einbildung ab und rückte auf diese Weise das erlernte Weltbild wieder zurecht.

„Meike, bleib hier," bat Lucas, während Benny einen Arm um die Schulter des Mädchens legte und Lucas wieder einmal diesen thriumphierenden Blick zuwarf. „Sie kommt mit! Du kannst ja hierbleiben!"

Meike, Benny und Klausi verließen den Kellerraum. Lucas zögerte und holte dann sein Handy heraus. „Mist, Akku ist leer!"

Also gab es keine Möglichkeit, eine SMS an seinen Bruder zu schicken. Zwar gab es sicherlich einen Festnetzanschluss im Haus. Aber er hörte bereits, wie die Haustür zufiel. Die anderen hatten also schon das Haus verlassen.

Lucas griff nach seinem Rucksack, in dem sich außer einer noch nicht angefangenen Chipstüte, Benny hatte bereits den Inhalt einer Tüte in sich hineingestopft, auch sein Dolch befand.

Er zog seinen Rucksack an und folgte den anderen. Er hoffte, dass Klausis Opa den Stein tatsächlich nur aufgrund des eigenen Alters für böse hielt.


Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt