Noch später an diesem Abend betrat Jonas den Park und blieb schließlich vor der Statue von Gräfin Carolina stehen.
„Du bist also ein Dämon," sagte er, als er Schritte hinter sich hörte.
Er ahnte bereits, wer da kam und die Schritte klangen vertraut. „Lucas! Was hast du hier zu suchen?"
Jonas drehte sich um und packte seinen Bruder am Arm und zog ihn ein Stück von der Statue fort.
„Hab ich mir doch gedacht, dass du keine Lust hast, bei Britta und Julia zu bleiben," sagte er ein wenig missmutig. „Hältst du das Ganze hier für ein Spiel?"
„Halte ich nicht," verteidigte sich Lucas und zog seinen Dolch unter seiner Jacke hervor. „Hier, den hab ich mitgenommen! Hab ihn die ganze Zeit über unter der Jacke versteckt, die ich auf dem Arm trug.
„Das nächste Mal sollte ich dich vielleicht mal durchsuchen," antwortete Jonas. „Aber was willst du hier? Mir helfen?"
„Was denn sonst?", fragte Lucas und versetzte Jonas einen kleinen Stoß gegen den Arm. „Es wäre doch nicht das erste Mal. Und du bist auch nicht die ganze Zeit über allein!"
Jonas schüttelte den Kopf. „Du bist verrückt! Du hättest aus der Sache rausbleiben können! Jetzt, wo du mir hinterher geschlichen bist, hat dich die Statue auf dem Schirm. Es bringt nichts mehr, wenn du jetzt so tust, als wüsstest du von gar nichts."
Lucas wirkte für einen Augenblick besorgt. „Ich möchte dir aber helfen....glaubst du, ich mag es, wenn du hier allein herumläufst? Deswegen ist doch deine Beziehung mit Jessica kaputt gegangen, weil du immer alles allein machen wolltest! Und es ist doch wirklich nicht das erste Mal, dass ich es mit Dämonen zu tun bekomme!
„Ich weiß nicht so recht....unser Vater reißt mir den Kopf ab!", erwiderte Jonas, fügte aber hinzu: „Er müsste es nicht erfahren. Und du hältst dich aus dem Kampf raus, falls es dazu kommt! Dann verziehst du dich aus dem Park, verstanden?
Er wusste, dass Lucas sich wahrscheinlich nicht an diese Bedingungen halten würde, hoffte aber dennoch darauf. Genauso gut wusste er auch, dass es schwierig werden würde, Lucas aus dem Park zu vertreiben.
Er kannte seinen Bruder und die einzige Möglichkeit, ihn loszuwerden war die, ihn in den Kofferraum des Autos zu sperren.
„Komm schon, Jonas," bat Lucas nun. „Ich nehme die Sache ernst. Aber ich will dir helfen! Ich...fühle mich wie gesagt nun mal auch nicht wohl, wenn mein einziger Bruder gegen einen Dämon kämpft und es wäre wie gesagt ja wirklich nicht das erste Mal."
„Naja...," antwortete Jonas, aber Lucas unterbrach ihn. „Außerdem ist es bei Britta und Julia viel schlimmer! Die beiden reden die ganze Zeit über Anna-Lena. Über die Farbe ihrer Kacke, über ihr Essen und darüber, ob es schlimm ist mit bunten Stofftieren anstatt mit Holzspielzeug zu spielen. Ehrlich! Britta hat Julia einen richtigen Vortrag darüber gehalten. Das ist wirklich gruselig!"
Jonas musste gegen seinen Willen lachen. „Oje. Arme Julia! Vielleicht sollten wir zuerst mal zu ihr gehen und sie aus Brittas Gewalt befreien!"
Aber ihm kam ein anderer Gedanke. „Sag mal, wie intensiv hat sie denn zugehört? Interessiert sie das?"
Lucas zuckte die Achseln. „Es geht so. Ich glaube, sie hört nur zu, weil sie Brittas Freundin ist und weil sie Anna-Lena mag. Aber warum fragst du?"
„Nur so...," erwiderte Jonas. „Ist ja auch egal...."
Im Stillen hoffte Jonas, dass bei Julia im Augenblick noch kein Kinderwunsch aufkeimte. Er hatte nichts gegen Kinder, aber immerhin wusste er nicht so genau, ob mögliche Kinder nicht etwas dämonisches von ihm, dem Teildämon erben würden und wie sich dies bemerkbar machen würde. Was war mit der Schwangerschaft? Würde es gefährlicher für Julia werden als wenn sie ein rein menschliches Kind austrug? Er wusste, dass sich dieses Thema nicht für immer fernhalten ließ, war aber froh, dass es bislang noch nicht akut geworden war.
Aber eines Tages mussten er und Julia sich damit auseinandersetzen und entscheiden, ob sie das Risiko eines möglichen Babys mit geringen dämonischen Anteilen eingehen wollten. Vor allem Julia, die dabei ein mögliches körperliches Risiko einging musste eine Entscheidung treffen.
„Dann bleib halt hier," gab Jonas schließlich nach, nicht ohne nochmals darauf hinzuweisen, wie sich sein Bruder im Ernstfall verhalten sollte.
„Dann warten wir mal! Am besten setzten wir uns da drüben auf die Bank. Da können wir die Statue beobachten! Ach ja, sie hat schon mal einen Dämonenjäger getötet, sie ist also alles andere als ungefährlich!", warnte Jonas den Jüngeren.
Sie nahmen auf der Bank Platz, aber nichts geschah. Weder leuchteten die Augen noch bewegte sich die steinerne Figur.
Gegen ein Uhr Nachts joggte eine Frau durch den Park und schnell versteckten sich Jonas und Lucas hinter einem Busch. Schließlich wollten sie nicht als mögliche Zerstörer der Statue identifiziert werden.
Auch auf die Joggerin reagierte die Statue in keinster Weise.
„Die ist aber noch spät unterwegs!", stellte Lucas fest. „Und dann joggt sie allein durch einen Park! Glaubst du, mit der stimmt was nicht!"
„Wer weiß das schon? Sie sah jedenfalls normal aus. Aber das muss ja nichts heißen. Wir waren heute in einem Ort in der Eifel, Hasenbüchel. Dort sah auch alles sehr normal und friedlich aus. War es aber nicht wirklich!", antwortete Jonas nachdenklich.
„Was war denn da los?", fragte Lucas und Jonas berichtete seinem Bruder von den Ereignissen des Tages
„Und du glaubst, dass dort ein Dämonenjägerkollege unterwegs war und zuerst mit der Statue und dann mit dem Statuenbesitzer abgerechnet hat?", erkundigte sich dieser. „Das wäre irgendwie...ich weiß nicht....andererseits wäre es wahrscheinlich nicht das schlechteste für die Menschheit gewesen, wenn jemand zum Beispiel Engelmann schon vor ein paar Jahrhunderten....."
„Das stimmt irgendwie schon," murmelte Jonas. „Aber Julia nennt es Selbstjustiz. Da hat sie wiederum recht. Andererseits...ich weiß nicht. Es handelt sich hier um Dämonen und dergleichen. Das lässt sich nicht mit normalen Mördern und Verbrechern vergleichen. Ich glaube, da muss man sein Schwarz-Weiß-Denken ein wenig ablegen. Trotzdem..."
Er zuckte die Achseln. „Ich wüsste gerne, wer der Dämonenjäger ist! Vielleicht jemand aus dem Dorf oder der Umgebung. Oder jemand hat dafür bezahlt. So was gibt es ja auch. Stefan ist vielleicht nicht der einzige, der damit Geld verdient!"
„Auf jeden Fall gibt es mehr Leute, die über die Dämonen Bescheid wissen oder Jagd auf sie machen, als ich gedacht hätte! Aber die Welt ist groß! Wie viele Länder gibt es auf der Erde? Dämonen und Dämonenjäger wird es ja nicht nur in Deutschland geben! Wer weiß, vielleicht liefen die schon bei den alten Ägyptern oder bei den Neandertalern herum!"
Er überlegte kurz, ob er Lucas von seinem Ärger den er wegen seinem Auftritt bei Wanda Schnickses ehemaligen Haus hatte, erzählen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er wusste, dass er deswegen höchstwahrscheinlich nicht ungeschoren davon kommen würde, immerhin hatten die Hausbewohner ihn angezeigt.
Lucas war dabei weniger das Problem, aber es bestand immerhin das Risiko, dass Georg davon erfuhr und sein Vater hatte in der letzten Zeit genug um die Ohren gehabt und kürzlich hatte er seinem Sohn erzählt, dass er leider die Bluthochdruckprobleme seiner Mutter geerbt hatte und daher nun Tabletten einnehmen musste.
Zwar hatte Georg die ganze Sache heruntergespielt, aber Jonas wollte ihn und auch sich selber gerne vor zusätzlicher Aufregung bewahren.
Die Nacht verging quälend langsam, aber die Statue wurde nicht, wie erwartet, lebendig.
„Vielleicht sollten wir sie ein bisschen locken?", schlug Lucas schließlich vor. „Die Statue über der Kirche und die von Engelmann haben auf Dreckklumpen oder Lippenstift reagiert. Man könnte sie auch beleidigen."
„Wir können es versuchen, aber das muss nicht funktionieren. Und vielleicht spürt sie bei mir auch, dass ich ein Teildämon bin und reagiert darum nicht," gab Jonas zu bedenken.
„Dann versuche ich es eben und du wartest hier! Und wenn sie sich auf mich stürzen will, schleichst du dich aus dem Hinterhalt an," sagte Lucas, aber damit war sein Bruder nicht so wirklich einverstanden.
„Das ist gefährlich! Am Ende springt sie wirklich auf dich und du brichst dir alle Knochen...."
„Wird schon gutgehen," antwortete Lucas und erhob sich noch ehe Jonas reagieren konnte. „Wir versuchen es einfach!"
Jonas seufzte und machte sich bereit, seinem Bruder im Ernstfall zur Hilfe zu kommen. Ihm gefiel der Übereifer des Jüngeren nicht so sonderlich, andererseits konnte der einfache Plan eventuell wirklich funktionieren.
„Ich muss irgendwann mal mit ihm reden. Er ist ein wenig zu ehrgeizig, was das Dämonenjagen angeht," dachte Jonas, während Lucas sich bückte und ein paar Steine aufhob, ehe er vor die Statue trat.
Nun musste ihm nur noch etwas wirklich Beleidigendes einfallen. Er beschloss, es direkt am wundesten Punk der Statue von Gräfin Carolina zu versuchen.
„Na, du stellst also eine hässliche Frau drar, die von ihrem Kerl verlassen würde? Soll ich dir was sagen? An seiner Stelle hätte ich das noch viel früher gemacht."
Lucas warf den ersten Stein und traf den Kopf der Gräfin, aber es erfolgte keine Reaktion.
„Es gibt Leute, die sagen, dass du schon mal lebendig wirst! Aber das solltest du besser lassen! Mit dir wollte doch nie einer etwas zu tun haben, und der Mann, in den du verliebt warst schon gar nicht. Und was sag ich da überhaupt? Du warst in ihn verliebt, er aber nicht in dich!", sagte Lucas nun laut und warf den nächsten Stein, der die Statue an der Schulter traf.
Leider zeigte sie noch immer keinerlei Reaktion und machte überhaupt keine Anstalten, lebendig zu werden.
„Redest du nicht mit mir? Warst du früher auch schon so eine Zicke?", versuchte Lucas den Dämon zu locken, aber erneut waren seine Bemühungen vergeblich.
Ein paar Steinwürfe und ein paar Beleidigungen später gab er seine Versuche auf und kehrte zu Jonas zurück.
„Ich glaube, das wird nichts mehr!"
Dieser zuckte die Achseln. „Den Versuch war es wert, auch wenn du ein bisschen zu motiviert bist. Aber warten wir ab! Die Nacht dauert noch ein bisschen! Und wenn es diese Nacht nicht klappt, müssen wir es eben ein anderes Mal versuchen. Außerdem hab ich bei Dennis ein ungutes Gefühl, wegen seiner Krankheit. Die anderen Toten waren vorher auch alle plötzlich krank geworden...."
„Vielleicht taucht er ja auf und dann wird das Ding lebendig!", antwortete Lucas und fügte hinzu: „Armer Dennis. Mit Statuen, die ihn zu sich rufen, hat er es wirklich! Aber warum werden die Opfer erst mal krank? Die Statuen, die ich bisher kennen gelernt haben, haben die Leute immer sofort getötet. Sie waren doch ganz verrückt darauf, sich so schnell wie möglich die Seelen zu holen!"
„Die hier scheint irgendwie anders zu sein. Manche von ihnen haben eben ein paar Eigenheiten. Da können die Schöpfer ein paar Wünsche äußern und ein paar Extras einbauen," erwiderte Jonas nachdenklich und fügte seufzend hinzu: „Warten wir noch ein bisschen ab. Vielleicht tut sich ja noch was!"
Gegen halb fünf Uhr morgens schlichen sich Lucas und Jonas in Brittas Wohnzimmer. Julia lag dort, zusammengerollt auf dem Sofa, in tiefem Schlaf. Eine Wolldecke, in die sie sich zuvor eingekuschelt hatte, war zu Boden gefallen und Jonas bückte sich und hob sie auf.
Er deckte seine Frau zu, während sein Bruder in einen der beiden mitgebrachten Schlafsäcke, die Jonas stets für eventuelle Übernachtungen im Kofferraum mit sich führte, schlüpfte.
„Ich brauch jetzt noch ein paar Stunden Schlaf! Julia ist doch hoffentlich keine Frühaufsteherin, oder?", erkundigte er sich beunruhigt.
„Nein, Julia nicht. Hoffen wir, dass Anna-Lena auch noch ein Weilchen schläft," antwortete Jonas, ehe auch er in seinen Schlafsack kroch.
Nicht lange danach lagen der Dämonenjäger und sein Bruder in tiefem Schlaf, nicht ohne dass Jonas sich vor dem Einschlafen noch einmal über die ergebnislose Nachtwache geärgert hätte. Flüchtig fragte er sich noch, ob sie noch ein wenig länger hätten warten sollen.
Aber in den ersten Wohnungen und Reihenhäusern wurden, als sie den Park verließen, bereits die Lichter eingeschaltet und zumindest ein Nachbar hatte sich schon mit seinem Auto auf den Weg zur Arbeit gemacht.
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Dämonische Statuen - Rache
Mystery / ThrillerDiese Geschichte bringt die verschiedenen Handlungsstränge aus Dämonische Statuen - Zwei Feinde und Dämonische Statuen - Jessicas Geschichte zusammen. Vier der Höllendämonen wurden bereits besiegt, aber die Dämonenjäger werden nach wie vor gefordert...