Kapitel 33

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 Lisa schloss, nachdem sie gemeinsam mit ihren Eltern gefrühstückt hatte, die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich.

Das Joggen hatte ihr tatsächlich gut getan. Es war nicht die schlechteste Möglichkeit, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können und die Dämonen der Nacht ein wenig abzuschütteln. Trotzdem war es gut, dass ihre Eltern nichts von ihrem morgendlichen Ausflug bemerkt hatten.

Sie hatte behauptet, in ihrem Zimmer ein wenig Gymnastik gemacht zu haben. Irgendwie musste sie schließlich erklären, dass sie vollkommen außer Puste war und sich gierig über die Brötchen hergemacht hatte.

„Der Appetit kommt zurück," hatte sich ihre Mutter gefreut und dann vorgeschlagen, im Winter mal wieder in die Berge, zum Snowboarden und Skifahren zu gehen. „Das hast du letztes Jahr nicht gemacht, aus Rücksicht.....aber egal, ich hätte Lust dazu!"

„Ich weiß nicht so recht...," murmelte Lisa, stimmte aber schließlich zu. „Warum nicht? Aber nur, wenn du nicht versuchst, mich mit jedem Single-Mann, der nicht bei drei auf dem nächsten Schneehügel sitzt, zu verkuppeln!"
„Versprochen!", antwortete die Mutter. „Ich werde mit dir nur ganz normale Mutter-Tochter-Gespräche führen. Das Thema Jungs und Männer wird vollkommen ausgeklammert. Statt dessen machen wir uns über die Anfänger lustig, die das erste Mal auf Skiern herumhüpfen."

Nun saß Lisa auf ihrem Bett und schaute auf ihr Handy. Toni hatte ihr mittlerweile geantwortet. „Schön, dass du joggst! Mache ich auch gerne. Aber geh nicht mehr im Dunkeln auf Friedhöfe. Laufen zu viele Buh-Männer rum!"

„Er ist also auch aufgestanden," dachte Lisa und legte ihr Handy auf den Nachttisch.

Lisa schaltete den Fernseher, der auf ihrem Schreibtisch stand, ein. Schließlich blieb sie bei einer Dokumentation über Delfin hängen. Sie mochte diese Tiere, in ihrer Kindheit hatten über ihrem Bett viele Poster gehangen, die fröhlich über das Wasser hüpfende Meeressäuger zeigten.

In ihrem Zimmer befanden sich auch einige Stoffdelfine, die sie seit ihrer Kindheit gesammelt und von denen sie sich bislang auch in ihrem hohen biblischen Alter nicht hatte trennen können,.

Die letzten beiden Delfine, ein schwarzer und ein weißer, die die Namen Delfi und Delfo trugen, waren auf einem Herzkissen angenäht worden und Gerrit hatte sie ihr am letzten Valentinstag geschenkt.
Dieses Delfinkissen waren im örtlichen Supermarkt verkauft worden und sie hatten Lisa sehr gut gefallen.

Also hatte Gerrit am nächsten Valentinstag mit einem der Kissen vor der Tür gestanden und sie hatte sich wirklich darüber gefreut.

„Er hat sich nie an meinen Stofftieren gestört, auch wenn er mit so was wahrscheinlich nicht sonderlich viel anfangen konnte. In seinem früheren Leben gab es so etwas nicht, bei Engelmann schon gar nicht und ich glaube, meine Tiere waren die einzigen Kuschelwesen, mit denen er es jemals zu tun bekommen hat," dachte sie und streichelte über Delfis und Delfos Kopf.

Bald darauf ging eine weitere SMS ein. „Komme an Allerheiligen mit Sarah für ein verlängertes Wochenende zu meinem Opa nach Raichelbach. Hoffe, es gibt dort Halloweenpartys!"

„Dann lerne ich Tonis Sarah mal kennen," dachte Lisa und freute sich über den baldigen Besuch, auch wenn sie ahnte, dass sich Tonis Hoffnung auf eine Halloweenparty wahrscheinlich nicht erfüllen würde, denn das Fest hatte bislang in Raichelbach nicht wirklich Fuß fassen können.

„Tja, wir hatten hier jahrelang unseren Franzl. Da machen sich die Leute nicht so viel aus Geistern," dachte Lisa, während im Fernsehen die Geburt eines jungen Delfins gezeigt wurde.

„Wie süß," dachte sie, als das Kleine neben seiner Mutter an die Oberfläche schwamm.





Am nächsten Tag trat Lucas seinen einwöchigen Ferienjob im Aktenkeller des Allgemeinmediziners Dr. Bergmann an.
„Schön, dass Sie auch schon kommen, Herr Frinken," sagte der Arzt zur Begrüßung in barschem Tonfall. „Wenn wir hier um Acht Uhr anfangen erwarte ich, dass sie spätestens um viertel vor Acht hier sind, verstanden?"

„Ja, Herr Bergmann," antwortete Lucas so höflich wie möglich, während der Arzt sich an seine drei Assistentinnen wandte.
„Sie, Meike, zeigen Sie Herrn Frinken bitte den Aktenkeller und die Akten, die er in den Schredder stecken soll! Aber er soll nicht so viel darin lesen. Die Dinger sind zwar alt und die meisten Patienten leben inzwischen nicht mehr, aber es geht ihn trotzdem nichts an!"

„Der ist ja wirklich schrecklich," flüsterte Lucas Meike zu, während sie gemeinsam in den Aktenkeller gingen.

„Ja, schrecklich," antwortete sie und griff ein wenig ängstlich nach der Hand ihres Freundes. „Ich finde es hier unten immer ein bisschen unheimlich."

Sie blieb am Ende der Treppe vor zwei Türen stehen,. „Hier, im rechten Raum sind die Akten. Ich zeige dir gleich, welche du vernichten sollst. Nebenan darf niemand rein, dann rastet der Chef aus. Keine Ahnung, was er da aufbewahrt."

Sie kicherte nervös. „Vielleicht ist da ja ein Drachen eingesperrt, an den er seine Opfer verfüttert. Oder er braut da irgendwelche Zaubertränke!"

„Oder es gibt eine Dämonenstatue," dachte Lucas, sagte dies aber nicht laut. Wahrscheinlich lagen dort nur weitere Unterlagen, die nicht für jeden einsichtlich sein sollten. Vielleicht wurden dort ja neuere Akten verwahrt, die zwar nicht mehr in Gebrauch waren, die aber auch nicht von jedem gelesen werden sollten?

Eventuell stand dort auch nur Gerümpel herum.

„Da kann sowieso niemand rein," sagte Meike jetzt. „Keine Ahnung, wo der Schlüssel ist."

Sie öffnete die Tür zum Aktenraum und Lucas wäre am liebsten erschrocken zurück gewichen.

Der Raum war ungefähr zwanzig Quadratmeter groß und sämtliche Wände waren mit Regalen vollgestellt, aus denen ihm Tonnen von Unterlagen, die sich in Pappdeckeln befanden, entgegenquollen. Außerdem kam ihm ein modriger Geruch entgegen, denn der Raum besaß leider kein Fenster.

„Das soll alles in den Schredder da vorne gesteckt werden! Eventuelle Röntgenbilder sollst du da drüben in den großen Karton werfen. Und so wenig wie möglich lesen....," erklärte Meike ihrem Freund das Aufgabengebiet.

„Gut, mache ich," sagte Lucas und zog Meike an sich heran. „Aber zuerst will ich noch einen richtigen Kuss, als Motivation. Sonst fange ich gar nicht erst an..."

Sie lachte und er bekam den gewünschten Kuss und zu seiner Freude blieb es nicht bei einem. Eng aneinander geschmiegt standen sie da, als die unfreundliche Stimme des Chefs herunterhallte.
„Meike! Beeilen Sie sich ein bisschen! Wie lange soll ich noch auf meinen Kaffee warten? So dumm, dass er das da unten nicht kapiert, kann der junge Mann doch gar nicht sein!"

„Was für ein Scheusal! Der ist fast so schlimm wie unser ehemaliger Rektor Engelmann," flüsterte Meike und löste sich aus Lucas Umarmung. „Ich muss jetzt wieder an die Arbeit gehen! Sonst schmeißt der mich noch raus!"

Sie verließ den Raum und Lucas blieb allein im Aktenkeller zurück.

Er griff nach dem ersten Aktenstapel und legte ihn neben den Schredder. „Dann mal los," sagte er sich.
„Fangen wir mal mit den Akten hier vorne an. Immerhin bin ich hier unten eine Weile beschäftigt!"  


Dämonische Statuen - RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt