Kapitel 92

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Die Tablette, die das Fieber senken sollte, wirkte tatsächlich rasch und ließ Shota prompt einschlafen. Vermutlich lag es zusätzlich an der Überanstrengung, dass der Schlaf ihn so schnell übermannte. Für ein paar Minuten wurde es still im Zimmer, während Toshinori den Schlafenden besorgt ansah, ehe er erneut eine starre Miene aufsetzte und sich an Seki wandte. „Du hast deinem Neffen gesagt, dass er eine Enttäuschung ist?" Er musste sich beherrschen, seine Wut darüber zu verbergen und nicht in seiner Stimme mitschwingen zu lassen. Es war ohnehin bereits genug, wenn Sakushi sich soeben von ihrer Wut hatte leiten lassen. Der Blondschopf wollte sich besser im Griff haben. Schon einmal hatte er seinem Ärger freien Lauf gelassen und fast Sensoji windelweich geprügelt, wenn seine Kollegen nicht sofort zur Stelle gewesen wären.

„Wie gesagt, ich war wütend und habe überreagiert", erklärte sie und setzte eine entschuldigende Miene auf. Sie konnte doch nicht ahnen, dass ihre Worte einen solchen Effekt auf Aizawa haben würden. Erst seit kurzem wusste sie, dass ihre Familie doch aus mehr als ihr und ihrer Mutter bestand. Sie kannte weder Shota, noch Hitoshi, lange genug, um die beiden richtig einschätzen zu können und verglich sie daher viel zu oft mit ihren beiden Geschwistern. Ihre bisherigen Annahmen und Meinungen hatten sich jedoch bereits zum Teil als falsch herausgestellt, weswegen sie quasi bei null anfangen musste.

Indes musste Toshinori tief nach Luft holen, um ruhig zu bleiben. Wie konnte man einem unsicheren Jungen, der ohnehin ständig mit sich haderte, nur so etwas an den Kopf werfen? Diese Worte würden sich nun mit Sicherheit in Shotas Kopf einbrennen und alle Bemühung zunichtemachen, ihm etwas mehr Selbstvertrauen zu schenken. Im Grunde genommen war Seki im Augenblick nicht besser als Aizawa Senior. „Hast du sonst noch irgendetwas gesagt zu Shota? Oder zu Hitoshi oder Hizashi?" Es war dem Friedenssymbol schließlich ebenso nicht entgangen, das Yamada stiller war als gewöhnlich und auch seltsam unsicher wirkte, wenn er sprechen wollte. Als ob er Angst davor hätte, erneut angefahren zu werden oder bestraft zu werden. Dabei hatte Sakushi doch anfangs den Eindruck erweckt, mit Kindern gut zurecht zu kommen, doch so konnte man sich täuschen.

Nachdenklich legte Sakushi ihre Stirn in Falten, ehe ihr selbst bewusst wurde, dass sie nicht nur dem jungen Undergroundhero gegenüber gemein und unfair gewesen war. Sofort wandte sie sich an Hizashi, der erschrocken zusammenzuckte. „Es tut mir leid, dass ich dich nicht ausreden lassen wollte und das ich gesagt habe, dass du den Mund halten sollst. Es war unangebracht von mir und hätte weiteren Ärger erspart, wenn ich einfach nur zugehört hätte", gab sie ehrlich zu und verneigte sich ein wenig vor dem Brillenträger, der zunächst erstaunt wirkte, ehe er verlegen dreinsah und abwinkte.

Durch diese Entschuldigung lockerten sich auch Toshinoris Gesichtszüge etwas. „Ich werde schon einmal die Suppe aufsetzen. Hizashi du solltest bei ihm bleiben, falls er aufwacht und wieder aufstehen möchte", teilte der ältere Blondschopf den jüngeren ein, der sofort nickte. Auch wenn die Medizin wohl dafür sorgen würde, dass Shota noch ein Weilchen schlief, war es besser auf Nummer sicher zu gehen. Schließlich war der Dunkelhaarige bekannt dafür, selbst unter großen Schmerzen zur Arbeit zu erscheinen und seine jüngere Version war um keinen Deut besser.

„Aye Sir!" Gehorsam salutierte der Junge. Hizashi war froh darüber, dass Yagi aufgetaucht war und die Situation nicht noch eskaliert war. Nicht auszumalen was passiert wäre, wenn Shota sich tatsächlich nach draußen geschleppt hätte, nur weil Seki nicht zuhören wollte. Aber der Lehrerin hätte doch auch irgendwann auffallen müssen, dass Shota krank war. Bei diesem Gedanken fiel dem Blonden etwas anderes auf. „Woher wussten Sie eigentlich, dass Sho krank ist?", fragte der Junge noch neugierig nach, als ihm bewusst wurde, dass der Sensei einfach aus dem Nichts aufgetaucht war, um die Situation zu retten.

Belustigt atmete Toshinori aus und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Izuku hat mir geschrieben, dass Shota sich übergeben musste und ziemlich krank aussah gestern. Deswegen wollte ich nachsehen, wie es ihm geht und ob er sich auch ausruht." Nachdem der junge Midoriya ihm auch davon berichtet hatte, dass Shota verschwitzt aussah, hatte Yagi sofort damit gerechnet, dass er Fieber haben musste. Zwar war es reine Vermutung gewesen, doch diese hatte sich am Ende doch als Wahr bewiesen. Ein bisschen gruselte es ihn dabei selbst, wie gut er diese Lage hatte einschätzen können. Schließlich war er bis vor ein paar Monaten ein kompletter Einzelgänger gewesen.

„Hat Midoriya ihnen auch davon erzählt, dass Sho einen Albtraum hatte, aus dem er aufgewacht ist, und danach dreinsah, als ob der Tod ihn verfolgen würde? Ich dachte ja zuerst, dass er sich deswegen die Seele aus dem Leib gekotzt hat. Aber er will nicht darüber sprechen." Auch wenn es die beiden Erwachsenen eigentlich nichts anging, so war Hizashi sich sicher, dass wenn jemand Shota zum Sprechen bringen konnte, dann war es gewiss Yagi. Sein Freund vertraute dem Erwachsenen und vielleicht bestand ja die Möglichkeit, dass er sich ihm gegenüber öffnete. Dem jungen Voicehero erschien es wichtig, dass Aizawa darüber sprach. Bisher hatten sie das immer getan, wenn er einen Albtraum gehabt hatte, aber diesmal war Shota einfach verschlossen, und das ließ den Jungen besorgt werden.

Glücklicherweise wusste Toshinori auch ohne eine direkte Bitte, worauf der junge Blondschopf hinaus wollte. Vielleicht würde Shota darüber sprechen, wenn er etwas geschlafen hatte und sich nicht mehr aufgewühlt fühlte. „Er braucht bestimmt etwas Zeit", versicherte Yagi dem Jungen und lächelte, „er kann sich glücklich schätzen, dass er jemanden hat, der sich um ihn so große Sorgen macht." Eine seiner großen Hände legte er auf Yamadas Schulter.

Hizashis Wangen färbten sich leicht rot, als er das hörte. Es war albern dafür ein Lob zu bekommen, nur weil er versuchte ein guter Freund zu sein. Er würde alles für Shota tun und er war sich sicher, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Immerhin hatte Aizawa bereits öfter bewiesen, dass er für Yamada da war und nicht zuließ, dass ihn jemand mies behandelte. Der Blondschopf wünschte nur, dass er zuvor mutiger gewesen wäre, um Seki zu erklären, dass Shota krank war. Dann hätte sie niemals so etwas Furchtbares zu ihm sagen können.

Die Violetthaarige stand indes neben den beiden Blondschöpfen und räusperte sich leise. Es war ihr unangenehm für Probleme gesorgt zu haben. Mittlerweile erschien es ihr albern, so überreagiert zu haben. „Ich werde dir bei der Suppe helfen", bot sie Yagi an. Es war ein Friedensangebot, um den Mann etwas zu besänftigen, der eindeutig sauer auf sie war. Dabei konnte sie gar nicht verstehen, wieso der ehemalige Profiheld so eine starke Verbindung zu ihrem Neffen hatte. All Might galt doch Jahrzehnte lang als Einzelkämpfer. Wieso sollte er sich nun so um ein Kind kümmern? Diese Frage blieb allerdings unausgesprochen.

Toshinori nickte nur, ehe er den Raum verließ. Sakushi seufzte kurz und fröstelte leicht, ehe sie ihm folgte. Der Blick, den er ihr im Vorbeigehen zugeworfen hatte, schien eiskalt zu sein. Irgendetwas sagte mir, dass die Freundschaft, die die beiden sich in den letzten Tagen langsam und mühevoll aufgebaut hatten, ziemlich schnell zu Bruch gegangen war. Dabei war es keine Absicht gewesen, Shota zu Unrecht für etwas zu beschuldigen. Es war nur Naheliegend gewesen, nachdem er sich schon einmal gegen Anordnungen wiedersetzt hatte.

„Denk nicht zu viel darüber nach, was du getan hast. Konzentrier dich lieber darauf, es später wieder gut zu machen", erklang plötzlich Yagis Stimme vor ihr. Der Blondschopf hatte nicht angehalten, sondern ging weiter voraus. Seine Schritte waren viel größer als die von Seki, weswegen sie etwas zurücklag. Dennoch schien er zu spüren, dass sie im Gedanken versunken war. Erst als am Aufzug anhielt, wandte er sich ihr zu. „Dieser Gesichtsausdruck steht dir nicht", fügte er an, während er leicht schief lächelte und sich schnell abwandte, als sich die Tür zum Fahrstuhl öffnete.

Perplex über diese Worte starrte Sakushi den Hinterkopf des großen Blondschopfs an, während ihre Wangen ein wenig glühten. Glücklicherweise war Yagi ebenso verlegen, und wandte seinen Blick nicht von einem unscheinbaren Fleck an der Fahrstuhltür ab, während sie nach unten fuhren.


DeAged TroublesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt