60. Ein sauberer Kerl

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Harry

Der Gedanke an seine Mutter ließ Harry auch in den nächsten Tagen nicht los.

Eigentlich hatte er in den vergangenen Jahren geglaubt, er hatte sich mit der Situation zwischen sich und seinen Eltern abgefunden. Er hatte geglaubt, er habe akzeptiert, dass er praktisch keine Eltern mehr hatte und allein durch die Welt gehen musste.

Dass seine Mutter nun, nachdem er glaubte, sein Leben endlich im Griff zu haben, den Kontakt zu ihm suchte, verwirrte ihn nicht nur, es brachte ihn regelrecht um den Verstand.

Denn in Wahrheit, wie es ihm jetzt klar wurde, hatte er alles andere als damit abgeschlossen und die Sache beschäftigte ihn noch immer. Er hatte die Beziehung zu seinen Eltern lediglich verdrängt und mit Drogen den Schmerz so weit betäubt, dass er ihm nicht weiter aufgefallen war.

Er spürte den Stich in seinem Herzen, wenn er an sie dachte, und leider spürte er auch diesen Funken Hoffnung, dass alles sich doch noch zum Guten wenden würde, obwohl er ganz genau wusste, dass das völliger Quatsch war. Zwischen ihnen war viel zu viel passiert, und Harry wusste ganz genau, dass seine Eltern niemals aufhören würden, zu trinken.

Er verfluchte diesen kleinen Hoffnungsschimmer und hoffte, er würde sich von selbst wieder verflüchtigen.

Nur leider kam es nicht so.

Und so kam es, dass Harry sich knapp eine Woche nach ihrer Nachricht mit seiner Mutter für ein Gespräch traf.

Er hatte Louis gebeten, mit ihm zu kommen, weil er ganz genau wusste, dass er allein in dieser Situation vollkommen verloren war und sich niemals würde zurechtfinden können.

Er hatte seit mehreren Jahren nicht mehr mit seinen Eltern gesprochen, und eigentlich hatte er auch geglaubt, dass das für immer so bleiben würde.

Zitternd ließ er sich also mit Louis in dem Café nieder, in dem sie sich verabredet hatten.

Sie waren extra etwas früher gekommen, damit Harry sich an die Situation gewöhnen und sich von Louis etwas beruhigen lassen konnte. Sein Herz schlug ihm nämlich bis zum Hals, und am liebsten hätte er sich einen Schuss Heroin durch die Venen gejagt, um die Angst zu lösen und wieder etwas runterzukommen.

Aber diese Zeiten waren vorbei, und so musste er sich andere Wege suchen, mit seinen Ängsten und Schmerzen zurechtzukommen.

Er spürte Louis' Hand auf seinem Oberschenkel, der ihn lächelnd musterte, und doch sah Harry die Zweifel in seinem Gesicht.

Er sah, dass auch Louis sich nicht sicher war, ob sie das Richtige taten und ob das hier eine gute Idee war.

Allerdings versuchte er, stark zu sein und sich Harry zuliebe seine eigene Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, denn wenn er eines wusste, dann dass ihn das noch mehr ängstigen würde.


Als Harry's Mutter schließlich das kleine Café betrat, zuckte Harry zusammen, als hätte man ihn geohrfeigt.

Er suchte den Raum nach seinem Vater ab, der allerdings nirgends zu sehen war.

Anne sah mitgenommen aus.

Louis fragte sich, ob diese Frau überhaupt geschlafen hatte. Wenn ja, dann wohl sehr schlecht.

Unter ihren Augen fanden sich dunkle Schatten, und Louis fragte sich, ob sie schon immer so ausgesehen hatte.

Als Anne sich an ihrem Tisch niederließ, war Harry überrascht.

Normalerweise konnte man ihre Fahne aus drei Kilometern Entfernung riechen. Doch heute?

Heute roch er nichts, nicht den geringsten Hinweis auf Bier, Schnaps, Sekt oder sonstige Getränke.

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt