Harry
Einige Wochen später hatte er seine Arbeitsstelle als Krankenpfleger angetreten und er gab wirklich sein Bestes.
Es war nicht einfach für ihn, zumal seine Vorgesetzten seine Vorgeschichte kannten und ihn deshalb streng im Auge behielten. Aber sie gaben ihm eine Chance, und das war das Wichtigste, zumindest für den Moment.
Und er war clean.
Seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte er kein Heroin mehr angefasst, er ging regelmäßig zur Psychotherapie und er zeigte sich bereit, an seinen Problemen zu arbeiten.
Seine Beziehung mit Louis hatte sich stark verbessert und lief besser als je zuvor.
Sie schätzten sich gegenseitig wert und wussten, was der jeweils andere leistete.
Sie unternahmen viel zusammen, sie gingen essen und verbrachten die Wochenenden zusammen auf dem Sofa.
Manchmal machten sie Ausflüge in Schwimmbäder oder Museen, und sie genossen jede Minute miteinander.
Sie stritten selten, und falls es doch einmal vorkam versöhnten sie sich relativ zügig wieder. Meistens ging es dabei nur um Kleinigkeiten, die keine weitere Bedeutung hatten.
Sie schliefen miteinander, und sie waren einander so vertraut wie nie zuvor.
Sie waren glücklich.
Und das waren sie wirklich.
An einem Freitagnachmittag im Sommer hatte Harry gerade seinen Dienst beendet, als er das Treppenhaus betrat und sein Telefon aus der Hosentasche zog.
Louis war bereits zu Hause und würde sich schon einmal um das Essen kümmern, damit sie ihren geplanten Filmeabend heute frühzeitig starten konnten.
Ein Lächeln schlich sich auf Harry's Gesicht und er tippte auf das Antwortfeld.
Gerade als er um die Ecke bog wollte seine Nachricht abschicken, übersah, dass seine Schnürsenkel offen waren und stolperte.
Er konnte gar nicht schnell genug reagieren, ehe er sich versah flog er in hohem Bogen die Treppe nach unten.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten und den Aufprall irgendwie abzufedern, aber es war vergebens.
Mit einem dumpfen Knall landete er am Fuß der Treppe, schlitterte über den Boden und stieß sich den Kopf an der gegenüberliegenden Wand.
Ein schmerzerfülter Aufschrei drängte sich aus seiner Brust, sein Kopf begann zu dröhnen und ein scharfer Schmerz durchzuckte seinen Oberschenkel.
„Verdammte Scheiße", fluchte er und versuchte, sich wieder aufzurichten.
Augenblicklich fuhr ein so starker Schmerz in sein Bein, dass er einen weiteren Aufschrei unterdrücken musste.
Trotz allem hatte Jack, sein Vorgesetzter, den Krach im Treppenhaus gehört und eilte ihm sofort zur Hilfe. „Harry?"
Er stöhnte und bemerkte mit Sorge, dass sein Bein in unnatürlichem Winkel zur Seite ragte.
Jack beugte sich neben seinen Kollegen und sah ihn besorgt an. „Was machst du denn für Sachen?"
Harry deutete nach oben und verzog vor Schmerzen das Gesicht. „Ich bin die Treppe runtergefallen."
„Das sehe ich", murmelte Jack und musterte Harry's Bein. „Kannst du aufstehen?"
„Ich weiß es nicht...", antwortete Harry und ergriff die Hand, die Jack ihm reichte.
Bereits nach dem Bruchteil einer Sekunde verzog er das Gesicht und schüttelte den Kopf. Ein seltsam knirschendes Geräusch war zu hören.
„Oh mann", stöhnte Jack, „Das sieht gar nicht gut aus. Ich rufe den Assistenzarzt."
Harry verdrehte die Augen und lehnte sich vorsichtig gegen die Wand hinter ihm. Was für eine einzige Scheiße.
Nachdem der Assistenzarzt ihn einen Moment lang in Augenschein genommen hatte, kratzte er sich nachdenklich am Hinterkopf. „Sieht ganz danach aus, als hättest du dir das Bein gebrochen", überlegte er und sah ihn mitleidig an. „Nicht weiter tragisch, aber sehr schmerzhaft."
„Schön", kommentierte Harry und fragte sich im selben Moment, was er eigentlich verbrochen hatte, um so viel Pech im Leben zu haben.
Und er lag in der Tat richtig, denn sein Bein begann auf beinahe folternde Art und Weise zu schmerzen.
Innerhalb weniger Minuten kamen drei Sanitäter die Treppe hinaufgerannt, die sich die Sache genauer ansahen.
„Das muss auf jeden Fall geröntgt werden", wies der Arzt an und griff nach seinem Telefon, um in der Abteilung Bescheid zu geben. „Alice, wir bringen wir gleich einen jungen Mann, Verdacht auf Oberschenkelfraktur..."
Harry beobachtete, die einer der Sanitäter den Ärmel seiner Weste nach hinten krempelte.
Unangenehm berührt presste er die Lippen zusammen und wich seinem Blick aus, weil sie über und über mit vernarbten Einstichstellen aus jahrelangem Heroinkonsum rührten.
Offensichtlich für jeden, der hier im Treppenhaus neben ihm stand.
Der Sanitäter gab vor, sie nicht gesehen zu haben, um Harry nicht verlegen zu machen und kommentierte das Ganze nicht weiter.
„Ich gebe dir jetzt ein Schmerzmittel", sagte er, während er Harry einen Zugang am Handrücken legte. „Sobald das wirkt, können wir dich nach unten zum Röntgen bringen."
Harry nickte und erwiderte das Lächeln des jungen Mannes.
Am liebsten hätte er laut losgeschrien und jedem Menschen um ihm herum erzählt, was für eine beschissene Pechsträhne er hatte.
Aber auch das würde nichts ändern.
Er hielt also die Klappe und hoffte, dass das Schmerzmittel bald wirken würde.
Der zweite Sanitäter pfiff verblüfft durch die Zähne. „Das müsste eigentlich längst wirken", sagte er und wechselte einen fragenden Blick mit seinem Kollegen. „Tut dir das wirklich immer noch weh?"
Harry wäre am liebsten im Boden versunken. „Ja", antwortete er und erinnerte sich daran, dass Heroin im Grunde genommen nichts anderes war als ein Opioid, zu denen auch viele stärkere Schmerzmittel zählten.
Er hatte trotz mehrmonatiger Abstinenz noch immer eine hohe Toleranz und hatte deshalb noch immer Schmerzen, obwohl andere durch diese Dosis vermutlich schon etwas berauscht gewesen wären.
Ein bisschen berauscht fühlte er sich allerdings trotzdem, als das Schmerzmittel schließlich anfing, zu wirken.
Er grinste, und gleichzeitig schämte er sich für den Gedanken, dieses Gefühl so unbeschreiblich vermisst zu haben.
Eine Welle der Wärme durchflutete seinen Körper und er entspannte seine Muskeln. Es fiel ihm schwerer, seine Augen offen zu halten.
„Wir werden dich jetzt auf eine Trage heben", erklärte einer der Sanitäter. „Wir müssen dich nach unten zum Röntgen bringen."
Harry nickte und war erstaunt darüber, dass er zwar nicht schmerzfrei, aber doch merklich entlastet war. Es waren nur noch leichte Schmerzen.
Und während man ihn für eine Röntgenaufnahme nach unten in den Keller des Krankenhauses brachte, dachte er bei sich, dass es doch ein wahnsinnig schönes Gefühl war, so entspannt zu sein.
*
„Ihr Bein ist gebrochen", sagte der Arzt schließlich zu Harry, nachdem er sich mit ihm die Aufnahmen angesehen hatte. „Aber Gott sei Dank nicht sonderlich kompliziert."
Harry seufzte. Wenigstens etwas. „Was bedeutet das?"
Der Arzt lächelte seinen Patienten mitfühlend an. „Wir werden das Bein nicht operieren müssen", erklärte er. „Wir werden wir eine Schiene anlegen und das Bein auf diese Weise abheilen lassen."
„Wie lange wird das ungefähr dauern?"
„Etwa sechs Wochen", gab der Arzt zur Antwort.
Harry atmete entnervt aus. „Kann ich in dieser Zeit arbeiten gehen?"
„Das glaube ich nicht. Sie dürfen das Bein nicht belasten und werden dafür Krücken bekommen."
Seufzend wich Harry dem Blick des Mediziners aus. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Er hatte erst vor drei Wochen angefangen, hier zu arbeiten.
Der Mediziner legte ihm mitfühlend eine Hand auf das Knie des gesunden Beins. „Hast du jemanden, der dich abholt, Harry?"
Der junge Krankenpfleger nickte und zog sein Telefon aus der Tasche.
Vom Fenster seines Krankenzimmers aus konnte er den regen Verkehr Londons beobachten und erinnerte sich daran, dass sein letzter Besuch in diesem Krankenhaus noch gar nicht so lange her war.
„Das tut so verdammt weh", klagte Harry, als die Schmerzen wieder zurückkamen.
„Ich weiß", antwortete der Arzt und lächelte. „Ich werde dir ein starkes Schmerzmittel geben, damit du das nicht aushalten musst. Ich bin gleich wieder bei dir, solange kannst du telefonieren."
Harry seufzte und beobachtete den Mediziner dabei, wie er sein Krankenzimmer verließ.
Was für eine einzige Scheiße.
Er zog das Telefon aus seiner Hosentasche und wählte Louis' Nummer. Dieser meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln. „Harry?", fragte er in den Hörer, „Wo bleibst du denn?"
Der Jüngere seufzte. „Kannst du mich aus dem Krankenhaus abholen?", wollte er von seinem Freund wissen. „Ich hab mir das Bein gebrochen."
Louis spürte, wie er im ersten Moment erschrak. „Das Bein gebrochen?", wiederholte er irritiert. „Wie hast du das denn geschafft?"
„Ich bin die Treppe runtergefallen", erklärte Harry und ließ seinen Kopf auf sein Kissen fallen.
Louis konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. „Du Bruchpilot", kommentierte er und suchte die Kommode nach seinem Autoschlüssel ab. „Wann soll ich dich denn abholen?"______________
Hallo meine Lieben!
Na, war noch jemand von euch am Samstag auf Harry's Konzert in Wien? :)Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und ihr lasst fleißig Sternchen da - würde mich auf jeden Fall sehr freuen :)
Ansonsten wünsche ich euch eine schöne Woche!
All the love,
Helena xx
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Sempiternal (Larry Stylinson)
Hayran Kurgu»Sie erleben den Himmel. Sie erleben die Hölle. Sie sind noch Kinder, und haben ihre Zukunft schon verspielt.« Listen, Pläne, Termine - Louis Tomlinson hat alles im Griff. Das gilt zumindest für sein Berufsleben - er hat gute Aussichten auf eine Bef...