Harry
Er schluckte seine Tränen hinunter, bemühte sich um einen gefassten Eindruck; er hatte keine weißen Listen, die Polizei kannte seine Einträge im Strafregister. Der wohl gröbste Schnitzer in seiner Drogenkarriere war das Führen eines Fahrzeuges unter Heroineinfluss gewesen - natürlich hatte man ihm seinen Führerschein sofort entzogen, nachdem man nach einem positiven Drogentest sein gesamtes Spritzbesteck unter dem Fahrersitz gefunden hatte.
Er reichte den Beamten die Hand, stellte sich ihnen vor und ließ sich ohne Widersprüche durchsuchen, während der Notarzt Tony's Tod feststellte.
„Haben Sie ihn gefunden?", wollte eine Polizistin mittleren Alters von ihm wissen. Er erkannte sie wieder - sie hatte damals seinen Fall bearbeitet und ihm einen Platz im Wohnheim verschaffen.
Harry seufzte. „Mehr oder weniger", gab er zur Antwort, „Ich wurde angerufen."
„Von wem?"
Er fühlte sich unter Druck gesetzt; in diesem Moment konnte er gar nicht richtig handeln. Würde er ihnen sagen, dass Richie ihn kontaktiert hatte, hätte dieser mit Sicherheit ein Gerichtsverfahren am Hals. Zum einen wegen Drogenbesitz, zum anderen wegen unterlassener Hilfeleistung. Erzählte er ihnen allerdings, dass Tony selbst ihn angerufen hatte - und sie würden seine Anruflisten überprüfen -, wäre er erledigt. Dann konnte er sowohl seine berufliche Zukunft, als auch seinen Führerschein vergessen.
Also zuckte er beide Schultern. Nun flossen doch ein paar Tränen. „Ich weiß es nicht", gab er zur Antwort, „Tony muss einem beliebigen Kunden meine Nummer diktiert haben..."
Er sah es in ihren Augen. Sie wusste genau, dass er log. Sie sagte allerdings nichts und steckte ihr Notizbuch stattdessen zurück in ihre Brusttasche. „In Ordnung, Harry", seufzte sie, in einem Tonfall, der ihm gar nicht gefiel. „Sie müssen die Frage, die ich Ihnen jetzt stellen werde, zu hundert Prozent ehrlich beantworten - haben Sie mich verstanden?"
Er nickte.
„Haben Sie noch mit Drogen zu tun?"
Eifrig schüttelte er seinen Kopf und spürte, dass dieses Gespräch ihn überforderte. „Nein", gab er zurück. „Ich habe seit einem Jahr keine Droge mehr angerührt."
„Sie hätten also nichts gegen einen Bluttest einzuwenden?"
Genau wie er es vermutet hatte. Er schüttelte erneut den Kopf. „Nein."
„Wirklich? Denn als mein Kollege vorhin ihre Personalien überprüft hat, wurde ihm gesagt, man hätte Sie aus der Wohngemeinschaft entlassen..."
Harry schluckte, setzte zu einer Antwort an, schluckte wieder. „Das ist richtig", gab er zur Antwort, während seine Hände vor Nervosität ganz feucht wurden. „Das hatte an sich aber nichts mit illegalen Drogen zu tun..."
„Sondern?"
Er räusperte sich und krempelte die Ärmel von Louis' Pullover zurück. „Mehreren Alkoholexzessen."
Die Polizistin nickte ihm zu und schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln. „Wenn Sie mir die Wahrheit gesagt haben, haben Sie keine weiteren Konsequenzen zu erwarten", erklärte sie und gab ihm seinen Ausweis zurück. „Alkohol ist schließlich nicht illegal. Ich möchte Ihnen allerdings raten, einen Arzt zu kontaktieren."
Ein erleichtertes Seufzen drängte sich aus seiner Brust. Während er ihr folgte, fragte er sich, weshalb er sich keiner Zeugenaussage vor Gericht unterziehen musste. Hier war schließlich ein Mensch gestorben.
Aber, und das war die traurige Wahrheit, für die Gesellschaft war Tony nichts weiter als der nächste Drogentote, der den Kampf gegen die Sucht verloren hatte. Harry fühlte den Schmerz in seinem Herzen hämmern, während es tapfer gegen die erschöpfte Brust schlug. Er war tot. Sein bester Freund war tot. Und sie waren im Streit auseinander gegangen.
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Sempiternal (Larry Stylinson)
Fanfiction»Sie erleben den Himmel. Sie erleben die Hölle. Sie sind noch Kinder, und haben ihre Zukunft schon verspielt.« Listen, Pläne, Termine - Louis Tomlinson hat alles im Griff. Das gilt zumindest für sein Berufsleben - er hat gute Aussichten auf eine Bef...