77. Du wiederholst dich

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Harry

Die Leere war das schlimmste.

Die Leere, wenn Louis morgens das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen.

Er wusste einfach nichts mit sich anzufangen, und er sehnte sich nach der Wärme des Heroins, die ihn ansonsten immer umgeben hatte.

Die Gedanken daran kamen in Wellen.

Sie kamen und gingen.

Doch wenn sie kamen, rissen sie ihn mit sich.

Fast so, als würden sie ihn überrollen.

Es war also kein Wunder, dass er nach nur drei Tagen vor Richie's Wohnungstür stand und ihn bat, ihm ein wenig Heroin zu verkaufen.

Dieser grinste nur schelmisch und schüttelte den Kopf. „Ich habe schon die Tage gezählt, bevor du zurückkommst", spottete er und ließ Harry in seine versiffte Wohnung. „Was macht eigentlich dein reicher Snob-Freund? Kann der nicht ordentlich auf dich aufpassen?"

Harry verdrehte die Augen. „Es gibt Leute, die arbeiten gehen, Richie."

„Ach ja", kam es ironisch von seinem Gegenüber. „Ich habe ja ganz vergessen, dass du dich an einen reichen Schnösel hängen musstest, um dein Heroin zu bezahlen."

Harry spürte, wie dieser Satz sich mitten durch sein Herz bohrte. „Das ist nicht wahr, und das weißt du."

„Wie auch immer", wechselte Richie achtlos das Thema, „Wie viel brauchst du?"

Harry dachte einen Moment lang nach, dann sah er seinen ehemaligen Freund bittend an. „Ich dachte, du könntest mir vielleicht einen Schuss setzen..."

Richie zuckte die Schultern. „Klar kann ich", antwortete er. „Aber du musst aufpassen, dass du es am Ende nicht wieder mit einer Überdosis zu tun hast. Das geht schnell, wenn man nicht beachtet, dass die Toleranz nach einiger konsumfreier Zeit stark sinkt."

„Ich weiß", maulte Harry, „Aber ich hatte keine konsumfreie Zeit. Ich habe nur einfach andere Opiate konsumiert."

„Wir fangen trotzdem mit einer niedrigen Dosis an", sagte Richie. „Nachlegen kannst du immer noch."

Kurze Zeit später spürte Harry, wie das Heroin langsam seine Wirkung entfaltete.

Der Kick, den er dabei spürte, war mit nichts zu vergleichen.

Ein dermaßen intensives Glücksgefühl konnte man nicht auf natürlichem Wege verspüren, und das wusste er ganz genau.

Ein warmer Mantel legte sich um ihn, wie eine Decke, und er entspannte seine Muskeln.

Ihm wurde warm, und seine Augen fielen langsam zu.

Ein Gefühl der Geborgenheit füllte seinen Brustkorb aus, und er fragte sich plötzlich, wie er es nur so lange ohne Heroin ausgehalten hatte.

Es füllte die Leere, die ihn sonst erfüllte, und er spürte, wie seine Sorgen allgemein weiter in den Hintergrund traten.

Er folgte Richie in dessen Wohnzimmer, ließ sich auf seinem durchgesessenen Sofa nieder und zündete sich eine Zigarette an.

Richie kicherte. „Du hast es vermisst, hm?"

Harry wollte nicken, doch selbst diese kleine Bewegung war ihm zu anstrengend. Also musste Richie sich mit einem simplen „Ja" zufriedengeben.

Es war bereits am frühen Abend, und die Sonne ging über London langsam unter.

Harry bemerkte gar nicht, wie er langsam aber sicher in einen traumlosen Schlaf sank, in dem er keine Sorgen mehr gab.

Er hörte auch das Klingeln seines Telefons nicht, das sich immer wieder lautstark im Wohnzimmer bemerkbar machte.

Richie verdrehte die Augen und deckte ihn achtlos zu, stellte das Telefon stumm und ging in sein Schlafzimmer.

Dass Louis pausenlos versuchte, Harry zu erreichen, interessierte ihn gar nicht weiter.

Als Harry am nächsten Tag wach wurde, dröhnte ihm der Kopf.

Die Schmerzen fühlten sich an, als hätte ihm jemand mit dem Hammer auf die Stirn geschlagen.

Er fror, und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits am frühen Vormittag war.

Harry richtete sich augenblicklich auf.

Früher Vormittag?

War er eingeschlafen?

Ein hastiger Blick auf sein Telefon verriet ihm, dass er richtig lag: Louis hatte mindestens zwanzig Mal versucht, ihn zu erreichen.

Das schlechte Gewissen schoss in ihm nach oben wie ein spitzer Pfeil.

Augenblicklich schlug Harry die Decke zurück und tippte auf die Wahlwiederholung.

Es dauerte kaum eine Sekunde, bis Louis sich meldete. „Harry", atmete er erleichtert aus, „Wo zur Hölle bist du?"

Tja.

Eigentlich hätte ihm klar sein müssen, dass diese Frage kommen würde – aber er war nicht darauf vorbereitet.

„Bei einem Freund", gab er also zur Antwort, wohlwissend, dass Louis vermutlich ganz genau wusste, bei welchem ‚Freund' er sich aufhielt.

„Bei Richie", schlussfolgerte dieser richtig, als hätte er seine Gedanken gelesen.

Harry seufzte. „Hör zu, Louis..."

„Weißt du eigentlich, was ich für eine Höllennacht hinter mir habe?", zischte Louis in den Hörer. „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wo du bist. Du hast mir noch nicht einmal gesagt, dass du weggehst!"

Harry senkte den Blick. Er konnte verstehen, dass Louis wütend war. „Es tut mir leid", sagte er also und fuhr sich mit der freien Hand über die Stirn. „Ich bin eingeschlafen."

„Ja", schnaubte Louis, „Weil du wieder total drauf warst."

„Das stimmt doch gar nicht", antwortete Harry reflexartig, obwohl es gelogen war. „Ich wollte wirklich nur einen Film mit ihm ansehen..."

„Das glaubst du doch selbst nicht", unterbrach Louis ihn barsch. „Wen willst du eigentlich verarschen?"

Wie sollte er aus dieser Situation nur je wieder herauskommen?
„Es tut mir leid..."

„Du wiederholst dich", schnitt Louis ihm das Wort ab. „Ich weiß wirklich nicht, was ich mit dir noch tun soll, Harry."

Harry zuckte zusammen, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige gegeben. „Wie meinst du das?"

Louis verdrehte die Augen. „Hör zu, ich bin jetzt in der Arbeit. Ich kann gerade nicht reden."

Einen Moment lang schloss Harry die Augen.

Verzweiflung machte sich in ihm breit. „Aber du wirst mit doch jetzt nicht verlassen, oder?"

Louis seufzte. „Wir reden heute Abend."

Mit diesen Worten beendete er das Telefonat.

Harry spürte den scharfen Schmerz, der seinen Körper innerhalb von Sekunden durchbohrte, ohne dass er irgendetwas dagegen hätte tun können.

Richie stand im Türrahmen und musterte den jungen Mann mit nach oben gezogenen Augenbrauen. „Alles klar?"

Entschieden schüttelte er den Kopf. „Nein. Bitte leih mir dein Spritzbesteck."
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Einen schönen Donnerstag wünsche ich euch🩷
Was ist eure Meinung zu dem Kapitel?🤍

All the love,
Helena xx

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt