17. Kein Wort über uns

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Louis

„Verdammt", fluchte Louis fünf Tage später und knallte den Telefonhörer verärgert zurück auf die Kommode. Harry, der gestern Vormittag das Bett zum ersten Mal seit mehr als einer Woche verlassen hatte, warf ihm einen irritierten Blick zu und wand seinen Blick von dem Display seines Telefons. Er zog irritiert beide Augenbrauen nach oben und warf ihm einen fragenden Blick zu; dieser Blick musste selbsterklärend gewesen sein, wie ihm einen Moment später klar wurde, als Louis ganz von allein begann, sich zu erklären. Er seufzte.

„Das war meine Mutter", ließ er Harry wissen, „Sie ließ sich ihren Wunsch auf einen Besuch heute Nachmittag nicht ausreden..."

Harry zuckte beide Schultern. „Und was ist das Problem?"

Louis fuhr sich durch das - wie immer - frisch gewaschene und perfekt sitzende Haar und ließ sich neben Harry auf dem viel zu großen und teuer aussehendem Sofa nieder. Er hatte keine Ahnung, wie er ihm erklären sollte, wo genau er diese Schwierigkeit sah, ohne ihn zu verletzen oder sich selbst gänzlich zu blamieren; es war ein verschwindend schmaler Grat, auf dem er sich bewegte. „Im Grunde genommen sind da zwei Dinge, von denen sie unter keinen Umständen erfahren darf. Das liegt mir wirklich am Herzen - okay?"

Harry nickte. „Okay. Und die wären?"

Louis schluckte. Er war noch nie gut darin gewesen, sich zu erklären; schon gar nicht, wenn es darum ging, jemanden zu verleugnen, den er wirklich gern hatte...

„Kein Wort über Drogen", forderte Louis sanft und legte eine Hand zögernd auf Harry's Knie. „In Ordnung?"

Harry nickte und legte seine Hand auf die seines Gegenübers. Der Entzug hatte ihn körperlich geschwächt und richtig erholt fühlte er sich noch immer nicht; aber er spürte die zarten Stromschläge in seinem Körper durch den Nebel von noch immer leicht spürbaren Schmerzen und Krämpfen; durch den Nebel von Verlangen, von der unbeschreiblichen Sehnsucht nach der Wärme eines Opiats ... In diesem Moment spürte er die Wärme, die von Louis ausging - und in diesem Moment war sie noch genug.

„In Ordnung", erwiderte er und setzte ein zaghaftes Lächeln auf. „Und deine zweite Bitte?"

Nun stand Louis vor der größeren der beiden Hürden; er wollte ihn nicht verleugnen, er wollte es wirklich nicht. Aber er erinnerte sich an eine Szene aus seiner späten Jugend, die er in den letzten Jahren entweder vergessen oder verdrängt hatte. Paradoxerweise drängte sie sich ihm ausgerechnet jetzt wieder auf ... Er hatte sich eigentlich nie wirklich damit auseinandergesetzt, es nie als sonderlich wichtig erachtet.

Damals hatte er viel Kontakt mit einem Jungen gehabt, der zehn Jahre später bei einem selbstverschuldeten Autounfall sterben sollte; er hatte unter dem Einfluss mehrerer Drogen am Straßenverkehr teilgenommen - vielleicht hatte Louis anfangs deshalb so allergisch auf Harry's Vorgeschichte reagiert...

Jedenfalls war von diesem Jungen, sein Name war Oliver gewesen, allgemein bekannt gewesen, dass er das männliche Geschlecht dem weiblichen vorzog; Louis hatte nie eine romantische Beziehung mit ihm gehabt, er hatte ihn nie bewusst geliebt oder sich zu ihm hingezogen gefühlt. Es hatte lediglich einen betrunkenen Zwischenfall auf einer Party gegeben. Beide waren zu diesem Zeitpunkt zwanzig Jahre alt gewesen, sturzbetrunken und zu jung, um sich ernsthafte Gedanken über den Kuss zu machen, der von Freunden wegen einer verlorenen Wette gefordert worden war. Sie hatten sich - im Nachhinein betrachtet - viel zu sehr in den Kuss vertieft; peinlich war das am nächsten Tag allemal gewesen.

Als Louis' Mutter erfahren hatte, dass ihr Sohn einen großen Teil seiner Freizeit mit einem homosexuellen Jungen verbrachte, war sie vor überflüssiger Sorge regelrecht an die Decke gegangen.

(„Mein Gott, Louis, das ist doch nicht richtig ! Das ist widerlich!")

Damals hatte sie von dem Zwischenfall auf der Geburtstagsparty eines Freundes, um Gottes Willen, nichts gewusst; wäre das der Fall gewesen, hätte sie ihm das Geld für das Studium mit Sicherheit gestrichen. Dann säße er jetzt nicht hier in einem schicken Apartment, für dessen Miete er mehr bezahlte, als andere in einem gesamten Monat für Nahrungsmittel.

Seine Mutter hatte ihm sogar den Umgang mit Oliver verboten, weil sie der festen Überzeugung war, er könne ihren Sohn mit seinen kranken Neigungen anstecken oder ihn zu Dingen zwingen, die er nicht wollte - Louis war damals er Meinung gewesen, dass sie maßlos übertrieb. Im Grunde genommen hatte sie nichts anderes getan; es war die absolut dümmliche, vor allem aber oberflächliche Einstellung eines Großteils der heutigen Gesellschaft.


Schließlich schluckte er und schaffte es sogar, Harry in die Augen zu sehen. „Kein Wort über uns."

Einen Moment lang herrschte Stille in dem Raum, der Harry mit einem Mal viel zu groß vorkam. Er wich Louis' Blick geschickt aus und fixierte den Teppich auf dem teuren Parkett. „Wenn du von uns sprichst, Louis, wovon genau sprichst du dann?"

Louis fühlte sich unwohl in diesem Gespräch, als wäre er nicht Mann genug, zu einem Menschen zu stehen, den er in den letzten Wochen mehr begehrt hatte, als irgendjemanden sonst; bei jedem Gedanken an Harry ging von seinem Herz ein warmer Stromstoß aus, der Kraft genug hätte, seinen gesamten Körper innerhalb von Sekunden zu übermannen. Aber es war ein wohliges Gefühl, eines, das er so noch nie empfunden hatte. Dabei war er immer der Meinung gewesen, aus vollstem Herzen geliebt zu haben...

„Ich bin mir nicht sicher", gab er zur Antwort und drückte Harry's Hand etwas fester. „Ich denke an eine Beziehung, die weit über Freundschaft hinausgeht..."

Harry lächelte und wand ihm seinen Blick wieder zu; da war es wieder, dieses wohlige Kribbeln, das in seinem Herzen startete und sich von dort aus in seinem gesamten, noch geschwächten Körper verteilte. Er lächelte, ganz automatisch und erwiderte den leichten Druck, den Louis' Hand auf die Seine ausübte. „Dann scheinen wir uns in diesem Punkt wohl einig zu sein."

Louis schmunzelte und verlor sich einen Moment lang gänzlich unbewusst in dem Blick, den Harry ihm zuwarf. Ohne es vorerst zu bemerken, beugte er sich zu ihm und hauchte ihm einen sanften, beinahe unschuldigen Kuss auf die Lippen. Harry lächelte und verschränkte ihre Finger miteinander. „Darf ich dich um etwas bitten?"

Louis nickte. „Sicher", gab er zur Antwort, während ihre Lippen einander streiften.

„Ich möchte eine Beziehung mit einem Menschen führen, der mir genug Bedeutung zumisst, um zu mir zu stehen", sagte er, „Ich möchte ein einziges Mal richtig wertgeschätzt werden. Bitte, Louis, erzähl deinen Eltern von uns. Du hast alle Zeit der Welt, aber bitte lass uns nicht dieses Leben führen, das ich jahrelang habe führen müssen."


Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt