16. Bist du dir sicher?

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"I never went out of my way to say anything about my drug use. I didn't want some 15-year-old kid who likes our band to think it's cool to do heroin. People who glamorize drugs are fucking assholes, and if there's a hell, they'll go there."

-Kurt Cobain

Harry

Er hatte das Gefühl, es würde von Tag zu Tag schlimmer. Seine Gelenke schmerzten, er erlitt einen Muskelkrampf nach dem nächsten; das Valium und das Veloron halfen nur noch bedingt. Er hatte im Laufe der letzten Tagen eine gewisse Toleranzgrenze ausgebildet.

Die Müdigkeit, die ihn trotz allem nicht schlafen ließ, brachte ihn beinahe um den Verstand. Er war dementsprechend gereizt, und brachte Louis gegenüber kaum ein normales Wort zustande. Dieser war allerdings intelligent genug, diese Laune nicht auf sich zu beziehen. Zwar hatte er keine Ahnung, wie schwer ein Entzug von Methadon sein konnte, aber ihm war durchaus klar, dass Harry sich schrecklich fühlen musste.

Wenn er sich übergeben musste, half Louis ihm, seine Kleidung und die Bettwäsche zu wechseln. Der Schweiß brach Harry aus allen Poren, gleichzeitig zitterte er vor Kälte, die eigentlich nicht existent war.

Er wurde geplagt von Kopfschmerzen, Übelkeit und akuten Durchfallperioden; seinem Körper war in den letzten Tagen jegliche Flüssigkeit entzogen worden; er hatte das Gefühl, diesen Entzug niemals - unter keinen Umständen - überleben zu können, obwohl er ganz genau wusste, dass das völliger Unsinn war.

Er sehnte sich nach der Droge, der Wärme des Opiats; noch nie hatte er das Heroin so sehr vermisst. Zwar verdrängte er den Gedanken, war sich aber im Klaren darüber, dass er diesen Entzug nur durchstehen würde, um den warmen Mantel des Heroins wieder genießen zu können. Das war seine Motivation, das war der alleinige Grund, weshalb er diesen Entzug nicht aufgab.

Louis

Er machte sich große Sorgen. Ihm war klar, dass er in den letzten Wochen Gefühle für Harry entwickelt hatte, die weit über Freundschaft hinausgingen; er hatte damit keine Schwierigkeiten, solange die Öffentlichkeit nicht davon erfuhr. Er würde seiner Arbeit nie wieder auf die gleiche Art und Weise nachkommen können, auf die er es jetzt tat. Man würde ihn nicht mehr auf die gleiche Art und Weise akzeptieren, wie man es zuvor getan hatte.

Harry so zu sehen, machte ihm Angst. Die Schweißperlen, die konstant auf seiner Stirn standen, die Schreie, die aus seinem Schlafzimmer hallten, wenn sein Körper von schmerzhaften Krämpfen geschüttelt wurde. Die Tränen, die er in den Augen hatte, wenn Louis den Raum betrat und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Louis würde liebend gern mit ihm tauschen; nicht, weil er den Gedanken an einen Opioidentzug sonderlich reizend fand, sondern weil er tatsächlich aufrichtiges Mitleid Harry gegenüber empfand.

Die stechenden Muskelschmerzen, von denen er berichtete; sie mussten tatsächlich schrecklich sein. Louis wollte sich eigentlich noch nicht einmal vorstellen, wie er sich fühlen musste. Trotz allem hätte er ohne zu zögern mit ihm getauscht, ihn von seinen Schmerzen erlöst.

Aber er konnte es nicht. Und das quälte ihn auf eine ebenso grausame Art und Weise.

Harry

Louis betrat den Raum am fünften Tag des Entzuges mit einer Flasche Wasser in der Hand und einem Waschlappen in der anderen. Harry lag vor Schmerzen halb besinnungslos am Rande des Bettes, den Eimer in weiser Voraussicht neben Louis' Nachttisch gestellt. „Hast du Hunger?", wollte Louis wissen und riss ihn aus seinem dämmrigen Zustand.

Harry schüttelte seinen Kopf. „Nein", krächzte er, ohne dem etwas hinzuzufügen. Er zitterte am ganzen Körper und fühlte sich so elend, dass er sich eigentlich hätte wünschen müssen, nie mit den Drogen angefangen zu haben. Aber dem war nicht so, ganz im Gegenteil, selbst wenn dieser Meinung nur sein suchtkrankes Gehirn war.

„Bist du dir sicher?"

Harry gab ihm keine Antwort; nicht, weil er es nicht wollte, sondern weil er es nicht konnte. Ihm wurde plötzlich abwechselnd heiß und kalt, bevor ein Muskel im linken Bein sich mit einem Mal so sehr verkrampfte, dass er einen Schmerzensschrei unterdrücken musste. Er kniff beide Augen unter den beinahe unerträglichen Schmerzen zusammen und spürte, wie Louis' Hand nach seiner griff.

Reflexartig zuckte er mit der Seinen zurück; er wurde das Gefühl nicht los, dass er Louis irgendwann anwidern musste. Immerhin lag er seit fünf Tagen in demselben Raum, hatte unregelmäßige Schweißausbrüche und musste sich regelmäßig übergeben; das Fenster stand fast immer offen.

Louis kommentierte seine Reaktion nicht, strich ihm stattdessen das lange, braune Haar aus der Stirn und wusch ihm mit einem feuchten Waschlappen das Gesicht; Harry spürte den Krampf in seinem Fuß langsam abklingen, als er ihn ausstreckte.

Er lag kraftlos unter der mal zu dünnen, mal zu dicken Decke und spürte, dass jedes seiner Körperteile schmerzte.

Louis

Er wischte ihm die Schweißperlen aus der Stirn, schenkte ihm ein Glas Wasser ein und ignorierte den unangenehmen Geruch, der in dem Raum vorherrschte. Er blieb eine Weile bei ihm; sah sogar mit ihm fern. Und als er eingeschlafen war, gab er ihm einen Kuss auf die Stirn und verließ den Raum in der Sorge, Harry würde diese Sache aufgrund seiner sowohl körperlich als auch psychisch vorhandenen Leiden nicht durchziehen. Oder dass er nach kurzer Zeit wieder rückfällig werden würde.

Und damals ahnte er noch gar nicht, wie berechtigt diese Angst eigentlich gewesen war.

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt