18. Es reicht

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Harry

Als Louis' Mutter dessen Mitbewohner zum ersten Mal sah, fing er ihre skeptischen Blicke auf wie ein überaus talentierter Football-Spieler und wand seinen Blick schließlich ab. Nicht, dass es ihn überrascht hätte - die vielen Tattoos, die langen Haare, die etwas - nun ja - gewöhnungsbedürftige Kleidung; sein Aussehen konnte, zugegebenermaßen, etwas verräterisch sein.

Er ließ sich nicht gern beirren - er streckte ihr seine rechte Hand entgegen, setzte das fröhlichste Lächeln auf, das er zu bieten hatte und stellte sich ihr vor. Im ersten Moment dachte er, sie würde seine Hand nicht ergreifen; umso erleichterter war er, als sie ihm zögernd die ihre entgegenstreckte und ihm ein halbherziges Lächeln zuwarf - eines von der Sorte, die so falsch war, dass man sich am liebsten sofort umdrehen und in die andere Richtung gehen würde.

Johannah hatte glänzendes braunes Haar, ein tatsächlich wunderschönes Gesicht, das dem ihres Sohnes aufrichtig ähnlich sah. Auch sonst war die enge Verwandtschaft kaum zu übersehen: Das beinahe lächerlich adrette Äußere, auf das sie sehr zu achten schien, die vermeintliche Arroganz, mit der sie ihm gegenübertrat. Alles in allem erinnerte ihn seine erste Begegnung mit ihr sehr an seine erste Begegnung mit ihrem Sohn.

Aber, so dachte Harry, er wollte ja keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Louis

Er stellte eine Flasche guten Weins in die Mitte des Tisches. Er bemerkte Harry's irritierten Blick nicht, füllte drei der Weingläser, die er zuvor aus der Küche mitgebracht hatte.

Harry zog verwirrt beide Augenbrauen nach oben, ließ sich neben Louis am Tisch nieder und lauschte Johannah's absolut selbstgefällig klingenden Vorträgen über die untere Gesellschaftsschicht - ein Junge hätte sie vor gut und gerne einer Stunde doch tatsächlich um ein wenig Kleingeld gebeten!

Um Himmels Willen, schoss es zwischen Louis' Gedanken, Hatte ich die gleichen, oberflächlichen Gedanken, bevor ich über Harry's Zeitungsstapel aus der U-Bahn gelaufen bin?

Für ihn war zumindest eine Sache klar - was Harry's Vergangenheit anging, so durfte sie nie davon erfahren, noch nicht einmal im Ansatz. Er kannte diese Frau besser, als irgendwer sonst es tat und er war sich sicher, dass es ähnlich der Sache mit Oliver damals enden würde, wenn nicht sogar schlimmer.

Also machte er gute Mine zum bösen Spiel, nickte hin und wieder und beobachtete die Art und Weise, wie Harry lustlos vor seinem Weinglas saß und keinen Tropfen anrührte - wahrscheinlich verdarben ihm die körperlichen Schmerzen jegliche Lust auf Alkohol, schoss es ihm durch den Kopf, bevor er seinen Blick wieder auf seine noch immer sprechende Mutter richtete.

Harry

Er hasste Alkohol. Für ihn war Alkohol ein Mittel für diejenigen, die mit Drogen nicht umgehen konnten - diejenigen, die nach einem primitiven Rauschzustand suchten und nicht zu hinterfragen vermochten, was genau sie da überhaupt taten. Für ihn war Alkohol nie eine Option gewesen.

Aber das war nicht der vorherrschende Grund, weshalb er den Alkohol so abgrundtief verabscheute, auch wenn er es den Leuten gerne erzählte, wenn sie ihn fragten, weshalb er denn nichts trinken wolle.

Seine Eltern waren Teil jener primitiven, oberflächlichen Gesellschaft gewesen, die der Meinung war, der Alkohol könne alle Probleme in Luft auflösen.

Jeden Tag hatten sie ihn losgeschickt, um so viel Bier und Schnaps wie nur irgendwie möglich aufzutreiben; natürlich hatte man ihm den in den meisten Läden nicht verkauft, damals war er noch ein Kind gewesen.

Der einzige Laden, der darüber hinweggesehen hatte, war ein kleiner Kiosk direkt vor dem Hochhaus, in dem sie ihre Wohnung gehabt hatten; der Besitzer wusste von den Alkoholproblemen in Harry's Familie und hatte ihm, jedes Mal mit einem aufrichtig mitleidigen Blick, verkauft, was sein Vater in betrunkener Schrift auf einen Zettel gekritzelt und Harry in die Hand gedrückt hatte.

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt