46. Hast du immer noch diese schlechten Träume?

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Louis

Etwa zwei Tage später kam Louis mit einem bunten Blumenstrauß zurück in das Krankenhaus und platzierte ihn in einer Vase an Harry's Nachttisch. Ein Lächeln zierte das erschöpfte Gesicht seines Gegenübers, doch er konnte das Leuchten in seinen Augen sehen. Er freute sich nicht nur über die Blumen, sondern vor allem darüber, ihn wieder zu sehen.

Louis griff nach Harry's Hand und nickte zu dem Blumenstrauß. „Gefällt er dir?"

Harry lächelte noch immer und versuchte, zu nicken. „Sehr", antwortete er schließlich, „Danke, Louis."

Louis spürte, wie sein Herz einen kleinen Sprung machte. Langsam aber sicher hatte er das Gefühl, dass es mit Harry's Gesundheit wieder aufwärts ging - zumindest solange der Chefarzt nicht im Raum war.

„Hast du noch immer diese schlechten Träume?", wollte Louis von ihm wissen, während er darauf bedacht war, bloß kein falsches Wort zu wählen. Harry war so empfindlich wie ein dünnes Stück Papier, jede unpassende Äußerung könnte eine neue Katastrophe auslösen. So sprach Louis beinahe mit ihm, als wäre er ein kleines Kind, auch wenn er an Harry's Mimik erkennen konnte, dass ihm das nicht passte.

„Ja", gab Harry zur Antwort, während er einen Blick aus dem Fenster war. Die Sonne schien so hell, dass er einen Moment lang seine Augen zukneifen musste. „Aber sie werden kürzer."

Erleichterung breitete sich in Louis aus und er drückte Harry's Hand für einen Moment ein wenig fester. „Fällt es dir mittlerweile etwas leichter, dich zu bewegen?", fragte er schließlich, „Wie geht es mit der Physiotherapie voran?"

Harry schien einen Moment lang nachzudenken. „Es wird besser", antwortete er schließlich, ehe er gähnte und sich kurz im Zimmer umsah. „Bist du allein hier?"

Louis nickte. „Jetzt, ja. Aber ich habe mit Niall und Liam gesprochen; sie werden im Laufe des Nachmittags vorbeikommen, um dich zu besuchen."

Harry

Harry nahm Louis' Antwort zur Kenntnis und schloss die Augen für einen Moment.

Das kurze Gespräch mit Louis hatte ihn sehr erschöpft, auch wenn sie nur ein paar Worte miteinander gewechselt hatten. Er fühlte sich absolut ausgelaugt und wusste, dass er ein wenig Schlaf brauchte.

Sein Körper musste sich erst wieder daran gewöhnen, wieder wach zu sein und sich selbst mit Energie zu versorgen. Er musste erst wieder auf die Beine kommen.

Die Medikamente taten ihr übriges; sie machten ihn schrecklich müde, und er konnte absolut nichts dagegen tun. Er nickte zu den unpassendsten Gelegenheiten ein, ganz egal wie sehr er sich darauf konzentrierte, wach zu bleiben.

Genau so hatte es ihm oft gegangen, wenn er sich gerade erst einen frischen Druck gesetzt hatte.

Das Heroin.

Mein Gott, wie sehr er es vermisste.

Obwohl sein Gehirn von Medikamenten und Erschöpfung benebelt war, wusste er doch, was ihm am meisten fehlte.

Er wusste, dass das nicht normal war. Er wusste, dass er sich damit selbst schädigte, und natürlich wusste er, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen Menschen in seinem Umfeld damit belastete.

Aber er konnte nicht anders. Die Sehnsucht nach dem süßen Gold in seinen Adern ließ sich schlicht und ergreifend nicht kontrollieren.

Wenn man ihn nach solchen Dingen fragte, log er; er erzählte allen, dass ihm das eine Lehre gewesen war und er nun clean werden wolle.

In Wahrheit allerdings sehnte er sich nach dem Tag, an dem er dieses Dreckloch von Krankenhaus verlassen und sich seinen ersten Druck setzen konnte.

Andererseits sah er Louis, wie er besorgt an seinem Bett saß, seine Hand hielt, ihm Blumen brachte und jeden Tag zum Krankenhaus kam, um ihn zu besuchen.

Er sah die Sorge in seinem Gesicht und ab und zu das Leuchten in seinen Augen, wenn Harry kleine Fortschritte machte.

Und er?
Er dachte nur an das Heroin.

Das machte ihm ein wahnsinnig schlechtes Gewissen.

Louis verließ sich darauf, dass er sich helfen ließ, sobald er wieder auf den Beinen war. Er verließ sich darauf, dass er jetzt clean wurde und sich verdammt nochmal ein für alle mal von diesem Zeug lossagen würde.

Aber wie sollte er das tun?
Wie sollte er das einzige aufgeben, das ihm immer geholfen hatte?
Das einzige, das ihn jahrelang taub gemacht hatte, damit er diesen Schmerz nicht spüren musste?
Das Heroin war etwas, das ihm geholfen hatte, auch wenn das für Außenstehende seltsam klingen mochte.

Das Heroin hatte seine Gefühle taub gemacht, hatte ihm ermöglicht, selbst die schlimmsten Situation zu ertragen.

Natürlich hatte es auch weniger schöne Momente während seiner Sucht gegeben, doch die wollte er nicht sehen.

Er sah in Louis' Augen und fühlte sich elend. Dieser Mann liebte ihn über alles, und doch hinterging er ihn auf eine Art und Weise, die ganz einfach grausam und schrecklich unfair war.

Aber er wusste nicht, was er tun sollte.

Seine Angst, ohne das Heroin nicht klarzukommen, war zu groß.

Er fürchtete sich schrecklich davor, dass alle im Laufe der letzten Jahre verdrängten Gefühle auf ihn einstürzen und ihn unter sich begraben würden.

Dass er keinen Weg finden würde, ohne das Heroin glücklich zu werden; dass er mit allen Enttäuschungen nüchtern klar kommen musste.

Dass er die dauerhafte Nüchternheit nicht ertragen würde.

Dass es ihm zu sehr fehlen würde.

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Hallöchen,

ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen! Ich freue mich auf eure Rückmeldungen!

All the love xxx

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt