Louis
Natürlich war ihm nicht wohl dabei, Harry zur Methadonklinik zu begleiten. In seinem gesamten bisherigen Leben hatte er keinerlei Kontakt zu Drogen gehabt, noch nicht einmal über seinen potentiellen Freundeskreis. Er war schlicht verunsichert.
Umso überraschter war er über die verschiedenen Gesellschaftsschichten, die dort anzutreffen waren; natürlich gab es unter ihnen Menschen, denen ihr langjähriger Drogenkonsum deutlich anzusehen war. Eingefallene Wangen, leere Augen, dünne, ungewaschene Haare, teilweise ausgefallene oder gänzlich zerstörte Zähne. Dann gab es Menschen wie Harry, bei denen man vielleicht vermuten konnte, dass sie etwas mit Drogen zu tun hatten - sicher war man sich allerdings nicht. Was Louis allerdings am meisten überraschte - und man könnte sagen, es hatte ihn regelrecht vom Hocker gehauen -, waren diejenigen, die in Anzug und Krawatte zur Kanzel traten. Sie sahen aus wie Anwälte, Ärzte oder Geschäftsleute, die eine Menge Geld hatten. Louis hätte nie im Leben geglaubt, dass auch solche Leute Kontakt zu Drogen hatten; dass selbst Leute wie er in eine solch gefährliche Sucht abrutschen konnten, die er eigentlich nur in der gesellschaftlichen Unterschicht vermutet hatte...
Methadon wurde oral eingenommen, also geschluckt, erklärte Harry ihm, kurz bevor er an der Reihe war. Dabei fehlte der Kick, den er bei dem Injizieren von Heroin immer verspürt hatte. Allerdings war Methadon weitaus ungefährlicher. Nicht zuletzt, weil man sich sicher sein konnte, dass es sauber war; nicht gestreckt mit irgendwelchen Substanzen, von denen niemand genau wusste, was es war oder woher es kam.
Umso größer war die Erleichterung für Louis, als Harry endlich an der Reihe gewesen war. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, weiterhin zwischen all den gescheiterten Existenzen zu sitzen.
Bis die Wirkung bei Harry einsetzte, dauerte es in etwa eine halbe Stunde.
Harry
„Worauf hast du Lust?", wollte er von Louis wissen, als sie gemächlich durch eine verkehrsberuhigte Straße schlenderten. Es war eine von jenen, die in London sehr selten waren. Louis zuckte beide Schultern. „Hast du Hunger?"
Harry schüttelte seinen Kopf. „Nein. Aber Durst."
„Dann lass uns einen Kaffee trinken gehen", lächelte Louis ihm entgegen, obwohl er ganz genau wusste, dass Kaffee Durst nicht lindern konnte.
Er nickte begeistert und hing sich bei Louis unter. In nüchternem Zustand - der Letzte war schon eine Weile her -, wäre ihm das nie eingefallen. Körperkontakt zu anderen Männern? Nicht, nach all den Erfahrungen, die er gemacht hatte.
Er bemerkte nicht, dass Louis ihn überrascht musterte, kurz darauf allerdings breit zu grinsen begann. Und selbst wenn er es bemerkt hätte - er hätte dem vermutlich nicht allzu viel Bedeutung beigemessen. So war er schon immer gewesen; er nahm die Dinge nicht allzu ernst. Das ersparte einem Menschen eine Menge Schmerzen.
Er war sich ziemlich sicher, dass die Wirkung des Methadons langsam einsetzte. Er hasste sie - sie linderte seine innerlichen Schmerzen, verdrängte ein Stück weit all die Sorgen, die er hatte - aber sie war längst nicht so intensiv wie die des Heroins.
Harry fühlte sich wohl, aber nicht so wohl wie mit Heroin in seinen Venen. Er hatte das Gefühl, in Watte gepackt zu sein, sein Schmerzempfinden hatte erheblich nachgelassen. Er fühlte sich euphorisch, irgendwie aber doch ganz präsent. Und doch hasste er diese Droge, gleichzeitig war er auf sie angewiesen. Eine Hassliebe, der er doch nicht widerstehen konnte.
Er zog Louis in den nächsten Starbucks-Coffeeshop, der vor ihrer Nase auftauchte. Er war sich sehr wohl im Klaren darüber, dass Louis freiwillig vermutlich keinen Kaffee angerührt hätte, der weniger als zehn Pfund kostete. Er hatte schließlich seine Prinzipien.
„Kannst du mir denn irgendetwas empfehlen?", grinste Louis ihm entgegen, als sie an der Theke anstanden und er die Karte studierte. Harry hatte sich längst entschieden - als er noch genug Geld gehabt hatte, hatte er sich beinahe nur von Starbucks-Kaffee ernährt.
Er sah sein Gegenüber fassungslos an. „Warst du denn noch nie hier?"
Louis schüttelte seinen Kopf. „Nein. Das hat mich nie gereizt..."
Da schüttelte er grinsend seinen Kopf und gab seine Bestellung auf - einen schwarzen Kaffee für sich selbst, und eine heiße Schokolade für Louis.
Schließlich nannte er dem Kellner ihre beiden Namen und zerrte Louis zum Ende der Theke, um auf ihre Becher zu warten. Er musste lachen, als er Louis den seinen in die Hand drückte. „Sie haben deinen Namen falsch geschrieben", grinste er.
Louis drehte seinen Becher um und fand den Schriftzug Lewis auf der Rückseite. Er rollte beide Augen, konnte sich ein Lachen allerdings nicht verkneifen. „Was ist das?"
„Heiße Schokolade", gab Harry zur Antwort, „Schmeckt wie der Himmel auf Erden. Wo wollen wir hin?"
Louis schüttelte irritiert seinen Kopf und kramte in seiner Hosentasche nach etwas Kleingeld. Schließlich reichte er es Harry und lächelte. Dieser schüttelte seinen Kopf. „Schon in Ordnung. Ich schlafe umsonst in deinem Bett, irgendwie muss ich mich schließlich revanchieren."
Louis schmunzelte und steckte die Münzen wieder ein. „Danke."
Sie schlenderten auf die U-Bahn Station zu und fuhren zurück nach Southwark. Louis zerrte Harry in einen Laden nach dem anderen - das waren allerdings nicht irgendwelche Läden, in denen der durchschnittliche Brite seine Kleidung kaufte. Nein, ganz im Gegenteil: Es waren kleine und große Boutiquen, in denen ein Hemd mehr wert war, als Harry in drei Monaten beim Austragen von Zeitungen verdiente.
Harry seufzte und sah Louis entschuldigend an. „Ich möchte nicht, dass du so viel Geld für mich ausgibst...", murmelte er, als er in schwarzem Hemd und dunkler Hose aus einer Umkleidekabine trat. Louis zuckte nur beide Schultern. „Ich verdiene genug. Weshalb sollte nur ich etwas davon haben?"
Er war überrascht von dieser Aussage - er hatte Louis als einen mehr oder wenigen arroganten Schnösel kennengelernt, der sein Geld nur über seine Leiche geteilt hätte. Jetzt, nur einige Wochen später, schien er sich um einhundertachtzig Grad gedreht zu haben. Harry fühlte sich plötzlich viel wohler in seiner Gegenwart.
Es war bereits spät am Abend, als beide sich gerädert in der U-Bahn zurück zum Piccadilly Circus niederließen. Harry spürte, dass sein Herz raste und die Wirkung des Methadons noch nicht nachgelassen hatte. Das konnte es auch kaum - er hatte festgestellt, dass der Höhepunkt der Wirkung bei ihm konstant etwa drei Stunden nach der Einnahme einsetzte. Er fühlte sich dann besonders fröhlich, geschützt und irgendwie war seine Stimmung um einiges besser, als vorher.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass Louis näher bei ihm saß, als er das sonst tat. Ihre Arme schmiegten sich sanft aneinander und ein sanfter Adrenalinstoß jagte durch Harry's Körper. Er fühlte sich geborgen - und dieses Mal war er sich sicher, dass es nicht nur am Methadon lag.
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Sempiternal (Larry Stylinson)
Fanfiction»Sie erleben den Himmel. Sie erleben die Hölle. Sie sind noch Kinder, und haben ihre Zukunft schon verspielt.« Listen, Pläne, Termine - Louis Tomlinson hat alles im Griff. Das gilt zumindest für sein Berufsleben - er hat gute Aussichten auf eine Bef...