70. Ich frage dich wirklich nicht gerne...

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Harry

Sein nächster Tag begann ziemlich früh, als er gegen sechs Uhr morgens seinen Dienst im Krankenhaus antrat.

Er hatte das Oxycodon nicht angerührt, und trotzdem fühlte er sich, als hätte er einen ordentlichen Überhang.

Er war müde, und er fühlte sich, als hätte er keine Sekunde lang geschlafen.

Harry bemühte sich, während der Übergabe nicht einzuschlafen, als ein Satz seines Vorgesetzten ihn plötzlich hellwach werden ließ: „Es fehlt ein Blister mit zehn Tabletten von jeweils zehn Milligramm Oxycodon aus dem Betäubungsmittelschrank."

Jack sah fragend in die Runde. „Kann mir irgendjemand etwas dazu sagen?"

Harry bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck und sah vorsichtig zu dem Rest des Teams. Aber auch deren Blicke ließen keine ordentliche Schlussfolgerung zu.

Sein Herz schlug ihm plötzlich bis zum Hals.

Natürlich war ihm klar gewesen, dass der Diebstahl bemerkt werden würde.

Er musste sich jetzt nur möglichst unauffällig verhalten und sich bloß nichts anmerken lassen.

Sonst war er auch diese Anstellung schneller wieder los, als er überhaupt bis drei zählen konnte.

Seufzend erhob er sich also aus seinem Stuhl, als die Übergabe vorbei war und sich – überraschenderweise – niemand gemeldet hatte, der sich zu dem fehlenden Oxycodon äußern konnte.

Seufzend bereitete Harry sich also auf seinen morgendlichen Rundgang vor und wollte gerade starten, als Jack ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Harry, hast du einen kurzen Moment für mich?"

Harry schloss einen Augenblick lang die Augen, bevor er sich umdrehte und sein hübschestes Lächeln aufsetzte. „Natürlich, worum geht's denn?"

Selbstverständlich hätte er sich diese Frage eigentlich sparen können.

Aber er musste ja noch immer sein bestes Pokerface aufsetzen, damit er sich nicht selbst verriet.

„Lass uns in mein Büro gehen", antwortete Jack, und Harry folgte ihm, während sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog. Er wusste ganz genau, wo das Problem lag.

Und er wusste auch ganz genau, dass er jetzt seine besten Schauspielkünste auspacken musste.

Oxycocon? Was? Ich?

Nein, das würde ich niemals machen.

Er ließ sich also Jack gegenüber nieder, und sein Vorgesetzter stieß ein tiefes Seufzen aus. „Also, Harry", begann er, „Ich frage dich das wirklich nicht gerne..."

Er wich seinem Blick aus. Der Hintergrund dieses Gesprächs war von Anfang an klar gewesen.

„Aber", fuhr Jack fort, „Hast du etwas mit dem verschwundenen Oxycodon zu tun?"

Harry presste seine Lippen zusammen und bemühte sich um einen möglichst enttäuschten Gesichtsausdruck. „Es geht um meine Vergangenheit, nicht wahr?"

Wie erwartet sah Jack betreten zu Boden.

Volltreffer.

„Ich muss dich das fragen", beharrte er und seufzte erneut. „Das bedeutet nicht, dass ich glaube, dass du es gewesen bist."

„Und?", hakte Harry nach. „Glaubst du's?"

Jack atmete tief ein. „Weißt du, Harry, das kann ich dir jetzt noch nicht sagen", antwortete er wahrheitsgemäß und zwang sich, seinem Angestellten in die Augen zu sehen. „Wärst du denn mit einem Drogentest einverstanden?"

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt