14. Das Geld für Heroin

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Louis

Sie vertieften ihren Kuss; Louis schob seine Scham zur Seite, die ihn seit Tagen mehr oder minder wachgehalten hatte. Langsam aber sicher sickerte die Erkenntnis zu ihm durch, dass er Harry anfangs aus genau einem einzigen Grund abgelehnt hatte; er hatte ihn auf eine seltsame Art und Weise anziehend gefunden. Anziehend auf die Art und Weise, die er nur Frauen gegenüber empfinden sollte.

Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt für die Dinge, zu denen er sich in diesem Moment hinziehen ließ; er war ein Mann, gottverdammt, keine Frau - dieses Herzklopfen, das es ihm schwer machte zu atmen; er dürfte es eigentlich gar nicht haben.

Das Gefühl von Harry's sanften Lippen auf den seinen brachte ihn auf eine Art und Weise um den Verstand, die ihm völlig fremd war; es machte ihn regelrecht verrückt, wie schnell das Blut plötzlich durch seine Adern raste. Abwechselnd verspürte er Hitze- und Kältewallungen, während Harry's Augen noch immer bittere Tränen weinten.

Louis hielt einen Moment lang inne, lehnte seine Stirn gegen die seines Gegenübers. „Wovor hast du solche Angst?"

Harry schüttelte energisch seinen Kopf, während Louis ihm vorsichtig mit dem Daumen seine Wangen trocknete. „Ich habe keine Angst, Louis", stellte er klar, „Nur schlechte Erfahrungen."

Er schluckte. Wer rechnete schon mit einem solchen Geständnis, während man den bisher schönsten Kuss seines Lebens miteinander austauschte? Louis jedenfalls nicht; trotz allem setzte er ein mitfühlendes Lächeln auf. „Möchtest du darüber sprechen?"

Harry zuckte beide der tätowierten Schultern und seufzte. „Ich denke, das bin ich dir schuldig."

Obwohl Louis dem nicht zustimmte, war er neugierig - zu neugierig, um Harry vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Er spürte dessen Hand nach seiner eigenen greifen und hatte plötzlich das Gefühl, von einer unglaublich angenehmen Wärme umgeben zu sein. Harry's Tränen schienen nicht versiegen zu wollen; und Louis hätte bis vor wenigen Wochen nie glauben können, dass er mit einem Menschen wie ihm hätte Mitleid haben können.

Harry

Für Harry war es mit einer Menge Schmerzen verbunden, über die Dinge zu reden, die ihn zu Tränen rührten; für ihn machte das die ganze Sache nur noch schlimmer. Er hatte noch nie gern über seine Schwierigkeiten gesprochen, er hatte sie immer für sich behalten - darüber zu reden bedeutete schließlich auch, dass man sich damit auseinandersetzen musste. Darin war er immer schlecht gewesen.

Er seufzte auf und wich Louis' Blick so geschickt aus, wie er es immer getan hatte. Er hatte den Menschen noch nie in die Augen sehen können, wenn er geweint hatte. „Ich habe in einem Krankenhaus gearbeitet", begann er unvermittelt zu erzählen, sehr zu Louis' Überraschung. „Damals habe ich eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen wollen - eigentlich hatte ich immer Spaß daran, verstehst du..."

Louis fuhr beruhigend mit einigen Fingern seinen Unterarm auf- und wieder ab. „Woran bist du gescheitert?"

Harry zuckte beide Schultern und sah zu Boden. Neues Nass stieg hinter seinen Lidern auf, als er an die harschen Worte des Oberarztes dachte. Jemanden wie Sie, Harry, können wir beim besten Willen nicht gebrauchen.

Seine Antwort war ebenso kurz, wie makaber. „Ich habe Spritzen mitgehen lassen."

Harry bemerkte, wie seinem Gegenüber etwas fassungslos seine Gesichtszüge entglitten. Am liebsten hätte Louis den Kopf in beide Hände gelegt und ihn gefragt, wie um alles in der Welt man nur so leichtsinnig sein und ein Krankenhaus beklauen konnte; aber er ersparte Harry diese Frage in weiser Voraussicht.

Vermutlich hatten sie ihn aus zwei Gründen rausgeschmissen: Zum einen war da der Diebstahl an der Station, der absolut zurecht einen Grund für eine fristlose Kündigung darstellte; zum anderen war da seine nun offensichtliche Drogensucht - was wäre es für ein ironischer Gegensatz, einen drogenabhängigen Krankenpfleger zu beschäftigen?

Harry hatte also keine Chance. Das war auch ihm damals klargewesen. „Weißt du", fuhr er fort, „Zu dieser Zeit war ich schon viel zu weit abgerutscht, um mir das zu sehr zu Herzen zu nehmen - meine einzige Sorge war das Geld für Heroin, das mir fortan fehlen würde..."

Louis zuckte unwillkürlich zusammen. Der Gedanke an das langsame Aufziehen einer Spritze mit Gift, das man sich danach mit purer Absicht in die Venen jagte - er machte ihm Angst. Er machte ihm wirklich Angst. „Wie bist du danach an Geld gekommen?"

Harry sah zu Boden und schüttelte unter Tränen seinen Kopf. „Du wirst mich nie wieder auch nur ansehen, wenn ich dir eine ehrliche Antwort auf diese Frage gebe, Louis."

Der Ältere schüttelte energisch den Kopf. „Quatsch", kam es prompt zurück, obwohl er zugegebenermaßen etwas verunsichert von Harry's Antwort war. „Was immer es war, es ist vorbei."

„Stimmt", pflichtete Harry ihm bei, „Und glaub mir, ich war noch nie in meinem Leben so froh."

„So schlimm?"

„Ja."

Wieder senkte Harry seinen Kopf, wich Louis' besorgten Blicken aus und betete zu einem Gott, an den er nicht glaubte, dass dieses Gespräch endlich enden würde. Er schämte sich so für die Dinge, mit denen er sein Geld verdient hatte - dabei hatte er es so dringend gebraucht, um Entzugserscheinungen und Suchtdruck zu verhindern...

Da atmete er tief durch und stieß ein langes, tief klingendes Seufzen aus. „Ich habe mit anderen Männern geschlafen", flüsterte er, so leise, dass Louis Mühe hatte, ihn zu hören - aber er verstand ihn, und seine Augen weiteten sich.

Unbewusst distanzierte Louis sich einige Zentimeter von Harry und war vor Entsetzen ganz starr. Es war ihm nicht möglich, auch nur ein Wort aus seinen aufgeregten Lungen zu pressen; obgleich Harry ihm gerade sein Herz ausgeschüttet und ihm sein dunkelstes Geheimnis offenbart hatte. Er wusste, dass das eine Menge Vertrauen brauchte.

Louis' offensichtlich schockierte Reaktion ließ Harry ein leises Wimmern ausstoßen, das beinahe einem Schluchzen glich. Er wünschte sich nichts mehr, als ein wenig Heroin - nur ein bisschen, um die Schmerzen zu betäuben...

Er hatte das Gefühl, innerlich auseinandergerissen zu werden; noch nie hatte er diese Dinge jemandem anvertraut, noch nie hatte er so offen mit jemandem über seine Vergangenheit gesprochen. Noch nicht einmal Liam hatte er freiwillig anvertraut, weshalb er in dieser Wohngruppe hatte leben müssen.

Aber was hatte er jetzt davon? Was war der Nutzen seines Vertrauens gewesen? Ein angewiderter Louis, für den er zu allem Überfluss echte Gefühle entwickelt hatte; gab es für ihn denn überhaupt keine Pause von all den negativen Emotionen, die ihn seit Jahren quälte? Hatte er nicht langsam ein wenig Glück verdient?

Er hatte sich ihm geöffnet.

„Es tut mir leid", murmelte Louis, „Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll..."

Harry legte den Kopf in beide Hände. „Wer weiß das schon..."

„Was immer es war, es ist vorbei", wiederholte Louis, „Ich werde dich nicht verurteilen. Dafür bedeutest du mir mittlerweile zu viel."

Sempiternal (Larry Stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt