Kapitel 1

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Es war ruhig. Doch diese Ruhe war nicht schön, sie war nicht erleichernd, doch auch nicht bedrückend. Es war einfach ungewohnt. Es war ungewohnt, wie leise es im Haus war. Keine Musik erklang am frühen Samstag morgen, kein Staubsauger knallte gegen Möbel, nur weil man jede Ecke erwischen wollte. Keiner ging die Treppe immer wieder rauf und runter und von unten konnte man die Abzugshaube nicht hören, die sonst immer benutzt wurde. Es war drei Monate her, da sah der Samstag noch ganz anders aus. Doch nun war es ruhig. Man wurde nicht geweckt und darum gebeten noch was zu kaufen, weil man es einen Tag vorher vergessen hatte. Ich vermisste diese Zeit. Denn seit dem es nicht mehr so war, fehlte die Energie, die die lebensfrohe Frau hatte.

Doch konnte man es ihr übel nehmen? Wer war schon gerne zwanzig Jahre unglücklich verheiratet gewesen? Es war keine Überraschung, das sie ging. Zumindest für mich nicht, doch mein Vater verstand es immernoch nicht. Er war wegen einer Knieoperation auf Kur gewesen und als er wieder kam, war nur noch ich da. Angeblich durchgebrannt, verabscheute den Freund der Frau, die er noch immer liebte. Ich merkte es, sah es und hasste es. Wenn er sie wirklichh lieben würde, wäre so viel anders gewesen, dann wäre sie nicht gegangen und hätte mich nicht mit ihn alleine gelassen. Doch so alleine war ich nicht. Ich sah sie doch jede Woche, redete mit ihr.

Einmal in der Woche konnte ich ihr Lächeln sehen. Ihren verliebten Blick, wenn sie den Mann ansah, den sie wirklich liebte, der sie auch liebte. Doch von Woche zur Woche hatte ich das Gefühl, dass sie mich immer mehr vergaß. Ihre Nachichten wurden kürzer oder sie vergaß zu Antworten. Sie war zwar gegangen, doch mich hat sie nicht mitgenommen. Meine Beziehung zu meinen Vater war schwierig. Ich hasste es nach Hause zu kommen, hasste seine Stimme, sein dämliches gestöhne wegen den Schmerzen, die er in seinen Beinen hatte. Ich konnte ihn nicht bemitleiden, konnte ihn nicht wirklich ansehen. Doch jetzt? Es regnete draußen, ließ die viel zu heiße Sommerluft nach Wochen endlich abkühlen. Doch er saß drinne, saß neben mir, wärend ich die Bollognese für das Mittagessen zubereitete.

"Wie sieht es jetzt eigentlich mit der Wohnung aus, Lia?" Fragte der Mann.

Seine Haare waren kurz, vielleicht sieben Millimeter lang. Sein fetter Bierbauch war unter seinen Top verdeckt und die Arbeitshose könnte genausogut eine Jogginghose sein, schließlich tat er nicht so viel. Mein Vater war jemand, der vor allem medizinischen Angst hatte. Egal ob es ein einfacher Arztbesuch war oder eine Operation. Er heulte sich sehr oft einfach nur aus und was für eine Angst er ja haben würde. Ein Wunder, dass er keine Angst hatte seine Medikamente zu schlucken. Als ich in der sechsten Klasse war, hatte er sich vor Angst übergeben, weil mein Blinddarm entfernt wurde. Noch immer verstand ich nicht, wieso. Schließlich hatte ich die Operation hinter mir bringen müssen und nicht er.

Wenn wir miteinander sprachen, ging es um den Einkauf, seine Schmerzen oder um Dinge, die ich ihn schon hundert mal gesagt hatte. So auch dieses mal. Ich schloss genervt meine Augen hörte auf zu würzen und drehte mich dann zu ihn. Seine blauen Augen sahen mich an, Augen welche ich genauso hatte. Lieber hätte ich die grün-braunen Augen und das dunkle Haar meiner Mutter bekommen. Doch nichts da. Hellbraune, fast blonde Haare, wie mein Vater sie in seiner jugend trug und blaue Augen mit weißen Sprenkeln, wodurch sie einen graustich hatten. Nur meine Sportliche Figur und ein paar feine Gesichtszüge hatte ich von meiner Mutter geerbt bekommen.

"Ich hab dir doch schon drei mal erzählt, dass ich sie bekomme. Dienstag hab ich den Mietvertrag mit Mutti geholt gehabt." Ich bemühte mich nicht zu genervt zu klingen.

"Das hast du mir nicht erzählt." Genervt sah er mich an.

Trink weniger, dann weißt du es vielleicht.

"Doch hab ich und das ich am ersten Oktober da einziehen werde. Mehrere male. Sonst hätte ich dir doch nicht gesagt, dass ich später nach Hause komme, genau das war doch der Grund gewesen." Ich drehte mich wieder zu meinen Topf um und schmiss die letzten Gewürze rein.

"Das du da ausziehst weiß ich, aber mit dem Vertrag hast du nichts erwähnt gehabt!" Zischte der Mann.

Ich ließ ihn einfach in seinen Glauben und wartete bis das Nudelwasser vollständig kochte. Mit ihn zu reden war meistens so produktiv, wie mit einer Wand zu reden. Seit der Trennung meiner Eltern hatte ich neben meinen Abitur mit einen Minijob angefangen. Ab Oktober würde meine Ausbildung zur Bankkauffrau anfangen. Doch bis dahin hatte ich noch etwa Zeit. Jetzt konnte ich noch etwas entspannen. Zwei Monate um genau zu sein.

Ursprünglich war geplant, dass ich mit dem Ausziehen warten würde, bis meine Ausbildung zu ende war, doch das hielt ich nicht aus. Es war Anstengend mit jemanden zu leben, den man alles hundert mal erzählen musste. Als das Wasser kochte, tat ich die Spagettis rein und machte die Bolognese auf eine kleinere Flamme. Nikolas würde sich schon um den Rest kümmern. Hoffe ich zumindest. Doch manchmal schaffte er es ja mitzudenken. In meinen Zimmer angekommen, schloss ich die Tür zu, leider hatte mein Mitbewohner die Eigenschaft einfach so ins Zimmer zu kommen. Nicht nur einmal sind wir deshalb aneinandegeraten.

Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich eine Nachicht von Janine hatte. Sie war sowas wie meine beste Freundin, wobei das auch nicht wirklich die Wahrheit war. Schließlich war sie so gut wie mit jeden befreundet, den sie traf. Sie hatte so eine Persönlichkeit, die niemand hassen konnte, sobald man sich ein mal mit ihr unterhielt. Für sie war ich eher eine von vielen Freunden und Bekannten. Doch für mich, die gerade mal an einer Hand ihre Freunde abzählen konnte, war sie eine sehr gute Freundin. Als ich noch dabei war ihre Nachicht zu beantworten, blinkte einen neue auf den Display auf. Sie war von Noah. Welcher mein bester Freund war. Als wir noch klein waren hatte der zwei Jahre ältere neben uns gewohnt. Er ist dadurch ein Freund den ich noch von der Sandkiste kannte. Nachdem ich auch ihn geantwortet hatte, dass das Treffen noch immer klar stand, legte ich das Handy zur Seite. Draußen wurde es mit einen Schlag heller, als die Wolken eine kleine Lücke für die Sonne bildeten. Von meinen Fenster aus konnte ich es sehen. Nur ein paar Häuser weiter, bildete sich ein Regenbogen, der genauso schnell verschwand, wie er aufgetaucht war.

No escapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt