Kapitel 46

1.3K 79 4
                                        

Wir hielten auf einen Parkplatz mit ekeligen Toilettenhäusern, doch ich ging rein, erleichterte mich und kaum war ich draußen, begrüßte mich der dunkelhaarige Mann. Niemand war hier, wir waren alleine auf den Parkplatz. Fast surreal, immerhin kannte ich die Parkplätze fast nur gefüllt und wenn es ein LKW wäre. Aber so komplett alleine, hat es dann doch etwas gruseliges. Mein Blick ging auf den Weg zum Auto in die Ferne. So gerne würde ich einfach meine Beine in die Hand nehmen. Von mir aus irre ich dann auch ein paar Tage umher, bis ich jemanden finde. Doch ich würde keine zwei Schritte von ihn weg kommen, da würde er mich schon wieder nach hinten ziehen. Mein Bein tat weh, ich humpelte leicht und wer weiß, wie es sein würde, wenn ich tatsächlich fliehen würde. Er würde mich finden, da war ich mir ganz sicher.

"Du denkst doch schon wieder an etwas dummes, nicht wahr, Sayo?" Ich sah zu den Mann auf.

Dieser kalte Blick...wie ich ihn hasste. Schau mich doch nicht so an, schau mich nicht so an, als wäre ich Abfall. Ich verstehe es doch auch so. Ich verstehe, dass ich in deinen Augen nur Vieh bin, dass dir den Haushalt abnehmen sollte. Aber bitte, bitte schau mich wenigstens ein mal so an, als wäre ich ein Mensch. 

Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte, ob er wirklich eine Antwort erwartete. Aber würde er keine Reaktion als ignorieren ansehen? Wenn ja, dann musste ich etwas tun, doch mir fielen sofort keine passenden Worte ein. Ich sah ihn an, er das erste mal seit Stunden mich. Was ihn wohl durch den Kopf ging, wenn er mich ansah? Würde er mich als abscheulich und erbärmlich sehen? Bemitleidenswert glaubte ich nicht. Wenn er Mitleid hätte, würde er anders mit mir umgehen. Als wäre ich erschöpft, entwich mir ein leichtes Seufzen, ich sank meinen Blick wieder.

"Nur sinnlose Gedanken." Erwiderte ich schlussendlich.

Der Mann öffnete mir die Beifahrertür und ließ mich einsteigen, er schloss mich nicht sofort ein, stellte sich aber so hin, dass ich nicht abhauen könnte.

"Wie lautet dein Name?"

"Sayo, Herr." Mittlerweile störten mich diese Fragen nicht mehr.

Routine. Sie war es, die mir keine neuen Antworten in den Sinn kommen lassen würde. Routine und die Art und Weise, wie mir die richtigen Antworten ans Herz gelegt, nein gefoltert, wurden.

"Wer hat dich so benannt?"

"Sie Herr."

"Wieso kann ich dir einen Namen geben?" 

"Weil ich Ihr Eigentum bin." Ich sah ihn an, wenn auch nicht ins Gesicht, so lag mein Blick auf seinen Bauch.

"Wann hat dein Leben begonnen? Wann deine Existenz?" Manchmal änderte er die Formulierung der Fragen, doch sie änderte nichts an der Antwort, die ich bringen sollte.

"An den Tag, als ich Sie getroffen habe." Noch immer tat diese neue Antwort weh.

"Was ist mit deiner Familie?" Doch diese Frage tat am meisten weh. Zu verleugnen, dass es jemand gab, der sich um mich sorgte, der mich großgezogen hatte...es fühlte sich an wie Verrat.

"Ich weiß nicht, über wen Sie reden." 

Michael beugte sich zu mir, griff nach den Ring vom Halsband und zwang mich in seine Augen zu sehen.

"Du kannst so ein braves Mädchen sein. Nur denkst du zu oft an dumme Dinge. Konzentrier dich aufs wesentliche,  hast du das verstanden, Sayo?" 

"Ja, mein Herr." 

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass seine Lippen meine Haut mal bewusst berühren würden. Doch diese leichte Berührung an der Stirn, zeigte mir wieder, dass er zwischendurch auch sanft sein konnte. Es war der Himmel. Als würde man auf Wolken schlafen. Dieses kurze Gefühl der Zärtlichkeit war so unbeschreiblich schön, dass ich beibder ganzen Folter, der ständigen Angst, vergessen hatte, wie es sich anfühlte. Kurz erlaubte ich es mir, diese Millisekunden zu genießen, doch kaum flog die Tür ins Schloss, war dieses sichere Gefühl auch wieder verschwunden. Mir war kalt, ich zitterte leicht und unter meinen Pullover hatte sich Gänsehaut gebildet. 

Er wusste, dass wenn er mit mir immer nur grob umgehen würde, ich den Verstand verlieren würde. Während er die Peitsche hinterm Rücken hielt, zeigte er mir, dass es mir vielleicht besser gehen würde, wenn ich gebrochen wäre. Doch wäre das denn wirklich besser? Würde ich mich zumindest ein bisschen freier fühlen, wenn ich alles aufgab? Sogar mich selbst? Ich konnte es nicht wirklich glauben, doch sogar meine rebellierenden Gedanken waren mit Angst verbunden. Ich sah den Mann an, als er sich anschnallte, den Motor anschaltete und aus der Parkfläche fuhr. 

Wie lange diese Fahrt wohl noch gehen würde? Immerhin war schon nach dem Mittag und es fühlte sich so an, als wären wir noch lange nicht an unser Ziel angekommen. Ich versuchte zu schlafen, doch mein Körper hatte genug Schlaf abbekommen, sodass ich eher einfach ruhig da saß. Die Zeit verging und es wurde langsam dunkel. Wir parkten nach einer knapp zehn stündigen Autofahrt auf einen Parkplatz. Michael sah erschöpft aus. Er stieg aus, sagte nicht, ob ich etwas tun sollte, weshalb ich einfach sitzen blieb. Ich drehte mich nach hinten, als er den Kofferraum öffnete. Er holte den Koffer raus und deutete  mir an auszusteigen. Ich tat es, sah ihn dabei zu, wie er die Rücksitze umklappte und eine Decke und Kissen ausbreitete. Den Koffer stellte er auf den Beifahrersitz. Scheint so, als würden wir im Auto übernachten. Wie auch immer er sich das vorstellte. Das Erklärte jedoch, wieso er den großen Wagen nahm und nicht den kleineren, den ich von unserer kleinen Flucht kannte. 

Ich ließ die Schuhe im Vorderraum und hüpfte mehr oder weniger in den vergrößerten Hinterraum. Der Mann kam hinterher und schloss den Kofferraum. Wir hatten vor etwa einer Stunde Abendbrot gegessen, wobei es wichtig gewesen war, dass ich im Auto blieb, während er es holte. Ich wusste nicht, ob man nach mir suchte oder in welchen Umfang. Vielleicht wusste er es, wäre auf jeden Fall vom Vorteil, wenn er es wüsste. 

Michael fing an sich auszuziehen. Ich sah währenddessen auf das, was man draußen erkennen konnte, wobei das nicht viel war, da hier drinnen Licht schien. Als er fertig war, griff er nach dem Saum meines Pollovers, doch ich griff nach seinen Handgelenken.

"Mir ist kalt."

Doch er brauchte nichts sagen. Ihn interessierte es nicht, ob ich fror und dementsprechend saß ich bald nur noch in Unterwäsche da. So schnell es ging, versuchte ich unter die Decke zu kommen, was er auch zuließ. Der Mann schnappte sich sein Handy, rief jemanden an und legte sich während des Wartens zu mir. Für ihn war es etwas eng, wodurch wir diagonal lagen. Der Dunkelhaarige verband sein Handy mit einen Kopfhörer und legte das Handy zur Seite.

"Wie ist die Lage?" Ich hörte die Antwort nicht.

Auch wenn es nie hieß, wohin wir fuhren, so vermutete ich, dass es wieder etwas mit Simon zu tun hatte. Andererseits kannte ich auch niemand anderen so wirklich. Zitternd lag ich neben den Mann, versuchte etwas von seiner Körperwärme zu erhaschen. Eigentlich war es eher unbewusst, dass ich mich an ihn drückte. Ich sollte mich nicht wundern, dass er nicht fror, immerhin hatte er sein Shirt und eine Boxer an, während ich hier nur in Tanga lag. 

"Wir werden morgen Abend ankommen, je nachdem wie der Verkehr sein wird, denk ich um 19 Uhr " Wieder Ruhe.

Ich spürte seinen Blick auf mir, kurz drauf zog der Mann mich auf sich und legte die Decke kokonartig über uns.

"Ja ca. die Hälfte. Kann aber schlecht Sayo fahren lassen. Zum Schluss penn ich ein und wache vor einen Polizeirevier auf." Wurde gescherzt.

Das Telefonat ging noch eine Weile, dann legte er auf und schmiss den Kopfhörer auf den Fahrersitz. Das Licht wurde endlich ausgeschalten. 


No escapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt