Zeit. Sie war ein Konstrukt um Ordnung von den Chaos abzugrenzen. Ein Konstrukt um das Leben zu vereinfachen. Früher hat man sich einfach an der Sonne orientiert später an der Uhrzeit. Ein Konstrukt um alles zu vereinfachen, um festzuhalten. Wenn man einen die Zeit nahm, kam es zur Verwirrung. Nicht weil man nicht auf die Idee kommt, sich an der Sonne zu orientieren, sondern weil man einen alles nimmt, was man zur Orientierung hätte. Künstliches Licht brachte einen nichts, außer man würde es so einstellen, dass es die Helligkeit von draußen widerspiegeln. Hier war aber nur Licht, wenn er kam. Wenn er entschied, dass ich was sehen sollte. Wenn er entschied, dass ich schlafen sollte, herrschte Dunkelheit. Wie oft hatte mich seine Peitsche getroffen? Wie oft war er nur gekommen um mich zu bestrafen? Lag ich hier eine Woche? Zwei? Nur ein paar Tage? Er gab mir keinen Rythmus. Er gab mir keine Erklärung, dass er Frühs und Abends kam oder nur einmal. Er sagte nichts.
"Wie lautet dein Name?"
Wie oft hatte er das gesagt? Wie oft hatte ich wiedersprochen? Wie oft habe ich seinen Wunsch nach richtig geantwortet? Wie oft ist mir ausversehen der Name rausgerutscht, den meine Eltern mir gegeben haben? Wie viele Schriemen waren an meinen Rücken und wie oft hatte er ausgeholt? Er trug sie nicht mehr bei sich. Er kam ohne, gab mir essen und fragte mich wieso ich Sayo hieß.
"Wieso Sayo? Wieso nicht Lia?"
Er erinnerte mich immer wieder daran, dass Sayo nicht mein echter Name war. Jedes mal musste ich antworten, jedes mal sagen, dass ich so hieß, weil er es wollte. Als meine Wunden besser wurden, musste ich wieder in die Positionen gehen, in denen er mich wollte. Doch ich war schwach. Noch immer tat vieles weh, doch ich biss die Zähne zusammen. Ich musste mich benehmen. Mich benehmen. Ich hatte das Gefühl durchzudrehen, den Verstand zu verlieren. Wie oft saß ich da und wartete darauf, dass er kam und mich auspeitscht? Wie oft hatte ich Panik, als er zu mir kam? Wie oft fiel ich vor ihn zu Boden und entschuldigte mich? Oft. Wenn er kam, dachte ich an die Schläge, an die Schmerzen. Ich flehte ihn an, mich zu verschonen, bat um Vergebung und versprach, dass ich nie wieder fliehen würde. Ich betete ihn förmlich an, wenn er sich zu mir runter beugte und mir sagte, dass er mir verzeihen würde.
Die Einsamkeit machte mich verrückt. Ihn zu sehen und Angst zu haben, ließ mich durchdrehen, doch er strahlte eine unheimliche Ruhe aus, wenn er mich nicht auspeitschte. Es wirkte beruhigend. Manchmal blieb er etwas. Manchmal saß ich still zu seinen Füßen, wärend er die Verbände aufwickelte. Als er aufgehört hatte mich auszupeitschen, hatte er meinen ganzen Körper verbunden. Eine Sache blieb aber anders, als die ersten Wochen hier. Er trug immer Hosen mit Gürtel, nicht mehr die Jogginghose. Er nutzte nicht mehr die Peitsche, sondern den Gürtel. Es genügte ein kleiner Fehler und ich musste meine Unterarme freilegen.
Er wusste es. Er wusste, dass er mich ein und eine halbe Woche ausgepeitscht hatte, er wusste, dass ich eine Woche schon Ruhe hatte und er wusste, was und wie lange er das nächste tun würde. Er hatte seine Orientierung, seinen Tagesablauf. Er wusste genau, an welchen Tagen er nur kurz da war und an welchen er sich Zeit ließ.
"Herr?" Fragte ich, als ich merkte, dass er keine neuen Verbände um meinen Körper wickelte.
"Ja Sayo?"
Wenn ich mich benahm, durfte ich reden. Nicht viel. Er wollte sich nicht groß mit mir unterhalten. Doch er ließ mich reden. Das war nett. Trotzdem fragte ich ihn immer, bevor ich mit ihn sprach. Sonst war es falsch, sonst tat es weh. Er stand am Waschbecken und wickelte die Verbände auf.
"Bekomme ich Reinigungsmittel? Bitte?" Unsicher sah ich zu ihn auf.
Er zögerte, ich hielt die Unterarme hin. Wenn ich es nicht tat, würden es mehr Schläge werden.
"Klar." Meinte er mit einen mal.
Ich senkte meine Hände, leichte Freude war in meinen Augen zu erkennen.
"Danke Herr."
Er reagierte nur mit einen Nicken. Michael hatte die Heizung angemacht, damit ich nicht erfrieren würde, trotzdem war es in den Raum nicht angenehm warm. Auf seinen nackten Armen hatte sich Gänsehaut gebildet. Ich würde wirklich gerne wissen, wie lange ich schon hier war. Wie viel Zeit vergangen war. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Doch wie lange war es wirklich? War draußen noch Sommer? Schon Herbst? Das Weihnachten war, würde ich nicht glauben. Aber vielleicht waren wir schon kurz davor. Wenn ich alleine war, dachte ich oft nach. Über alles. Und ich weinte viel. Wenn ich weinte und er kam, wartete er geduldig, bis ich fertig war.
Ich blieb still auf meinen Teppich, sah ihn weiterhin zu. Als er fertig war, schmiss er alles in einen Beutel und verließ mich wieder. Das Licht blieb an. Also war Tag? Ich vermutete es zumindest. Für mich war es mein Tag. Ich blieb sitzen. Meine blauen Flecken waren mitlerweile komplett weg, trotzdem sah ich furchtbar aus. Ich war froh, mich selbst nicht ansehen zu müssen.
Mein Kopf lehnte sich an die Wand. Mir tat die Brust weh. Alleine zu sein war das schlimmste. Die Ruhe. Ich hasste sie, doch es dauerte nicht lange, bis er wiederkam. Er stellte mir alles hin und kam dann zu mir.
"Ich fahre jetzt einkaufen, wenn ich wieder da bin, bringe ich das Zeug wieder hoch. Willst du eine Kleinigkeit haben?"
Was? Ich sah ihn so unglaubwürdig an, als hätte er mir gerade verkündet, dass er schwanger ist. Total überfordert machte ich mich klein. War das eine Funfrage? Wollte er sich über mich lustig machen? Er nickte nur und meinte, dass er mir was mitbringt.
Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, stand ich auf und zog die Handschuhe an.
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No escape
SonstigesNeugier war eine Eigenschaft, die man bei Intelligenten Menschen wieder finden konnte. Ein Zeichen für Intelligenz. Doch meine Neugier hat mich ins Verderben gezogen. Aber war es wirklich Neugier? Ich konnte mich noch an meine zitternden Beine und a...