Kapitel 44

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Fast schon geschickt wickelte der Mann den Verband. Ich beobachtete ihn dabei, bemühte mich, nicht einzuschlafen. Die letzten zwei Nächte hatte ich durch gemacht. Ich konnte nicht mehr, war am Ende. Michel stand auf, schmiss den alten Verband in einen Müllbeutel und räumte den Koffer ordentlich ein.

"Wie ist dein Name?" Fragte er beiläufig.

"Sayo."

"Ich meine deinen richtigen Namen." Ich wusste, was er wollte. Ich wusste, wie ich antworten sollte, auch wenn es etwas her war, dass er mich gefragt hatte.

"Ich heiße Sayo." Wiederholte ich mich, jedoch ausführlicher.

"Wie haben dich deine Freunde genannt? Welchen Namen hat dir deine Mutter gegeben?" Er sah mich nicht an, er konzentrierte sich nicht auf unser Gespräch. Es war eher etwas nebensächliches.

"Tut mir leid, Herr. Ich weiß nicht über wen sie reden." Er hielt inne.

Die Antwort kam flüssig. Auch wenn mit diesen Worten etwas in mir starb, so kam die Antwort wie selbstverständlich. Er sah mich an, ich ihn.

"Ich bin einfach nur Sayo." Bestätigte ich meine vorherigen Aussagen.

"Freut mich, Sayo." Als hätten wir uns gerade einander vorgestellt. "Dir liegt etwas auf der Zunge. Was ist es?" Er gestattete mir nur Gespräche, wenn ich mich so verhielt, wie er es wollte. Es war eine kleine Freiheit, die mir blieb.

"Bleiben Sie hier?" Wollte ich wissen.

"Wie bitte?" 

"Sie gehen doch jetzt oder? Können Sie nicht bitte hier bleiben, Herr?" Er sah mich an, ein leicht amüsiertes Mundzucken war zu erkennen.

"Wieso sollte ich hier bleiben?" Hinterfragte er meine Bitte.

Ich konnte ihn nicht weiter ansehen, sank meinen Blick. Es war beschämend es zu sagen. Zuzugeben, wie sehr ich wollte, dass er bei mir blieb.

"...Ich...Ich möchte nicht mehr alleine sein...Ich möchte bei ihnen sein, Herr." 

Er sah auf mich herab, schloss dann den Verbandskasten und stellte ihn vor die Tür, die offen stand, damit etwas Luft ausgetauscht wurde. Kurz verflog meine Hoffnung, dass er auf meine Worte hören würde, doch dann kam er wieder, hockte sich vor mich, nahm mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und Zwang mich ihn anzusehen.

"Wem gehörst du?"

"Ihnen, Herr."

"Was heißt das genau?" Wollte er wissen.

Ich sah ihn an, ordnete meine Worte, bevor ich sprach. 

"Dass ich ihr Eigentum bin. Mein Körper und mein Geist steht Ihnen zur freien Verfügung."

"Ich kann mit dir machen, was ich will. Ohne mich, bist du ein nichts, ein niemand. Ich gebe deinen erbärmlichen Leben einen Sinn. Wirst du also brav sein und mir folgen?" Ich hasste diese Worte. 

Sie ließen mich wie Müll fühlen, wie Abfall, den man einfach von der Straße mitgenommen hatte. Als wäre ich Sperrmüll, den er für eine gute Deko hielt. Ich hasste diese Worte, denn ich fing an sie zu glauben, als würde er es wirklich ernst meinen. Tränen stiegen mir in die Augen. Wenn ich so erbärmlich war, wieso war ich dann hier? Wieso lag ich nicht unter der Erde? warum nimmt man so etwas wertloses wie mich mit nach Hause? 

"Ja, Herr." Natürlich sah er es mir an.

Es war viel zu offensichtlich um es nicht zu bemerken. Als die erste Träne über meine Wange lief, wischte er sie mir weg. Kurz darauf wurde ich von der Kette befreit. Er half mir auf die Beine und führte mich nach oben ins Badezimmer. Ich sah ihn an, versuchte zu verstehen, was er jetzt von mir wollte.

"Geh duschen, rasiere dich und komm dann ins Schlafzimmer. Ich warte dort auf dich, ok?"

"Verstanden, mach ich, Herr." Er ging.

Ich flüsterte ein leises danke, doch ob er es hörte wusste ich nicht. Das Waschen war Anstrengend, doch ich schaffte es, ohne mich zwischendurch hinzusetzen. Als ich komplett trocken war, cremte ich meine Haut ein und während diese einzog, putzte ich meine Zähne. Ich lief langsam, doch das Schlafzimmer war gegenüber vom Bad, sodass der Weg nicht so lang war. Wie versprochen wartete Michel da, welcher telefonierend am Bettrand saß. Ich ging zu ihn, kniete mich vor ihn ordentlich hin und wartete. 

"Ja ich verstehe." Ich verstand nicht ganz, was der Gesprächspartner sagte. Aber es schien wichtig zu sein.

Die Veränderung seinerseits kam plötzlich, ich verspannte mich sofort, als der Mann die Kälte ausstrahlte, die er sonst während der Bestrafungen aufbrachte. Er selbst wirkte angespannt. Unbewusste machte ich mich klein, wagte es kaum mich zu bewegen, was ihn auffiel. Michael zog mich an sich ran und legte meinen Kopf auf seinen Schoß. Sanft fuhr er durch meine Haare, als würde er mir zeigen wollen, dass es nicht an mir lag und ich nichts falsch gemacht hätte.

"Mh. Ich bin übermorgen bei dir." Damit legte der Mann auf.

Es war, als würde er sich mit tiefen ein und ausatmen beruhigen wollen, doch das klappte so semi gut. Ich sah zu ihn auf, wollte verstehen was los war. Er schüttelte auf meine unausgesprochene Frage aber nur den Kopf. Meine Augen landeten auf den großen Pflaster, welches seine Schusswunde bedeckte. Wie lange würde es dauern, bis sowas abgeheilt war? Ich wurde aus meinen Gedanken geholt, als Michael aufstand und die Creme für meinen Rücken holte. Ich ließ mich eincremen und wartete dann. Als der Mann vom Badezimmer wiederkam, zog er mich mit aufs Bett. Ich lag bauchlinks, da die Creme noch nicht ganz eingezogen war. Der Mann legte sich zu mir und mir und fing an mich zu kraulen. 

"Werden Sie lange unterwegs sein?" Wollte ich wissen.

"Ich weiß es nicht. Vielleicht sind wir ne Woche unterwegs, vielleicht sogar einen Monat." 

"Wir?" Ich drehte meinen Kopf zu ihn.

"So lange kann ich dich nicht alleine lassen. Ich nehme dich mit, aber ich werde dich tagsüber in den Zimmer lassen." Erklärte er.

"Also sind Sie Abends wieder bei mir?"

"Je nachdem wie die Situation ist. Wenn du brav bist, darfst du mich auch tagsüber begleiten."

"Wirklich?" 

"Ja, aber zuerst musst du mir beweisen, dass du dich wirklich benehmen kannst." 

Ich nickte, zufrieden zuckten seine Mundwinkel. Der Mann drehte sich zu mir und zog mich in seine Arme. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Er roch leicht nach Zigaretten, hatte heute wohl geraucht. Er hatte immer einen herben Geruch, der trotzdem nicht unangenehm war. An manchen tagen, roch er aber nach diesen Qualm. Er war kein Dauererraucher, soviel konnte ich feststellen und auch wenn es komisch klang. An manchen Tagen wirkte es so, als würde dieser Geruch sein äußeres komplett abrunden.

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