Kapitel 60

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Pias POV

"Da ist er ja!", ruft Maurice mit einem gefälschten Enthusiasmus durch den Raum, sobald Niki und ich die Klasse betreten. Und natürlich liegen alle Augen auf uns - Naja, auf Niki, aber ich fühle mich genauso angestarrt.

"Hast du wirklich gestern geheult, weil du gemobbt wirst?", fragt Laura amüsiert auf ihrem Tisch sitzend.

Geheult?

"Geheult?", spricht Niki meine Gedanken aus.

Er setzt sich auf seinen Platz und ich frage mich, wie er so entspannt sein kann, wenn die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse gerade auf ihm liegt.

"Maurice sagt, du hast rumgeheult, weil du angeblich gemobbt wirst."

"Wenn Maurice das sagt, wird es wohl stimmen", gibt Niki desinteressiert von sich.

"Ich wusste, das stimmt nicht", lacht Laura.

"Er hat rumgeheult! Er hat doch gerade gesagt, dass es stimmt!"

Nie im leben hat Niki rumgeheult.

"Du brauchst jetzt nicht versuchen, irgendwelche Sachen zu erfinden, nur weil du böse bist, dass deine Nase gebrochen ist", werfe ich ein und nehme Platz neben Hannah.

"Ach, fickt euch doch", er winkt mit einer Handbewegung ab.

"Er ist übrigens adoptiert, seine Mutter ist weiß", Maurice scheint es noch ein letztes mal zu versuchen, Niki irgendwie zu schaden, aber es reagiert keiner so richtig. Nicht mal Niki selbst.

"Das weiß schon jeder. Er ist Lucas kleiner Bruder...", klärt Niklas seinen Kumpel vorsichtig auf, "Und Luca ist der, der Jonas eine reingehauen hat, nachdem er Niki in den Pool geschubst hat."

"Ich weiß, wer Luca ist!", entgegnet Maurice wütend. Unsere Lehrerin betritt den Raum und schon bald beginnt der Unterricht.

Ich kann Maurice' Frustration schon etwas verstehen. Ich hätte auch ungern eine gebrochene Nase und ich wäre auch ungern zu dumm, um jemanden im Nachhinein eins reinzuwürgen.

Es ist schön, Niki wieder in der Schule zu haben. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun soll und ich hab es vermisst, die ein oder andere Pause in unserem geheimen Raum zu verbringen. Mich in der Nähe meiner Klasse aufzuhalten, damit ich nicht so allein bin, und ihren Gesprächen zuzuhören, war mental belastend - selbst wenn es nur paar Tage waren.

Nach der Schule fragt Niki mich auf dem Schulhof, ob ich wieder zu ihm kommen will und ich verneine. Ich muss irgendwann auch mal wieder in meinem eigenen Bett schlafen.

"Aber du kannst auch heute Abend noch nachhause gehen", sagt er.

"Ich werd vor dem Abendessen nachhause gehen", stimme ich zu.

Ich sollte aufhören, mich so einfach überreden zu lassen.

Nachdem wir bei Niki zu Mittag gegessen haben, warte ich alleine in seinem Zimmer, da er noch eine Therspiestunde hat. Ich hab ganz vergessen, dass Nadine nicht nur seine Adoptivmutter sondern auch Therapeutin ist. Deshalb war ich etwas verwirrt, als sie ihn am Esstisch an ein Gespräch in ihrem Büro erinnert hat.
Unten ist abgesehen von einer Tür zum Keller noch eine weitere Tür, hinter der sich ein Büro verbirgt, wovon ich bis heute nichts wusste.

Neugierig stöbere ich durch seine Schmuckbox auf dem Regal. So viele Ohrringe, hauptsächlich silber, davon würde er die Hälfte doch sowieso nie tragen, weil er aus Bequemlichkeit immer denselben Ohrschmuck trägt.
Und augenblicklich frage ich mich wegen der gestrigen Ereignisse, ob er all das wirklich gekauft hat oder ob es einfach nur geklaut ist. Genauso bei den ganzen Ketten. Kein Wunder, dass er so viel ungetragenen Schmuck besitzt, wenn er für die Hälfte davon sowieso nichts bezahlt hat.

Definitely Not a SociopathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt