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Nachdem ich mehrere Tage immer zu Ace ging musste ich auch mal wieder zurück nach Hause.
Meine Abwesenheit wurde von Lady mit einem bösen und lauten Miauen bestraft.
Und auch mein Onkel war etwas nervös, als er mich zu sich ins Arbeitszimmer rief.
"Ja? Ist etwas?"
Ich kam nur zögernd rein, denn ich spürte seine Anspannung.
"Morgen früh will ich das du dich gut anziehst."
Ich verstand nicht ganz was mein Onkel mir sagen wollte und sah ihn nur fragend an. "Das keiner dich aufgehalten hat ausschließlich bei Ace zu sein hat seinen Grund. Er hat dich abgelenkt und dir offensichtlich gut getan, dennoch darfst du nicht vergessen das die Geschichte mit John nicht fertig ist. Der Termin wurde auf morgen früh verlegt."
Ich musste zugeben, mit Ace an meiner Seite, hatte ich John und alles um ihn herum vollständig verdrängt. Einfach nicht mehr dran gedacht und auch kein beklemmendes Gefühl mehr in der Brust verspürt. Doch nun war es wieder da und es pochte unaufhörlich. Lautstark und brennend unter meiner Haut. "Ich bereite mich vor. Ist ja nicht das erste Mal das ich etwas vor Gericht erzählen muss das mir unangenehm ist." Ich versuchte das Gefühl weg zu lächeln, aber Onkel Sam durchschaute mich, stand auf und kam auf mich zu. Er umarmte mich und hielt mich fest an sich gedrückt. "Mach dir keine Sorgen. Dr. Swanlee kommt. Und wir sind ja auch alle da. Nur Ace nicht. Ich möchte auch nicht das er kommt. Sag ihm am besten erst gar nicht bescheid."
"Aber..." Ich ließ die Umarmung etwas lockerer werden, aber nicht ganz los. "Nichts Aber. Kannst du dir nicht vorstellen das es zu Problemen kommen könnte wenn Ace auf John trifft?"

Widerwillig musste ich zustimmen und versprach Ace nichts zu erzählen.
Der ganze Nachmittag ging damit drauf das wir wieder und wieder durch gingen was ich sagen wollte und wie ich es sagen wollte. Ich lernte auch den Staatsanwalt kennen den Onkel Sam bereits ins komplette Bild gesetzt hatte.
Es dauerte Stunden die wir im Wohnzimmer saßen. Mich immer wieder durch alles durchquälen zu müssen tat nicht nur mir weh, sondern auch meiner ganzen Familie. Irgendwann musste mein Onkel meine Mutter aus dem Zimmer schicken. Sie war völlig aufgelöst und störte irgendwann nur noch mit Fragen oder Forderungen die fast schon unmöglich erschienen.
"Gut ich denke wir sind fertig. Unser Gegenüber ist schlau und weiß wie man sich charmant gibt. Ich hatte ja schon einmal das Vergnügen ihn zu sprechen, allerdings tat er noch so als könnte er sich noch immer nicht erinnern. Entweder kann er es nicht oder er ist verdammt gut." Der Anwalt schloss seine Tasche und machte sich auf den Weg nach draußen. Ich selbst ging nach oben und wollte nur noch schlafen. Zumindest wollte ich es versuchen, egal wie spät es war. Wir hatten alles einfach zu sehr durchgekaut das ich jetzt nicht mal ansatzweise Energie über hätte. Doch schlafen war leichter gesagt als getan.
Kaum hatte ich die Augen geschlossen kamen die Albträume wieder zurück und jedes einzelne Bild in meinem Kopf war so klar, als wäre es erst gestern passiert und nicht schon Wochen her. Dies wiederholte sich die ganze Nacht über.

Ich wälzte mich die halbe Nacht hin und her und wachte nicht nur völlig verschwitzt auf, sondern auch mit Schmerzen an beiden Unterarmen. Mit Schrecken blickte ich auf eine Decke die überall mit Blutflecken bedeckt war, als wäre ich in eine True Crime Szene herein geraten.
"Ah!" Ich fiel fast aus dem Bett, als ich aufsprang und versuchte die Situation erst einmal zu verstehen.
Beide meiner Unterarme waren an den Innenseiten aufgekratzt, dunkelbraunes, getrocknetes Blut klebte noch stellenweise an meiner Haut und Fussel der Bettwäsche steckten in den Kratzern.
"Mama?..André?"
Völlig geschockt wusste ich nicht nach wem ich zu erst rufen sollte und stand einfach nur so im Raum bis die Tür aufgerissen wurde und mein Vater als erster herein stürmte und ohne Zeit zu verlieren auf mich zu kam. "Was hast du gemacht!" Sorgenvoll sah er sich beide meiner Arme an, als er den Kopf nur leicht drehen musste um die Blutflecken auf Decke, Bettlaken und Kissen zu sehen. "Ich ... ich bin so aufgewacht." Völlig aufgelöste hielt mich mein Vater fest, als auch schon meine Mutter, André und Onkel Sam hoch kamen.
"Hast du das im Schlaf gemacht?" Ich nickte lediglich auf Andrés Frage und ging mit ihm ins Bad um meine Arme vorsichtig zu säubern. "Geh erst einmal duschen, danach versorgen wir deine Arme."
Ich war so müde das ich unter der warmen Dusche fast eingeschlafen wäre und gähnte solange bis ich mich wach schütteln musste. "Reiß dich zusammen. Nur noch heute. Dann kann ich das Kapitel schließen. Nur noch heute, so wie bei Alex. Er wird bestraft. Da bin ich mir sicher."
Ich redete mir Mut zu und auch Hoffnung und besonders letzteres war nötig, denn gerade jetzt unter der Dusche erinnerte ich mich plötzlich an die Geschichte mit Alex.

Wolke 6 1/² - für mehr hat's nicht gereichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt