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"Guten Morgen."
Ich schreckte aus dem Tiefschlaf hoch, als man mir einen klingelnden Wecker vor die Nase hielt.
Das grelle Licht vom Display brannte sich förmlich in meine Netzhaut und auch mein Gesicht tat weh.
"Meine Brille?" Mühselig tastete ich den Tisch neben mir ab und fand sie auch schon direkt. "Komm steh auf. Sonst verpasst du noch das Frühstück."
Die Nacht war vorbei und ich fühlte mich wie unter sie Räder gekommen. John war im Gegensatz zu mir blendend gelaunt und schon dabei sich an zu ziehen. Er war gerade dabei sich seine Hose an zu ziehen. Sein Hemd, dieses Mal ein betongraues, war noch über die Stuhllehne geworfen, als er das Unterhemd schon hinein stopfte.
"Schon gut. Ich steh schon auf." Ich versuchte mich mühselig auf zu raffen, da zuckte ich direkt zusammen.
Meine Schenkel klebten und meine Hose war noch immer an meinen Knöcheln.
Gestern Abend war ich eingeschlafen ohne mich zu säubern oder die Hose wieder hoch zu ziehen. Ace hätte mich in so einem Fall wenigstens gesäubert und wieder vernünftig angezogen, doch John schien dies nicht für nötig zu halten, stattdessen musste ich nun mit dem eingetrockneten Resten, die fusselig an meiner Haut noch zu finden waren ins Bad und es selbst erledigen.
"Oh nein, was hab ich getan?" Leise und für mich im Bad duschte ich erneut und schrubbte meinen gesamten Körper übertrieben stark ab. Als würde ich versuchen das gestrige ab zu waschen, aber bis auf den Schmutz floss nichts weiter in den Abfluss und mein schlechtes Gewissen blieb am mir haften.
"Komm beeil dich! Sam schrieb er wartet schon unten im Restaurant."
Ungeduldig klopfte John an und kam kurz darauf hinein. "Du hast deine Sachen vergessen. Ich leg sie dir hier hin."
Jedes Wort von ihm, was er sagte und wie er es sagte, machte den Eindruck als wäre absolut nichts passiert. Als wäre er null berührt davon und wenn man ihn ansprechen würde, dann würde er es als Nichtigkeit abtun. Da war ich mir sicher. Egal was passiert war, sein Verhalten hatte sich mir gegenüber nicht geändert.
"Komm zieh dich um." Er sah es wohl als endgültig erledigt an hinaus zu gehen, während ich mich umzog. Stattdessen wandte er sich einer ausgiebigen Gesichtspflege zu und sah sich anschließend das etwas nach gewachsene Haar an. "Soll ich sie wachsen lassen oder weder auf paar Zentimeter runter rasieren?"
Seine Frage über sein Haar war mir gerade vollkommen egal.
"Das kommt kein zweites Mal vor. Hörst du John? Das von gestern. Das passiert nicht noch einmal. Nimm Marek wenn du es nötig hast. Ich bin mir sicher er bietet sich liebend gerne an."
In Rekordgeschwindigkeit schlüpfte ich in die Jeans, streifte das weiße Hemd über und zog darüber eine Anzugweste.
Locker-schick gefiel mir sehr. An meiner alten Schule wäre ich definitiv dafür gemobbt worden. Ace aber hätte nichts gesagt. Ihm hatte es wahrscheinlich auch noch gefallen. "Ah" ich sah auf mein Handy und sah das er mir geschrieben hatte. Seine lieben Nachrichten sorgten sonst für ein warmes Gefühl in meiner Brust. Jetzt stachen die Worte: "ich liebe dich und Schlaf gut."
Es war definitiv nicht der richtige Moment oder Art ihm alles zu beichten. Ich beschloss erst einmal nur von der Messe zu erzählen und tippte alles was ich dort sah und auch über meinen Onkel und seine Frau ins Handy, während ich einfach nur Johns Rücken hinunter zum Fahrstuhl folgte. "Hey Nathe. Das von vorhin, mit Marek... Wer sagt dir das ich nichts mit ihm hab. Er ist klein und niedlich. Außerdem äußerst devot."
Johns Worte rissen mich von meinem Handy fort und ich steckte es zurück in die Tasche.
"Bitte? Ernsthaft?" Vor seiner Antwort öffneten sich schon die Türen und er trat den ersten Schritt raus. "Wer weiß. Du siehst doch wie er mich anhimmelt. Er wäre sicher sofort dabei meinst du nicht auch?"
Ich konnte kaum glauben was ich hörte oder überhaupt einordnen. Nicht Mal vorstellen das er und Marek zusammen ins Bett sprangen.

Im Restaurant selbst saß nicht nur mein Onkel Sam zum Frühstück, sondern auch ein paar andere wichtig aussehende Leute. Zu meiner Überraschung auch drei bekannte Gesichter. Der eigentliche Sohn vom Holey Gründer, Sams Ex-Frau, aber auch André. Alle drei saßen nur wenige Stühle von meinem Onkel entfernt und unbekannte Personen trennten sie von einander. "Nathe, John.. da seit ihr ja. Kommt setzt euch." Nur zwei Plätze direkt neben Onkel Sam waren noch frei und kaum hatten wir uns gesetzt stellte man uns schon fertiges Frühstück vor die Nase.
Stumm verfolgte ich die ganzen Geschäftsgespräche und war beeindruckt wie souverän mein Onkel selbst heikle Themen wie Finanzierung gekonnt und gleichzeitig charmant so abwiegelte, dass keiner Zweifel an seinen Planungen hatte.
"Genug nun von diesen ganzen schweren Themen. Ich würde viel lieber hören wie sich dein Neffe zukünftig integrieren will." Plötzlich waren alle Blicke auf mich gerichtet und ich stoppte meine Hand dabei das nächste Stück Ei in den Mund zu stecken.
"Ich?"
Ich sah das schmierige Grinsen auf Hr. Holays Gesicht wachsen. Er schien meine plötzliche Unsicherheit zu genießen. "Darüber haben wir noch keine konkreten Pläne." Mein Onkel antwortete für mich. Doch dies schien nicht zu reichen.
"Aber aber... Ich hab deinen lieben Neffen gefragt. Vielleicht kann er sich was vorstellen."
Wieder sah ich dieses schmierige Grinsen, sah anschließend zur hübschen ex-Frau von Onkel Sam die lediglich permanent versuchte Augenkontakt auf zu bauen, nur um mit ihrem ex-Mann zu flirten. André selbst war komplett panisch in seinem Blick und sah meinem Onkel höchstens bis auf die Brust und nie ins Gesicht.
"Es gäbe zur Zeit nichts konkretes. Ich denke es wäre auch zu früh Pläne zu schmieden ohne vollständige Einsicht. Denken sie nicht auch, dass man erst eine vollständige Übersicht haben sollte, anstatt mit halben informationen Urteile zu fällen oder zu handeln?"
Meine Antwort machte die gesamte runde sprachlos bis mein Onkel anfing zu lachen. "Ich fürchte du hast unterschätzt wie klug er ist." Mit wütender Fratze schlug er seine Gabel zurück auf den Tisch und sprang auf. "Meine neue Firma wird dir noch einmal den Hals stopfen Sam! Wir gehen." Wie von Sinnen sprang nun auch die hübsche Frau auf und sah nervös zu Sam hinüber. Doch sein Blick war weder mitleidig noch glücklich. Viel eher versprühte er eine Atmosphäre von Arroganz und Stolz, während er ihr hinter her sah bis sie bei ihrem Mann an der Tür zum Restaurant anhielt. "André! Komm jetzt!" Mürrisch und mit knirrschenden Zähnen blickte er noch einmal zurück und winkte seinen Sohn so stark heran, dass selbst die goldene Uhr wild ums Handgelenk wackelte.
"Ich bin nicht verwundert, dass Nathe den Nagel auf den Kopf traf. Scheinbar hast du immer noch das Problem nicht alle Informationen zu besitzen." Mein Onkel ließ ganz gezielt den Chef heraus hängen, als er André aufforderte etwas zu sagen.
"Tut mir leid Vater, aber... Ich werde zukünftig für Sam..."
Noch bevor er das Wort arbeiten aussprechen konnte platzte sein Vater vor Wut. "Dann hoffe ich für dich Sam hat ein Platz für dich in seinem Haus! Die Wohnung in Deutschland ist damit auch gestorben! Die zahle ich dir sicher nicht weiter!"
Ich fühlte mich, als hätte ich eine Bombe gezündet. Ans Essen war nicht mehr zu denken. "Hab ich was falsches gesagt?" Unsicher wendete ich mich an meinen Onkel, der nur den Kopf schüttelte. "Nein absolut nicht. Ich bin stolz darauf, dass du wirklich so clever bist wie deine Mutter stets behauptet hatte. So! Essen wir doch zu Ende und schauen uns dann auf dem Messegelände um."
Als wäre nichts gewesen setzte jeder sein Frühstück fort. Nur ich starrte weiterhin auf meinen Teller.
"Nun iss. Dein Onkel weiß schon was er macht." John nickte mir zu und aß gemächlich weiter.

Wolke 6 1/² - für mehr hat's nicht gereichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt