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"Hier bitte."
Ich ließ mich genau in der Straße zu seinem Haus absetzen und ging Richtung Eingang, als ich auf den Parkplätzen ein mir bekanntes Auto entdeckte. Keine Sekunde später sprang schon meine Mutter aus dem Auto heraus und eilte auf mich zu.
"Wieso bist du hier?"
Ich wunderte mich zwar war aber heil froh, dass sie mich in ihrer festen Umarmung hielt und nicht los ließ. "Gott du bist immer noch mein Kind. Denkst du wirklich ich sitze zu Hause herum und dreh Däumchen?!" Sie ließ mich nur minimal los und sah mir direkt in die Augen. "Es gibt immer eine Lösung. Okay? Lass uns nach Hause fahren." Ich zögerte etwas, verstand aber das ich besser nach Hause sollte. "Ich möchte nur schnell was holen."
Mit einem Blick auf die späte Uhrzeit sah meine Mutter zwar weniger begeistert aus, genauso wie bei meinem wackligen Gang und nuschliger Aussprache, doch sie sprach weder meine Bierfahne noch irgendetwas anderes an, sondern lief mit mir ins Haus und hoch in seine Wohnung. "Hier warst du also immer... Ordentlicher, als ich dachte. Klein, aber alles da."
Wieder ignorierte sie die von mir umgeworfen Bierflaschen, obwohl sie jede einzelne ganz klar sah. "Ace ist kein Assi. Glaubst du's jetzt? Er hat das für mich getan." Ich fing an in seinem Kleiderschrank zu wühlen und stopfte einen seiner großen Rucksäcke voll mit Kleidung. Shirts, Pullover landeten alle zusammen mit Jacken und Kappes im Rucksack und ich stopfte ordentlich nach. "Was tust du da?" Weiterhin neugierig streifte sie Richtung Küche und sah sich den Kühlschrank genauer an, während ich den Rucksack mit seinen Habseligkeiten befüllte. Alles was mir wichtig erschien, bis hin zu seiner Schachtel, die mir persönlich wichtig war.
"Ich denke Ace kommt nicht so schnell wieder heim und was ist dann mit seiner Wohnung? Seinen Sachen? Wer zahlt das? Wo kommt alles hin? Ich will nicht das es wegkommt!"
Tränen stiegen mir in die Augen und floßen unkontrolliert herunter. Jetzt konnte ich selbst mit Brille nichts mehr sehen. Nicht Mal die kleinste Kleinigkeiten in meinen Händen waren zu erkennen.
"Baby, das regelt sich alles schon. Und er wird ja noch nicht eingesperrt. Normalerweise lassen sie solche Leute noch frei rumlaufen bis zum Verfahren. Ok? Nimm nicht alles mit. Dein Papa und ich regeln alles. Ja? Nathe du bist immer noch erst 16. Wieso denkst du du musst das alleine regeln?"
Meine Mutter hockte sich neben mich auf den Boden und drückte meinen schwachen Körper erneut fest an sich. Solange bis ich langsam aufhörte zu weinen und wieder etwas erkennen konnte. "Ich weiß ich hab mich nicht von der besten Seite gezeigt, es ist auch meine Schuld. Nathe es tut mir leid. Komm nehmen wir alles mit heim, okay?"

Mit einem großen Rucksack voll mit Ace Kleidung lief ich meiner Mutter anschließend hinter her und legte ihn zusammen mit meinem Schulrucksack in den Kofferraum. Trotz ihrem Wort morgen alles in Angriff zu nehmen bestand ich drauf diese Sachen jetzt schon mit zu nehmen und mein Vater kommentierte es daheim kaum bis gar nicht.
Erst als ich in meinem Zimmer war fand ich erst einmal Ruhe und Zeit über diesen Tag nach zu denken.
Noch immer war mir übel und so langsam bekam ich Kopfschmerzen, doch ich fragte mich wie es nun weiter ginge. Ace würde sicher nicht nur einen Klaps auf die Finger bekommen, sondern verurteilt und weg gesperrt und das auch noch wegen mir. Er ging mit purer Absicht Alex der Art zu zurichten los, er wusste was ein nicht so unbeschriebenes Blatt wie er zu erwarten hat.
"Ob die Umstände für ihn sprechen könnten?" Als wäre dieser Satz gerade Wegs aus meinem Kopf entsprungen hörte ich meine Eltern im Flur sprechen. Um nicht zu stören lehnte ich mich nur gegen die Wand und mit dem Ohr direkt an den Türschlitz um besser lauschen zu können.
"Ich weiß es nicht. Vielleicht wenn er Alex auf der Straße begegnet wäre, aber er ist ja mit purer Absicht los. Da kannst du doch nicht auf Milde hoffen." Während mein Vater versuchte logisch zu denken fing meine Mutter an zu weinen. Ich konnte das Schluchsen nur leise hören, aber es tat mir unendlich weh in der Brust. "Dieser Junge ist auch ein kompletter Idiot.... Und damit mein ich beide, nein alle drei! Gut Alex ist scheinbar von Anfang an nicht ganz sauber, aber die anderen zwei? Herr Gott. Wäre Nathe nach Hause gekommen hätten wir Alex einfach bei der Polizei anzeigen können und nichts von alledem wäre heute passiert." Mein Vater fing an lauter und zorniger zu sprechen, meine Mutter weinte dafür immer mehr. "Was haben wir falsch gemacht, dass Nathe dachte nicht heim kommen zu können?" Seine letzte Frage stach noch mehr als das Weinen meiner Mutter und brachte auch mich dazu leise und für mich selbst zu weinen. "Hast du schon was von der Polizei gehört? Nach dem Telefonat heute Nachmittag?" Er fing an wieder etwas leiser zu sprechen und wartete bis meine Mutter sich etwas fasste. "Ja, Alex wird sich auch verantworten müssen. Er sagte es sei egal ob Alex selbst minderjährig sei oder nicht. Er hat Kinderpornografie verbreitet. Gleiches gilt für alle Anderen die es in Chats herum schickten. Also wird das ganze noch ein riesiges Nachspiel haben, für einfach jeden."
Mit einem Mal riss ich die Augen auf und ebenfalls schlagartig meine Tür. "Nathe!" Ich starrte in zwei erschrockene Gesichter vor mir, die so aussahen, als hätten sie einen Geist gesehen.
"Heißt das die aus meiner Klasse bekommen auch ärger? Aber was mache ich dann später? Wenn ich irgendwann wieder zur Schule ge..."
Mitten im Satz bremste mich mein Vater direkt aus. "Wenn? Nathe wir schicken dich auf keinen Fall mehr auf diese Schule." Mir war direkt bewusst was das hieß.
Mein Leben wie ich es kannte endete hier und jetzt. Ich würde alles verlieren, was ich noch vor einigen Wochen endlich auch Mal hatte. Freunde.
"Du ziehst hier weg. So weit wie möglich. Wir dachten da an deinen Onkel. Der hat genug Platz für dich. Du weißt wie gut er verdient mit seiner Firma und dein Vater hat sich bereits Gedanken gemacht ob wir nicht, unter diesen Umständen, deinen Namen ändern können. Wenn du hier bleibst wird diese Geschichte deine ganze Zukunft zerstören."
Als hätten sie mir den Boden entgültig unter den Füßen weggezogen wusste ich nicht was ich sagen sollte. Einerseits wollte ich laut los schreien und mich widersetzen, aber andererseits haben auch sie Probleme ohne Ende nur dank mir.
"Wenn ich weg bin... Was ist mit Ace? Kann man ihn nicht besuchen?"
Kaum hatte ich gefragt streckte sich mein Vater in die Höhe und schloss offensichtlich genervt die Augen. "Gott Junge... Ich hab dich oft verteidigt, aber jetzt reicht's. Wir ordnen erst einmal dein Leben, UNSER Leben und dann kannst du über das eines anderen nachdenken."
Ich war still und wagte es nicht noch irgendwas zu sagen.
"Geh ins Bett Nathe. Morgen wird ein langer Tag. Wir müssen zur Polizei, zur Schule..." Mit einer letzten Umarmung meiner Mutter lief ich zurück in mein Zimmer und warf mich ins Bett, aber nicht ohne mich vorher um zu ziehen und in einem von Ace übergroßen Hoodies zu verkriechen.

Wolke 6 1/² - für mehr hat's nicht gereichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt