2. Neuanfang?

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Die Türe hinter mir schloss sich, und auf einmal war alles neu. Sehr neu. Nichts war mehr gleich wie im letzten Schuljahr. Die Jungs, die ständig nur dumme Witze machten waren scheinbar wie ausgewechselt, das alles gab es nun nicht mehr. Und doch, gleichzeitig lag etwas Optimistisches, etwas kämpferisches in der Luft. Etwas, dass uns alle irgendwie verband. Keiner sprach es aus, auch im Laufe der kommenden Tage und Wochen nicht. Aber man spürte es. Es war dar. Der große Saal des Freiburger Gymnasiums, die Schule auf die ich seit der fünften Klasse ging, wurde von der strahlenden Sonne erleuchtet, noch war es am Morgen nicht so dunkel. Dieses Schuljahr wollte ich vieles besser machen als letztes Jahr. Doch ich hatte auch viele Zweifel, ob das alles hier nicht vielleicht doch eine Nummer zu viel war. Eine große, streng aussehende Frau mit grauen Haaren und einem roten Rock betrat den Raum. Schlagartig wurde es still. Ich klappte die Kapuze meines Pullovers hinunter und lehnte mich zurück, gegen das Fenster. Unsere Stufe war so groß, dass selbst im großen Saal der Schule nicht alle Platz hatten. Egal, ich konnte auch stehen. Neben mir stand ein Mädchen aus meiner alten Klasse. Sie sah aufmerksam aus, konzentriert und bereit für die kommenden zwei Jahre. Die Stimme der Lehrerin dröhnte durch den Raum.
„Erik Sommer?!"
Ich schreckte auf.
„Ähm, ja, hier...", rief ich etwas verwirrt.
Leises Murmeln und Gelächter breitete sich im Raum aus, einige blickten spöttisch zu mir hinüber. Das mit dem vieles besser machen sollte ich mir wohl nochmal überlegen, wenn ich hier eine Chance haben wollte, besser aufgenommen zu werden. Einen Teil der Stufe, meine alte Klasse kannte ich noch von den letzten Jahren, aber weder dort noch in der Stufe hatte ich Freunde und Leute, mit denen ich mich gut verstand.

Die Lehrerin hatte zu Ende geredet, und ich blickte mich suchend um. Ich hatte nicht mitbekommen, was wir nun machen sollten. Neben mir stand ein großer, kräftiger Junge, er war ungefähr 1,90m groß. Seine Arme waren kräftig, mit Muskeln bepackt.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: dieser Junge sollte mir ungefähr ein halbes Jahr später das Leben retten.
Er hatte schwarze kurze Haare, die unter seiner gelben Baseballcap hervorguckten, er trug eine graue Jogginghose und eine große weiße Jacke, dazu weiße Sneakers. Als ich in der 10. Klasse gewesen war, war er in meine Parallelklasse gegangen, aber Kontakt hatte ich nie mit ihm gehabt. Ich hatte ihn lediglich ein paar mal auf dem Schulhof gesehen und wusste nicht mal wie er heißt.
„Hey, sorry, was sollen wir jetzt genau machen?", fragte ich.
Er sah mich kurz irritiert an, dann nahm er seine Schultasche und sagte: „Wir sollen jetzt in die Kurse von unseren Tutoren gehen."
„Ah okay, danke", sagte ich.
Shit, das war peinlich. Sollte ich mich vorstellen?
„Ich bin übrigens Mike", sagte er.
Puh, Glück gehabt.
„Ich bin Erik.", sagte ich und wir gaben uns kurz die Hand.
Für einen kurzen Moment herrschte seltsame Stille.
„Wer ist dein Tutor?", fragte ich, während wir aus dem Raum liefen.
„Das sind dieses Jahr die Lateinlehrer, oder?", fragte Mike.
„Ja, genau.", sagte ich. „Bei wem hast du Latein?"
„Beim Sauter-Langenbach", sagte Mike genervt.
„Uff, ich auch!", sagte ich lachend und rollte mit den Augen. Naja, es hätte wirklich besser sein können.
Wir standen einige Sekunden auf dem Gang und niemand von uns beiden sprach ein Wort. Um uns herum bewegten sich unzählbar viele Schüler in Richtung der Klassenzimme.
„Du, ich glaub wir müssen uns ein bisschen beeilen", sagte ich.
Mike blickte auf seine Armbanduhr.
„Oh stimmt du hast Recht", erwiderte er und wir liefen zügig in den dritten Stock, wo wir als letzte des Lateinkurses eintrafen. Gerade noch rechtzeitig, bevor es klingelte.

Als es am Ende der Stunde zur Pause klingelte standen wir alle auf und packten unsere Sachen zusammen. Als ich meinen Collageblock in meine grüne Schultasche gepackt hatte, sah ich mich um und bemerkte, dass Mike bereits gegangen war. Hatte ich ihn genervt? Oder musste er einfach noch irgendetwas erledigen? Zurzeit denke ich wahrscheinlich über alles etwas zu viel nach. Oder doch nicht? Ich nahm meine Tasche und lief den dreckigen Flur entlang, in den Aufenthaltsraum, in dem die gesamte Stufe sich aufhielt. Die Wände waren dreckig, beschmiert und etwas heruntergekommen. Der Raum war ziemlich groß, überall standen Bänke und Tische, an denen sich die Leute in den Pausen aufhielten. Ich lief weiter, auf eine Gruppe von Schülern zu, die am Rand des Raumes auf einer der Bänke saßen. Ich werde einfach fragen, ob ich mich dazusetzen darf, dachte ich und holte tief Luft.
„Hey, könnt ihr vielleicht ein bisschen..."
„Nein, können wir nicht!", wurde ich harsch unterbrochen.
„Aber wie...", setzte ich an.
Der etwas ältere Junge stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weil du nicht dazugehörst!", sagte er und lachte spöttisch.
Er trug ein Gucci-Shirt und eine silberne Halskette, außerdem trug er eine graue Jogginghose und hatte seine großen, kräftigen Hände in seinen Jackentaschen versteckt. Die anderen Jungs stimmten mit ein. Mittlerweile waren die Blicke im Raum auf uns beide gerichtet. Ich überlegte verzweifelt, was ich sagen sollte.
„Lass dich nicht unterkriegen, wenn sie dich ausschließen!", erinnerte ich mich, an das, was meine Oma immer zu mir sagte, wenn ich verzweifelt und unsicher war. Ich holte erneut Luft. „Was stehst du eigentlich immer noch hier?!", rief der Junge, der mir bedrohlich nahegekommen war.
„Willst dich zu uns setzten, obwohl du nicht dazugehörst! Neben dich würde sich doch sowieso nur jemand setzten, wenn kein anderer Platz mehr frei wäre!"
Für einen Moment war ich sprachlos. Dann, nachdem wir einige Sekunden Auge in Auge gestanden waren und einige Schüler um uns schon in leises Gemurmel und Gelächter ausgebrochen waren, beschloss ich, den Kürzeren zu ziehen und zu gehen. Mein erster Versuch, neue Freunde zu finden war also gescheitert.


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