47. Ein Funke Hoffnung

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Ein paar Monate später, die von Arztterminen, Klinikaufenthalten und Therapiesitzungen gefüllt waren, an einem Montagmorgen fühlte ich mich langsam bereit, mich dem zur Wehr zu setzen, was mir Jahre lang Angst gemacht hatte. Ich hatte viel nachgedacht, über mich, über Lola und über unsere Beziehung. Doch vor allem hatte ich über das nachgedacht, was er mir erzählt
hatte. Über seine Familie, über seinen Vater.
Ich merkte, dass es bei mir Spuren hinterlassen hatte. Doch mittlerweile hatte ich gelernt, damit umzugehen. 

An diesem Tag, an dem ich mich meiner Angst stellte, stand ich 10 Minuten bevor es klingelte auf dem Schulhof und hatte mich an eine der grauen Wände gelehnt. Ich wollte zur Schule gehen, und ich wollte vor allem eines: ohne Angst zur Schule gehen. Und ich war bereit, alles dafür zu tun. Alles, was nötig war. Es war mir egal, wie viele Vorurteile es über meine Krankheit gab. 

Ich werde sie besiegen, das schwor ich mir.

Es fühlte sich zwar immer noch schrecklich schwer an, zur Schule zu gehen. Doch anders, als vor ein paar Monaten hatte ich nun Hilfe bekommen. Hilfe, die absolut nötig war und die ich brauchte. Ich hatte nun einen festen Therapieplatz. Und das machte mich unglaublich glücklich und schenkte mir Kraft. Kraft, die ich unbedingt brachte.
„Ey du Schlingel, du läufst ja hier rum als hättest du Tomaten auf den Augen!", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
Lilly stand direkt vor mir.
„Ups, sorry", sagte ich und schüttelte kurz irritiert den Kopf.
„Bei mir ist alles gut, ich wurde nur fast von dir überrant, wie geht's dir denn?", sagte sie lachend.
„Besser", antwortete ich.
„Das freut mich. Wenn du mal genau erzählen willst, was genau passiert ist, ich hör dir immer gerne zu. Aber du musst nicht jetzt erzählen, komm erstmal wieder an.", sagte Lilly.
Ich nickte.
„Okay, ich schreibe gleich Deutsch, und muss noch kurz auf die Toilette. Bis nachher.", sagte Lilly und nahm ihre Schultasche.
„Okay. Bis nacher", sagte ich.
Mein Handy vibrierte.
Neue Nachricht von Lola.
Ich musste lächeln.
„Kommst du heute Abend mit den anderen zu mir? Wir Picknicken auf meinem Dach.", stand auf meinem Display.
Ich hörte die Stimme in meinem Kopf, die sagte: „Nein, lass es, du könntest wieder eine Panikattacke kriegen und alles verderben!"

Doch dann entschied ich mich, nicht auf die Stimme zu hören.
„Sei leise, ich schaffe das!", sagte ich innerlich zu meiner Angst und tippte „Ja <3", in mein Handy.
In diesem Moment, völlig unerwartet, tippte mich jemand auf die Schulter.
„Ohhhh, da ist ja wieder unser Regenbogenzwerg", sagte jemand hämisch.
Ich drehte mich um und sah drei Jungs vor mir stehen.
„Wars schön in der Klinik, du Weichei?", sagte der zweite.
Jetzt erkannte ich das Trio wieder. Es waren die drei Jungs, die mich in der ersten Woche des Schuljahres schon in der Umkleidekabine geärgert hatten. Doch dieses Mal ließ ich mir nicht alles gefallen.
„Ja", hörte ich mich sagen und war gleichzeitig erstaunt, gleichzeitig stolz auf meinen Mut.
„Ich bin wieder hier. Es hat mir sehr geholfen. Und ich schäme mich überhaupt nicht mehr dafür, dass ich anders bin als ihr. Ich bin stolz darauf, dass ich mir die Hilfe gesucht habe, die ich brauche. Und ihr solltet euch auch Hilfe suchen, und zwar schnell, denn bei euch ist irgendwas nicht ganz richtig.", sagte ich und lief einen Schritt auf die drei zu.
„Also, was wartet ihr?! Haut endlich ab!!", rief ich.
„Oh, schnell weg!", hörte ich den dritten Junge noch sagen, während er seine Kollegen am Ärmel packte und die drei so schnell sie konnten wegrannten.
Ich musste lachen. Zum ersten Mal seit dem, was vor einem Monat passiert war, konnte ich wieder richtig lachen und das war ein unbeschreibliches Gefühl. Ich fühlte mich seit einem Jahr das erste Mal wieder stark!


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