Draußen war es angenehm kühl, es hatte geregnet. Ich schnappte mein Skateboard, legte es auf die Straße vor meinem Haus und stieß mich vom Boden ab. Die Pflastersteine brachten das Skateboard zum Wackeln, doch ich stand sicher darauf. Ich fuhr durch die Innenstadt in Richtung Hauptbahnhof. Die Lichter der Großstadt erleuchteten die hereinfallende Dunkelheit, am Horizont färbten sich die Wolken dunkelrot. Fast wie an dem Tag, an dem ich das erste Mal bei Lola gewesen war, dachte ich. Ich sah in der Ferne die Brücke vor dem großen Bahnhofsgebäude. Über den Gleisen erstreckte sich in Richtung Herdern, dorthin, wo Lola wohnte, ein großer, bunter Regenbogen. Er schien, als würde er niemals enden.
Am Bahnhofsgebäude angekommen, stießen mir die warme Luft, der Abgasgeruch und die Geräusche der einfahrenden Züge entgegen. Es war beinahe so, wie an dem Tag, an dem wir das erste Mal bei Lola zuhause waren. Es war wie an dem Tag, an dem ich mir endgültig darüber bewusst geworden war, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Nur dieses Mal war ich alleine. Aber nicht mehr lange. Ich stoppte mein Skateboard, betrat die Rolltreppe und machte mich auf den Weg zu Gleis 5. Eine Station ohne Fahrkarte? Mit etwas Glück sollte es dieses Mal klappen. Der Zug fuhr langsam ein, die Türen öffneten sich und ich betrat den Wagon. Ich lief den engen Gang entlang und setzte mich auf einen 4er-Sitz. Neben mir war ein Platz frei, mir gegenüber saß ein älteres Ehepaar. Sie erinnerten mich an meine Großeltern. Ich vermisste die beiden, so gerne würde ich mich in den Zug nach Berlin setzen und zu ihnen fahren. Der Zug fuhr los. Ich griff in meine Tasche und holte die Kaugummis heraus, dann öffnete ich die Dose und schob mir einen Kaugummi in den Mund. Ein paar Mal kaute ich darauf herum, dann lehnte ich mich zurück. Erst jetzt spürte ich, wie müde ich war. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe und meine Augen fielen zu.
Der Zug hielt an und ich wurde vom Stoppen des Wagons wachgerüttelt. Schnell nahm ich mein Skateboard, lief zur Türe und stieg aus. Es hatte auch in Herdern geregnet, die Luft war feucht und die Sonne war nun fast vollständig untergegangen. Die letzten Strahlen leuchteten gegen die großen Wohnblocks aus Hochhäusern, in denen in vielen Fenstern schwache Lichter brannten. Ich legte mein Skateboard auf den Boden, skatete am Gleis entlang in Richtung Ausgang zur Straße. Mit jedem Meter, den ich zurücklegte – und bei der Geschwindigkeit, mit der ich fuhr, waren das sehr viele Meter in kurzer Zeit, wurde ich nervöser.
Gleich war es soweit.
An Lolas Haus angekommen, nahm ich mein Skateboard in die Hand und machte einen Schritt auf die Treppe zur Türe. Nervosität stieg in meinem Körper auf. Für einen kurzen Moment zögerte ich. Ich nahm mein Handy und öffnete die Kamera, um zu schauen, ob ich einigermaßen okay aussah. Ja, dachte ich. Das sollte gehen. Dann stellte ich das Handy auf stumm und steckte es wieder in die Tasche. Ich atmete tief durch und streckte meine Hand zur Klingel aus, auf dem in krakeligen Buchstaben „Tartok" stand. Und dann, nach einigen Sekunden panischem Zögern, drückte ich den Knopf. Einige Sekunden passierte nichts. Ich wartete und hoffte, wartete und hoffte... Doch dann, nach einer gefühlten Ewigkeit vibrierte die Türe und ich stand im Treppenhaus.
Auf der Treppe stand Lola.
Er sah wunderschön aus.
Er hatte seine Haare offen und verstrubbelt. Seine Haare waren, seit ich ihn in der ersten Schulwoche kennengelernt hatte, etwas gewachsen. Lola trug einen weißen Tennisrock und ein gelbes, enges T-Shirt. Ich bekam Gänsehaut davon, wie hübsch er aussah. Wie in Zeitlupe lief er auf mich zu, legte seine Arme um mich und küsste mich sanft auf den Mund. „Hey", flüsterte ich. Ich legte meine Hände auf seine Hüfte und kuschelte mich kurz an ihn. „Na? Geht's gut?", antwortete er. Ich nickte. Lola nahm meinen Arm und zog mich die Treppe hinauf. Er schloss die Türe. Dann küsste er mich erneut. Der Kuss ging noch länger, er war noch feuchter als der erste, auch wenn dieser sich bereits wie eine halbe, wunderschöne Ewigkeit angefühlt hatte. „Ich bin alleine", sagte er und grinste. „Die anderen kommen in einer Stunde zurück", fügte er grinsend hinzu. Ich nickte und war schrecklich aufgeregt. Er hatte sich wieder die kleinen Symbole auf die Wangen geschminkt, dieselben Symbole, die er sich bei unserem Date auf dem Flohmarkt geschminkt hatte. Auf der rechten Wange ein paar Herzen, auf der linken Wange ein paar kleine Kringel, mit denen er total cute aussah. Lola blickte kurz auf seine Zimmertüre. „Sollen wir?", fragte er vorsichtig. Ich nickte und er schob mich sanft in das Zimmer. Lola schloss die Türe hinter uns und setzte sich auf sein Bett. Ich setzte mich neben ihn. Lola blickte mich kurz an, lächelte, dann legte er seine Arme um meinen Bauch und zog mich zu sich. Vorsichtig kuschelte er sich an mich und legte meine Hände auf seine Hüfte. Sein Duft machte mich wahnsinnig, ich kann nicht beschreiben wie. „Wollen wir uns hinlegen?", fragte er. Ich nickte. Er ließ sich nach hinten fallen und zog mich mit. Wir blickten uns ganz tief in die Augen. Dann schloss ich die Augen und drehte mich nach vorne, auf seinen Oberkörper. Er fühlte sich ganz weich und warm an. Und er duftete wahnsinnig gut. Während ich auf ihm lag, sah ich, dass er wieder die kleinen Sicherheitsnadeln trug, doch dieses Mal trug er zwei Stück, er hatte sie an seinem T-Shirt befestigt. Wir verweilten ein paar Minuten in dieser Position, ich lag auf ihm, er hatte seine Hände auf meinen Rücken gelegt. Dann, auf einmal, richtete er sich auf und küsste mich erneut. Er konnte wahnsinnig gut küssen. Es war ein langer, intensiver Kuss und ich wünschte, er würde nie wieder aufhören. Für einen Moment richteten wir uns auf. "Ich liebe dich, Finley", sagte er. "Ich liebe dich auch, Lola", sagte ich und wischte ihm eine Freudenträne aus den Augen.
Lola kuschelte sich enger zu mir und legte seinen Kopf auf meine Brust. So verweilten wir einige Minuten. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen weichen, warmen Bauch. „Ist das okay?", fragte ich. „Ja", sagte er und schloss die Augen. Ich legte meine Hand auf seinen Rücken und fuhr langsam auf und ab. „War es schlimmer mit den Panikattacken?", fragte er, nachdem wir einige Zeit einfach nur gemeinsam geschwiegen, geatmet und gelegen hatten. „Ja, schon", sagte ich und Lola drückte mich näher an sich. „Magst du darüber reden?", fragte er und nahm vorsichtig meine Hand. „Ja, aber ich kann gerade nicht. Eigentlich will ich, aber ich kann gerade nicht, und ich weiß nicht genau, warum...", sagte ich mit zitternder Stimme. „Ist schon okay", flüsterte er und wuschelte mir sanft durch die Haare. „Danke", sagte ich. „Bald habe ich das erste Mal ein Therapiegespräch, vielleicht hilft das...", murmelte ich. „Sehr gut, das hilft bestimmt", sagte er. Er lächelte kurz, dann küsste er mich erneut. Noch nie hatte ich so viel Zuneigung und Liebe von jemandem erfahren wie von Lola, und noch nie hatte mich jemand so doll akzeptiert, wie er. Und noch nie hatte ich von jemandem so viel körperliche Nähe erfahren, dabei bin ich ein Mensch, der Umarmungen liebt. So liebte ich es auch, mit Lola zu kuscheln und ihn zu umarmen. Niemals mehr wollte ich ihn loslassen. Kuscheln kann so unglaublich heilsam sein, das spürte ich ganz deutlich. Ich spürte, wie sein Fuß vorsichtig gegen meinen drückte und seine Hand langsam über meinen Oberschenkel fuhr. Ganz sanft und vorsichtig. Wir lächelten. Wir lagen einfach nur da, niemand sagte etwas, und das war okay. Wir beide, nur wir beide, ganz alleine. Nach einiger Zeit merkte ich, wie sich mein Atem seinem anpasste. Lola hatte sich enger an mich gekuschelt und ich spürte seinen ruhigen Atem. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust. Lola legte seine Hand auf meinen Kopf und fuhr langsam durch die Haare. Das tat so gut. Langsam passte sich mein Atem seinem Atem an. Ich spürte, wie seine Wangen ganz vorsichtig gegen meine Wangen drückten. Ganz warm und weich war seine Haut. Er hatte die Augen geschlossen, und ich schloss meine Augen ebenfalls. Vorsichtig legte ich meine Arme enger um ihn...
...dann, nach einigen Stunden schliefen wir ein.
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Plötzlich Erwachsen
Novela JuvenilFreiburg, 2023. Der 16-jährige Erik kommt zum neuen Schuljahr in die Oberstufe, in der er sich 2 Jahre lang auf sein Abitur vorbereitet. Er schöpft neue Hoffnung, endlich neue Freunde zu finden. Auf der Suche nach Anschluss in seiner Stufe nimmt er...