36. Der letzte Donnerstag (tw)

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Ich saß im Erdkundeunterricht und versuchte die Situation irgendwie auszuhalten, doch schaffte es kaum. Isabel saß aufrecht am Tisch gegenüber und blickte künstlich aufmerksam an die Tafel. „So, Sie werden nun in Kleingruppen einige neue Themen erarbeiten, die Sie danach hier im Plenum referieren werden. Alle Präsentationen werden mit Zensuren benotet!", drang die schneidende, kalte Stimme meines Erdkundelehrers an mein Ohr. „Gruppe 1: Lilly, Anna, Mike. Gruppe 2: Lino, Chiara, Phillip. Gruppe 3: Isabel, Jan und Erik." Fuck. Ich war in einer Gruppe mit Isabel gelandet. „Keine Gruppe verlässt während der Erarbeitungsphase das Zimmer. Der Zeitansatz liegt bei 10 Minuten.", sagte der Lehrer.

Seufzend griff ich nach meinem Collagebloch und stand von meinem Platz auf. Eine Gruppenarbeit mit Isabel konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Doch offensichtlich blieb mir nichts anderes übrig. Lustlos setzte ich mich gegen über von Isabel, neben Jan an den Tisch zu Isabel. „So. Ich werde euch nun zuteilen, was ihr zu tun habt, damit wir ein möglichst effizientes, produktives und hochwertiges Ergebnis erzielen werden.", sagte Isabel, während sie ihre Lippen aufeinanderpresste und hektisch auf ihrem Tablet hin und her wischte. Jan blickte zu mir, rollte mit den Augen. „Ja, Frau Lehrerin!", sagte er ironisch zu Isabel und setzte sich aufrecht hin. Isabel warf einen bissigen, strengen Blick in Jans Richtung. "Ich hatte dieses Semester nur 14 Punkte in Geographie und werde nicht riskieren, wegen eurer Faulheit erneut so schlecht abzuschneiden. „Erik, du machst Aufgabe 1, Ich mache Aufgabe 2 bis 4 und Jan, du machst das, was eben noch übrigbleibt.", sagte Isabel.

Ich begann das Blatt zu lesen, dass vor mir lag. Isabel schrieb bereits eifrig los, während ich damit beschäftigt war, die Aufgabe zu lesen. „Ich habe solche Kopfschmerzen", sagte Isabel plötzlich und stöhnte auf. Doch weder Jan noch ich schenkten ihr die Aufmerksamkeit die sie wollte. Isabel schrieb noch ungefähr eine Minute weiter, dann griff sie in ihre Handtasche, holte eine Schmerztablette heraus, schluckte sie bitter schnell hinunter und widmete sich wieder den Aufgaben. „Seid ihr endlich fertig?", sagte sie eine Minute später. „Nein", sagte Jan. Sie schüttelte energisch den Kopf. „Dann beeilt euch! Ihr seid viel zu langsam.", feixte sie. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Jan den Kopf schüttelte. Ich wollte gerade beginnen, die erste Aufgabe zu bearbeiten, als ich sah, wie Isabel erneut in ihre Tasche griff und eine zweite Schmerztablette herausnahm, sie schnell schluckte, sich kurz schüttelte und sich wieder ihren Aufgaben zu wandte. Ich war sprachlos und traute mich nicht einen Ton von mir zu geben. Es fühlte sich irgendwie gruselig an, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der sich so schonungslos gegenüber anderen und sich selbst verhielt, wie Isabel. Doch, und das war die traurige Wahrheit, ist dies leider auch nicht selten und ungewöhnlich, denn unser Schulsystem bringt uns täglich bei, unseren Körper überzustrapazieren, nur um die nächste, „perfekte" Note zu schreiben. Isabel setzte ein Lächeln auf, das dem eines Roboters ähnelte, richtete sich auf und begann eifrig zu schreiben. "Und Erik, bist du schon fertig?", fragte sie streng. Ich schüttelte den Kopf. "Bist du den schon fertig, Isabel", kam mir Jan zur Hilfe. "Ich arbeite noch zielstrebig an meinem Ergebniss", sagte Isabel mit einem bissigen Unterton. "Okay, dann mach mal schön weiter", sagte Jan mit einem überlegenen Grinsen auf dem Mund. Ich konnte nicht anders als auch etwas zu schmunzeln. 

"Noch 2 Minuten", riss mich die Stimme des Lehrers aus meinen Gedanken.


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