7. Zu spät!

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Ich wachte auf und drehte mich sofort wieder um. Die Morgenstunden waren mit Abstand die schlimmsten Stunden des Tages. Ein ganzer Tag lag vor mir, und ich wusste, dass es wieder einige Situationen geben würde, die für mich nur sehr schwer auszuhalten waren. Ich blickte auf die Uhr. Es war 5:34. Ich konnte nicht mehr, eigentlich konnte ich nicht aufstehen. Doch wenn ich es nicht tat, würde ich nur noch mehr Druck erfahren. Die Schule hatte mir in den letzten Tagen das letzte bisschen Kraft geraubt. So sehr ich es auch versuchte, unter keinen Umständen wollte ich in die blöde, verdammte Schule. 5:35. Noch genügend Zeit, um sich noch einmal herumzudrehen und noch eine Runde zu schlafen. Ich überlegte kurz, ob ich alle Hausaufgaben gemacht hatte, dies war der Fall, also drehte ich mich um und schlief noch mal ein.

Eine gefühlte Ewigkeit später, als ich das nächste Mal aufwachte war es 7:33, um 7:45 fing die Schule an! Verdammt, ich hatte verschlafen! Ich sprang aus dem Bett, mein T-Shirt ließ ich an, weil man es nicht unbedingt als Schlafanzug erkennen konnte, ich riss die oberste Hose vom Kleiderstapel auf meinem Stuhl und warf einen Collageblock sowie die paar Blätter von gestern, die auf meinem Schreibtisch lagen in meine Schultasche. Hoffentlich waren das die richtigen Fächer, die ich eingepackt hatte! Schnell strich ich meine chaotischen, blonden Haare zurecht, zumindest so, dass sie einigermaßen okay aussahen. Dann schnappte ich mir in der Küche einen Kaugummi und eine Banane, die ich aß, während ich so schnell ich konnte meine Jacke von der Garderobe riss und in meine Schuhe schlupfte. Es war 7:38. In fünf Minuten musste ich es zur Schule schaffen. Ich riss die Türe auf und wollte sie gerade zuschlagen, als ich bemerkte, dass ich meinen Schlüssel vergessen hatte. Gerade noch rechtzeitig! Schnell griff ich in die Glasschale, die auf dem Holztisch neben der Eingangstüre stand und schnappte mir den Schlüssel. Ich sprintete durch das Treppenhaus zur Haustüre, neben der mein Fahrrad stand und raste los, in Richtung Schule. Selten war ich so schnell gefahren, doch meine Angst, zu spät zu kommen, war zu groß. Es gab nicht viele Dinge, die für mich peinlicher waren, als vor einer Gruppe zu spät zu kommen und mich dafür bekennen zu müssen.

An der Schule angekommen warf ich das Fahrrad zu den anderen an den Fahrradständer, ich hatte keine Zeit das Ding anzuschließen, dass musste ich dann wohl in der Pause machen. Hastig, mit zitternden Händen zog ich mein Handy aus der Tasche und sah nach dem Raum. 311, also ganz oben – im dritten Stock. Ich rannte los, durch die Eingangstüre, die erste Treppe hinauf, es war 7:43, die zweite Treppe, und dann – oh nein! Vor mir bauten sich drei große Jungs in Lederjacken auf. Ich kannte sie, leider aus der Sportstunde. Es gab keinen Zweifel, ich wusste, dass die drei nichts Gutes vorhatten. 7:44. Die Zeit rannte gnadenlos, jede Sekunde fühlte sich wie eine Qual an. „Ey, bitte, lasst mich vorbei!", bat ich die drei. Angst und Verzweiflung schwangen in meiner Stimme mit. „Sollen wir dich zum Unterricht lassen?", spottete der eine. „Hm, vielleicht wird er dort dann endlich Freunde finden", erwiderte der zweite sarkastisch. Hör nicht auf sie, erinnerte ich mich an die Worte meines Opas. Denk nur daran, an ihnen vorbeizukommen, alles andere klären wir später. „Lasst mich bitte durch!", forderte ich erneut und trat mit zitterigen Knien näher. Und dann passierte es. Es klingelte, vier Glockenschläge ertönten nacheinander durch die kaputten, scheppernden Lautsprecher und die drei begannen schallend zu lachen. „Bitte!", rief ich nun, „ich muss zum Unterricht, sonst kriege ich richtig Ärger!" „Nö.", sagte der dritte, der die gesamte Zeit über kein Wort gesagt hatte. Ich nahm all meinen Mut zusammen. „Entweder ihr lasst mich jetzt durch oder ich sorg dafür, dass ihr mich durchlasst!", rief ich nun. Die drei brachen in schallendes Gelächter aus. Doch ich zögerte keine Sekunde und rannte durch die Reihe, in der die drei sich vor mir aufgebaut hatten, die letzten Meter zum Unterrichtsraum. Gerade, als ich die Türe erreichte, wurde diese von innen zugezogen und fiel mit einem ohrenbetäubenden Krachen ins Schloss. Ich versuchte meinen Atem, der immer schneller ging, zu beruhigen. Wie sollte ich nun reagieren? Was sollte ich dem Lehrer sagen? Doch während ich noch darüber nachdachte, bahnte sich bereits das nächste Problem an. Ein paar Meter neben mir sah ich ein großes, sehr dünnes Mädchen mit blonden Haaren, braunen Augen und einem schmalen Mund, die sich an der Wand angelehnt stand. Es war Isabel, unsere Stufensprecherin. Isabel hielt sich meistens für schrecklich wichtig. Zu wichtig. Sie trug eine schwarze Jeans und ein weißes, kurzes Oberteil und ihre Schultasche hing übertrieben lässig über einer Schulter hinunter. Isabel blickte mich einige Sekunden lang durchdringend und eiskalt an, dann lachte sie und schüttelte den Kopf. „Erik, du willst doch nur Aufmerksamkeit, oder?", sagte sie leise, mit einem schrecklich gruseligen und arroganten Unterton. „Nein, ich will einfach von denen in Ruhe gelassen werden!", rief ich wütend. Sie lachte. „Oh, ist da jemand wütend?!", gab sie spöttisch zurück und verschwand, bevor ich etwas erwidern konnte durch die Türe, neben der sie gestanden hatte in das Klassenzimmer neben ihr.

Hastig riss ich die Türe meines Klassenzimmers auf und stand völlig verschlafen und verschwitzt vor meinem Physikkurs. „Entschuldigung für die Verspätung...", rief ich, meine Stimme überschlug sich fast. Sollte ich genau sagen, was passiert war? Ich hätte es zwar knapp, aber ziemlich sicher noch geschafft, wäre ich nicht aufgehalten worden. „Ich wurde aufgehalten, draußen auf dem Flur...", fügte ich hinzu. Einige lachten, unser Lehrer blickte mich einige unangenehm lange Sekunden genervt an, ich beeilte mich, mich hinzusetzen. Mist, warum musste genau mir das passieren? Vorsichtig, um nicht noch mehr zu stören griff ich in meine Schultasche und holte den Collageblock heraus – in diesem Moment merkte ich, dass ich die falschen Fächer eingepackt hatte. Meine Physikblätter lagen zuhause, auf meinem Schreibtisch. Der Rest der Physikstunde verlief also wie immer, ich verstand nichts, saß leise auf meinem Platz und hoffte nicht drangenommen zu werden. Vor allem wenn es um die Hausaufgaben ging, hatte ich besonders große Angst, denn ich hatte sie zwar gemacht, aber nicht dabei und ich wusste, dass sie sowieso falsch waren, weil ich einfach extrem schlecht in Physik bin und es ist extrem demotivierend, jede Woche mindestens ein bis zweimal in einem Kurs zu sitzen, nichts zu verstehen und 90 Minuten durchgehend Angst zu haben, drangenommen und vor dem gesamten Kurs bloßgestellt zu werden. 



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